Die Kirchenoper „Kain und Abel“ feiert in diesem Jahr Premiere beim Festival Retz. Intendant Christian Baier und Sopranistin Eldrid Gorset erzählen im Interview von einer gänzlich neu inszenierten Produktion und warum dieses Stück ein echter Psychothriller ist.
In der historischen Atmosphäre der österreichischen Stadt Retz erklingt in diesem Jahr ein Stoff, der so alt ist wie die Menschheit selbst: „Kain und Abel“ oder „La Morte di Abele“. Dieser wird als Kirchenoper beim Festival Retz zum ersten Mal seit über 70 Jahren auf die Bühne gebracht. „Kain und Abel ist der erste Mord der Menschheitsgeschichte. Adam und Eva haben Mist gebaut. Denn sie haben im Paradies einen Apfel gegessen. Da sagt man immer: ‚Obst ist gesund!‘ Aber scheinbar ist es das doch nicht immer“, beginnt Christian Baier mit einem Augenzwinkern. „Man wirft sie aus dem Paradies. Sie bekommen zwei Söhne und geben diese Erbschuld an sie weiter. So entsteht ein Generationskonflikt“, erklärt er weiter. Baier zieht dabei Parallelen zu aktuellen globalen Konflikten wie dem Klimawandel und politischen Krisen. Denn bei diesen Themen werden ebenfalls alte Lasten an die nächsten Generationen weitergegeben.
Digital und analog zugleich
Damit aber nicht genug. „Das Stück ist musikalisch wahnsinnig spannend. Es ist noch nie in Österreich aufgeführt und weltweit noch nie szenisch inszeniert worden. Die letzte öffentliche Aufführung des Werks liegt über 70 Jahre zurück“, betont Baier. „Mit Kain und Abel kommten Hass und Mord in die Welt“, erklärt er weiter. Das verspricht eine dramatische Inszenierung wie ein wahrer Psychothriller à la Alfred Hitchcock.
Apropos Inszenierung: Die Aufführung von „Kain und Abel“ beim Festival Retz setzt auf eine Mischung aus traditionellem Bühnenbild und modernen Technologien. „Wir arbeiten mit einer komplett neuen Präsentationsform“, so Baier. „Wir werden sowohl eine analoge Handlung haben – also eine szenische Handlung im Kirchenraum – als auch die Bespielung dessen durch Video und somit Digitalität.“ Für die visuelle Gestaltung konnte das Festival Retz Videokünstlerin Nicole Aebersold gewinnen, die bereits für einen Oscar nominiert war. Man wolle die tiefgründigen Themen des Stücks in die heutige Zeit übersetzen und für das Publikum spürbar machen. „Wir möchten keine billigen Aktualisierungen, sondern Wirkliches und Nachhaltiges fühlbar und erlebbar machen“, betont Baier.
Charaktere zwischen Licht und Schatten
Um das Publikum zu fesseln, müssen die Charaktere natürlich bestens gespielt werden. Die Rolle des Abel ist eine besondere Herausforderung für die norwegische Sopranistin Eldrid Gorset. „Es ist eine sehr interessante Rolle. Vor allem, weil Abel zu Beginn ein naiver und unschuldiger Junge ist“, beschreibt Gorset. „Er versucht immer, das Gute in den Menschen zu sehen, und ist dankbar für alles, was Gott ihm gibt.“ Die Beziehung zwischen Kain und Abel bleibt dabei komplex und vielschichtig. „Es ist sehr interessant, diese beiden Pole zu sehen. Sie sind sehr kontrastreich“, so Gorset. „Wir alle haben diese Art der Beziehung in uns selbst. Sie ist sehr schwarz-weiß und gleichzeitig aber auch nicht, weil sich die Gegensätze immer anziehen und abstoßen.“
Anziehend wirkt auch der Ort Retz auf viele Zuseher, und das hat auch einen besonderen Grund, wie Christian Baier weiß. Er beschreibt Retz als einen Ort, an dem Kunst und Kultur Teil des täglichen Lebens sind. „Das Festival Retz existiert seit 19 Jahren, und das Schöne an diesem Festival ist, dass es ein sehr, sehr treues Stammpublikum hat“, erzählt er. „Aber: Da auch unsere Künstler in der Stadt präsent sind, bilden wir hier keine Kunstblase innerhalb der Gesellschaft. Wir reden mit den Leuten, sind ansprechbar. Bei uns in Retz, da tickt die Uhr einfach anders.“
Die Premiere von „La Morte di Abele“ findet am 5. Juli statt. Die Aufführung ist bis zum 21. Juli beim Festival Retz zu erleben.
Foto: © Baier