Story

Kebap ist überall, aber nicht überall gleich

Als Hüseyin Tanis 2006 seinen Geflügel- und Kebapstand am Wiener Kutschkermarkt eröffnete, kämpfte er anfangs mit erheblichen Schwierigkeiten wie der Kälte, die sein Stand weder abhalten noch kompensieren konnte. Mittlerweile ist sein Stand jedoch durch die Unterstützung eines befreundeten Architekten sowohl funktional als auch heizbar geworden und hat Platz für Tische für den Vor-Ort-Verzehr. Über die Jahre hat er sein Angebot, immer auf Nachfrage der Kunden, von Hühnern und Kebap auf Lamm und Rind erweitert.
Kebap in einer Hand
Es muss nicht
Mit scharf, ohne Sauce: Ein Besuch im Geflügel- und Kebap-Stand von Hüseyin Tanis am Wiener Kutschkermarkt.

Als Hüseyin Tanis 2006 seinen Stand mit Geflügel und Kebap eröffnete, erfüllte er sogar seine Kernaufgabe als Schutz vor Wind und Wetter nur bei sehr großzügiger Auslegung dieses Begriffs. „Der Stand war nicht zu heizen, im Winter ist mir alles eingefroren. Salat, Joghurtsauce, Zwiebeln, Tomaten, alles“, erzählt Hüseyin. „Zwei Jacken waren Minimum.“ Mittlerweile ist der Stand, auch dank der kostenlosen Mithilfe eines befreundeten Architekten, nicht nur funktional und heizbar. Er ist auch recht schmuck. Sogar für zwei Tische zum Vor-Ort-Verzehr hat sich Platz gefunden.

Von Zentralanatolien auf den Kutschkermarkt
Hotspot für Fleischtiger

Aber nicht nur die Menge, sondern auch das Angebot ist seither bemerkenswert gewachsen: Gab es zunächst nur Hühner, Eier und Kebap, so kamen im Weiteren – „Immer auf Nachfrage von Kunden“ – Lamm und Rind dazu. Und im Zuge dessen schein Hüseyin, nun ja, Blut geleckt zu haben. Heute ist Tanis Weltmeister Kebap ein absoluter Hotspot für anspruchsvolle Fleischtiger, zumindest solange man kein Schwein will. Servicetipp: Die Fleischerei Bauer am Kutschkermarkt hilft in diesem Fall gern mit Freilandware aus eigener Produktion aus. Es gibt neben Lamm und Geflügel aller Art auch Wild der Saison. Vor allem aber hat sich Hüseyin auf Rind spezialisiert, und da noch einmal extra auf Steak.

Ein Kebapstand ist vielleicht nicht der Ort, an dem man mit gleich mehreren Sorten Wagyu rechnet. Aber hier ist das nun einmal definitiv so. Flankiert übrigens von spanischem Txogitxu, öster­reichischer alter Kuh, zigfach preisgekrönter US-amerikanischer Ware („Jack’s Creek“) und klas­sischer Bistecca alla Fiorentina, wahlweise von Chianina- oder Madame-Biance-Rindern. Die Preisgestaltung trägt dazu bei, dass einem hier auch als klimabewusstem Flexitarier schon einmal Hand und Geldbörse auskommen können. Natürlich ist nichts davon billig, aber doch entschieden defensiv kalkuliert. Sagen wir es so: Hier kann man sehr günstig sehr viel Geld ausgeben.

Man kann aber auch wirklich günstig gut essen. Bisher hat man auf die Inflation überwiegend mit Schmälern der Marge reagiert. 4,50 Euro sind ein mehr als fairer Preis für ein gekonnt gemachtes Kebap-Sandwich aus erstklassigen Zutaten. Dazu gleich noch Näheres, zuvor aber noch ein kleiner Exkurs über Kebap.

Anfänge im 17. Jahrhundert

Es steht wohl außer Frage, dass Kebap der erfolgreichste kulinarische Exportartikel der Türkei ist und in puncto Erfolg mittlerweile in der Liga Hamburger und Pizza spielt. Doch während er hierzulande meist als eine Art warme Wurstsemmel ­betrachtet und verzehrt wird, genießt er in seiner Heimat einen hohen und identitätsstiftenden Status. Aufgekommen vermutlich im 17. Jahrhundert in der Stadt Kastamonu am Schwarzen Meer, machte er seinen Weg über Bursa (wo eine gewisse Familie Iskender einer Variante ihren Namen gab) ins ganze Osmanische Reich. Heute, so erzählt Hüseyin Tanis, habe jede der 81 türkischen Städte eine eigene Kebapvariante, natürlich jede die beste.

