Wer schon mal Gelegenheit hatte, genauer hinter die Kulissen des Lebens in Griechenland zu blicken, weiß: Die Menschen hier sind überaus gesprächig. Auf Syros ist das nicht anders. Die Insel, die ziemlich mitten im Kykladen-Archipel thront, beweist mir gleich bei der Ankunft, dass es noch eine Steigerung der Kunst des griechischen Monologs gibt. Und der heißt: Big Drama! Georgios, der unsere bunt zusammengewürfelte Truppe von der Fähre mit einem stattlichen Chromjuwel abholt, ist der lebende Beweis dafür.
Da reicht schon eine kurze Frage nach den politischen Verhältnissen auf der Insel und es geht los: Big Drama! In Georgios gehen die Emotionen hoch. Seine launige Suada dreht sich um politischen Filz, Korruption und Sümpfe, die man trockenlegen müsse. Mir kommt das alles sehr bekannt vor. Die ersten Blicke aus dem Autofenster passen da so gar nicht dazu. Da draußen ist nämlich alles wunderschön, die Kykladen sind ein einziger Traum.
Syros überwältigt einen mit weißen Dörfern, felsigen Landschaften und goldenen Sandstränden, an denen die Wellen der azurblauen Ägäis aufschlagen. Die kommenden Tage liefert uns die Insel erstaunliche Kontraste. Uns bedeutet konkret: Annabelle aus London, Anne-Marie aus Paris, Giuseppe aus Rom und Robert aus Wien. Wer Syros erkundet, bewegt sich ständig zwischen mittelalterlichem Flair, neoklassizistischer Mondänität, kykladischer Bescheidenheit sowie orthodoxen und katholischen Vermächtnissen. Auch die Hafenstadt Ermoupoli ist mit ihren marmorgepflasterten Plätzen, dem Rathaus von durchaus königlichen Ausmaßen, ihrem Theater, den farbenfrohen Herrenhäusern sowie der kosmopolitischen Aura eine veritable Schönheit, die Abwechslung bietet. Dass Syros im 19. Jahrhundert beinahe statt Athen Griechenlands Hauptstadt geworden wäre, erstaunt nicht. Denn damals war die Insel eine Handelsmetropole und ein Industriestandort.
Dass es sich auf den Kykladen paradiesisch leben lässt, beweist The Thinking Traveller. Wir besuchen als erste Perle aus dem luxuriösen Portfolio dieses Vermieters die Villa Fanya, in die wir uns schon beim Betreten des stylishen Domizils schwer verlieben. Subtile zeitgenössische Architektur, ein wahrhaft atemberaubender Blick auf das Meer, ein riesiger Garten samt Infinitypool sowie zwei kleine Strände, auf denen nur wir die Sonne anbeten dürfen. London, Paris, Rom und Wien zücken sofort nach dem Einzug ihre Handys, schließlich will dieses Glück virtuell geteilt werden.
Hinter The Thinking Traveller stehen Rossella und Huw Beaugié, die ihre Passion fürs Reisen vor mehr als zwanzig Jahren in eine Geschäftsidee umgewandelt haben. Mit großem Erfolg, denn mittlerweile verfügt das Paar über ein stolzes Programm von insgesamt 200 Luxus-Unterkünften in der Mittelmeerregion. Was ihr Portfolio zusätzlich spannend macht: die exklusiven „Think Experiences“. Wonach auch immer einem ist, wird gegen Aufpreis möglich gemacht – ob individuelle Touren, ein Highend-Koch, eine Jazzband für ein distinguiertes Dinner oder ein Helikopterflug über die nur fünf Kilometer breite Insel.