Merkwürdigerweise scheint der Kebap aber als Streetfood in Istanbul erst in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts Fuß gefasst zu haben. Doch als dann ab den Sechzigerjahren gezielt Türken als Arbeitskräfte für ganz Westeuropa angeworben wurden, hat flächendeckend die Stunde des Kebap geschlagen.

Ausschließlich Bio-Huhn

Es versteht sich von selbst, dass Hüseyins Kebap nichts mit den industriell gefertigten, entfernt an monströse Mortadella erinnernden und fixfertig gelieferten Fleischwalzen zu tun hat, die, landesweit und viel zu häufig, auf den Kebapspießen zu sehen sind. Er verwendet ausschließlich Biohühner aus Freilandhaltung (samstags gibt’s auch Lammkebap), die vom Meister persönlich ausgelöst und dann – mit einem deutlich höheren Haxl- denn Brustanteil – zwei Tage lang mariniert werden. Und zwar mit Joghurt, Salz und schwarzem Pfeffer, ein wenig geriebener Karotte, einem Hauch frischer Minze und ordentlich rotem Paprikapulver, um dann frühmorgens – und in diesem Fall mit meiner, na ja, Unterstützung – kunstfertig auf den Drehspieß aufgezogen zu ­werden. 

Hüseyin legt nicht nur auf die Zutaten, sondern auch auf die äußere Form Wert: „Wir fangen unten klein an, dann spießt du das Fleisch in der Mitte auf. Aber dann, nach oben hin, werden wir langsam größer. Wie eine umgedrehte Pyramide. Und dabei drauf achten, dass das Ganze viereckig wird. Wegschneiden, was drüberhängt, auf den Spieß legen und dann wieder mit einem größeren Stück festmachen.“ Parallel dazu beginnt ein Mitarbeiter, das Brot zu backen. Kleine Fladen aus Germteig, der am Vorabend in der Teigmaschine angerührt und über Nacht zum Gehen ins Kühlhaus gestellt wird.

Als der Kebap dann ausreichend viereckig und pyramidenförmig ist, um den Ansprüchen des Hauses Genüge zu tun, wird er am Grill fixiert und dieser dann angeworfen. Und da der Grill eine ordentliche Hitze produziert, steigt schon wenig später ein trotz der frühen Stunde sehr verführerischer Duft auf. Vielleicht sollte man überhaupt öfter einmal Kebap frühstücken.

Fleisch, Schräfe, Zweibel, Tomate, fertig!

Aber vor den Verzehr haben die Götter das Kebapmesser gesetzt, das mir Hüseyin nun, nach ein paar von ihm ausgeführten Demonstrationsschnitten, enttäuschend unzeremoniell reicht. Wichtig ist, so viel habe ich mitbekommen, die Klinge ziemlich parallel zur Schnittfläche zu führen. Wichtig ist, nicht zu dicke Stücke abzusäbeln und die Klinge in einem ungefähren 45-Grad-Winkel zur Horizontalen zu halten, um zügig und effizient schneiden zu können. Das wäre weiter kein Problem, wäre nicht der Grill so verteufelt heiß, dass man unwillkürlich doch ­­das Messer irgendwie blöd anders hält und so Kebapstücke produziert, die ihrer edlen rechteckigen und ­pyramidenförmigen Abkunft nicht wirklich gerecht werden. 

Hüseyin lädt, so zartfühlend wie geistesgegenwärtig, den staatlich geprüften Meisterfotografen Ingo Pertramer und mich ein, doch kurz Platz zu nehmen, während er die Sandwiches schnell fertigmacht. „Wie wollt ihr sie haben?“, fragt er, was wir mit „So, wie du das isst“ beantworten. Das bedeute aber, erwidert er, ohne Joghurtsauce. Seine ­Joghurtsauce sei zwar tadellos, hausgemacht, Ehrensache. Aber er persönlich finde, dass sie sich geschmacklich ein bisschen zu sehr in den Vordergrund dränge.

Kebap-Sandwich à la Hüseyin geht so: „Nicht zu viel Fleisch, aber auch nicht knausern. Scharf aufs Fleisch, Zwiebel, Tomate, fertig. Und gleichmäßig verteilen, damit nicht hinten das Fleisch ist und der Rest vorn.“ Und so essen wir dann gemeinsam ein nicht spektakulär extravagantes, aber richtig gutes Kebap-Sandwich. „Als ich ein Kind war in Istanbul“, sagt Hüseyin, „da war ein Kebap-Sandwich etwas ganz Besonderes, ganz Seltenes.“ Und wie hält er es heute mit dem Verzehr? Er lacht. „Heute? Heute esse ich jeden Tag einen Kebap. Jeden Tag.“

Artikel aus A La Carte 06/2023

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