Wir gehen es bescheidener an: Wir besuchen am nächsten Tag mit Peggy, einem einheimischen Guide, die im Südwesten liegende aristokratische Küstenstadt Poseidonia. Im frühen 20. Jahrhundert verbrachten die Betuchten hier ihre Urlaube, was sich noch heute in prächtigen Herrenhäusern und Gärten manifestiert. Danach lädt uns Peggy in ihr Zuhause ein. „Wer von euch ist aus Wien?“, fragt sie in die Runde. Wir sitzen in ihrem Wohnzimmer, das an ein um den Faktor Behaglichkeit erweitertes Museum erinnert. Stolz zeigt sie mir ihre Erbstücke, nämlich Anfang des 20. Jahrhunderts von Jacob & Josef Kohn gefertigte Wohnzimmerstühle. Dass ich gleich superschlau über das Wiener Möbel- und Einrichtungsunternehmen dozieren kann, erfreut Peggy. Und so verfliegt die Zeit in ihrem Haus mit dem Garten und dem üppig bepflanzten kleinen Atrium wie im Flug.
Am dritten Tag geht es mit der Fähre zu einem anderen Juwel der Kykladen, nach Tinos – für griechisch-orthodoxe Gläubige eine heilige Insel, eine Art Lourdes von Hellas. Im Jahr 1822 ließ die Entdeckung einer Madonnen-Ikone, die Panagia, die Pilger in Scharen hierherkommen. Besucht man die Hauptstadt Chora und die Kirche Panagia Evangelístria, muss man schon damit rechnen, dass jemand angekrochen kommt – buchstäblich. Noch heute legen hier Gottesfürchtige die beschwerlichen rund 300 Meter von der Küste zur Wallfahrtsbasilika auf Knien zurück. Zwar ist Tinos mit seinen grünen Landschaften, charmanten Marmor-Dörfern und malerischen Stränden inzwischen auch zu einem Urlaubsland avanciert, richtig touristisch ist das Eiland trotz einer superben Infrastruktur jedoch noch immer nicht.
Auch auf Tinos wartet auf uns ein Hideaway der besonderen Art: Die aus lokalem Stein errichtete Villa Enyalos ist an der Westküste in eine felsige Landzunge über dem Meer eingebettet. Neben einem fantastischen Meerblick lädt ein Infinitypool zur Abkühlung ein, zwei das Becken flankierende schattige Terrassen sind wahrhafte Chilloasen, auf denen man grandios der Passion des Genusses in Form von mediterranen Speisen oder köstlichen Getränken frönen kann.
Apropos Essen: Wussten Sie, dass es im Venedig des Mittelalters zum guten Ton gehörte, Tauben zu verspeisen? Tinos gehörte von 1207 bis 1714 den Venezianern, die auf dem Eiland der Taubenzucht nachgingen, die Tiere aber vorrangig als Briefträger schuften ließen. Doch auch nach der venezianischen Epoche setzten die Bewohner auf das weiße Federvieh und insbesondere auf dessen Dung, den sie auch exportierten. Noch heute finden sich auf der kleinen Insel rund 1.000 Taubenhäuser, die eher Minischlössern gleichen.
Eine weitere exklusive „Thinking Experience“ führt uns auf eine im Süden gelegene Natural Farm. Dort treffen wir Eleni, eine einst erfolgreiche Marketingmanagerin. Sie lässt uns für zwei Stunden an ihrem neuen Leben teilhaben, das nach ihrem Ausstieg nun auf bescheidenen dreißig Quadratmetern stattfindet: Und die haben sie mit Mann und Kind glücklich gemacht. Während eines pittoresken Sonnenuntergangs erzählt sie uns vom Reichtum, den ihr das Leben in der Natur beschert. Unser Fazit: Verblüffend, wie wenig man vom Boden eigentlich nicht essen kann. Eleni produziert auf ihrer Selbstversorger-Farm nicht nur Tees, Cremes und Honig, sondern auch natürliche Deodorants. Als die Sonne untergeht, kommt Wehmut auf, denn es ist der letzte Abend unserer Reise zu den Kykladen.
Am nächsten Tag bringt uns unser sympathischer Georgios zur Fähre nach Athen. Bevor wir uns verabschieden, frage ich ihn nach seiner Familie. Georgios erzählt von seiner Tochter, seinem einzigen Kind, das gerade ausgezogen ist, um in Athen zu studieren. Seine Augen werden glänzend. Er vermisst sie sehr, seinen ganzen Stolz. Big Drama! Aber nicht immer brauchen die Griechen hierfür viele Worte. Manchmal verraten ihre Augen das Wesentliche.