Story

Tansania: Geheimtipp Tarangire-Nationalpark

Safari für Einsteiger: Eine Tour durch Tarangire führt zu den großen und kleinen Bewohnern eines faszinierenden und weitgehend noch unberührten Lebensraums. Dieser „Nationalpark der Elefanten“ zählt zu den Geheimtipps in Tansania.
Elefant unter einem Baum
Tarangire ist bekannt für seine vielen Elefanten, doch auch alle anderen Wildtiere kann man hier hautnah erleben. © Heidrun Henke

Das erste Mal Afrika, das erste Mal Safari und das erste Mal einem Löwen in freier Wildbahn in die Augen schauen: Das ist ein Moment, der sich tief ins Gedächtnis einbrennt. Obwohl ich mich anfangs mit dem Gedanken an eine Safari nicht so richtig anfreunden konnte: Entspricht das nicht zu sehr dem Klischee einer Afrikareise? Will ich mich wilden Tieren wirklich nähern, ganz ohne Zaun oder Gitter dazwischen? 

„Du kannst nicht nach Tansania reisen, ohne eine Safari erlebt zu haben!“, höre ich von allen Seiten. Und in der Maasai-Lodge, in der ich während meines Aufenthalts in Tansania wohne, kehren alle Gäste mit leuchtenden Augen von ihrem Safaritrip zurück. Während sie ihre Eindrücke voller Begeisterung schildern, beginne ich zu ahnen, dass da etwas Großes im Busch ist. Und ich habe Glück, kann kurzfristig an einer Safaritour teilnehmen.

Tarangire-Nationalpark

Bereits am nächsten Tag geht es in den Tarangire-Nationalpark. Wir brechen im Morgengrauen auf, Kaffee und Pancakes stehen schon bereit. Hinter dem Kilimandscharo geht die Sonne auf. Das Naturparadies liegt im Norden des Landes, etwa drei Autostunden südwestlich der Stadt Arusha, die Ausgangspunkt für viele Safariabenteurer ist.

Er ist einer der weniger bekannten Parks in Tansania, zählt aber, von insgesamt 22, zu den fünf größten des Landes. Tarangire ist ein idealer Einstieg und gilt noch als Geheimtipp. Bekannt ist er vor allem für seine große Population an Elefanten und Antilopenarten. Durch seinen Vogelreichtum ist er auch bei Ornithologen sehr beliebt. Begleitet werde ich von einer routinierten Safari-Reisenden aus der Schweiz, die schon fast alle Parks ­des Kontinents gesehen hat und dieser „Sucht“ verfallen ist. Und von Filipo, unserem Driver und Guide, der sich als echter Massai mit moderner Weltanschauung herausstellt. 

African Massage

Nachdem die Asphaltstraße von Arusha zu Ende ist, geht es über viele Schlaglöcher und staubige Straßen Richtung Süden weiter. Wir werden in unserem Toyota Landcruiser – das Safarigefährt schlechthin – ordentlich durchgerüttelt. „African Massage“, ruft Filipo, während er in den Rückspiegel schaut und schelmisch grinst. Raue Verhältnisse, aber herzliche Menschen. 

Als wir beim großen Holzportal, dem Eingangstor des Parks, ankommen, steigt Filipo aus und holt den Passierschein. Meine Safarifreundin und ich nutzen die vielleicht letzte Chance auf einen Toilettengang und vertreten uns die Füße, solange wir noch können. Denn sobald man im Park ist, darf man nicht mehr aussteigen.

Baobab als Superfood

Die Sonne steht am Zenit; außer uns ist niemand unterwegs, sogar die Tiere fliehen vor der brütenden Mittagshitze und suchen sich Schattenplätze oder Erdlöcher. Die Sonne knallt erbarmungslos auf unsere neugierigen Häupter und die fast unheimliche Stille wird in regelmäßigen Intervallen vom Chor der Insekten unterbrochen. Unser Guide erklärt, dass man die meisten Tiere in den frühen Morgenstunden oder kurz vor Sonnenuntergang beobachten kann. So richte ich meinen Fokus auf die wunderschöne Landschaft, die sich leicht hügelig und sehr abwechslungsreich präsentiert. Auffällig sind die vielen Baobab-Bäume, auch Affenbrotbäume genannt. Im Tarangire gibt es einige der ältesten ihrer Art, die zuweilen 1.000 Jahre alt sind. 

Die imposanten Riesen sind Wahrzeichen der afrikanischen Landschaft und helfen, den Boden während der Trockenzeit feucht zu halten. Die Früchte des Baobabs sind auch für Menschen fixer Bestandteil des Speiseplans. In unseren Breiten werden sie wegen ihres hohen Anteils an Vitamin C, Eisen und Kalzium als Superfood gehandelt. Ihr skurriles Aussehen mit den dicken Stämmen und den weit in den Himmel ragenden Ästen haben ihnen den Namen „Upside Down Tree“ eingebracht. Filipo weiß dazu eine mythische Geschichte: „Der Baobab wurde wegen seiner Schönheit zu hochmütig, zur Strafe hat ihn Gott ausgerissen und umgekehrt in den Boden gesteckt.“ 

Zebras crossing

Als die Sonne tiefer steht, setzen wir die Expedition fort. Die ersten Tiere, die uns begegnen – und das gleich in Herden – sind Zebras. Ihr faszinierendes Muster ist nicht nur wunderschön, es hat auch einen Zweck: Zum einen sind die Streifen gut für den Hitzeausgleich, zum anderen verwirren sie Feinde. Auch Elefantenherden, für die der Park berühmt ist, lassen nicht lange auf sich warten. Die schweren und großen Stampfer kündigen sich schon von der Weite an. Wenn eine Elefantenkuh vorbeiläuft, wackelt die Erde und Staub wirbelt durch die Luft. Die Weibchen können unangenehm werden, wenn sie ihre Jungen in Gefahr sehen. Wird eine Elefantenkuh wütend, hat man schlechte Karten: Auch der robuste Landcruiser würde dann zum Matchboxauto. Zum Glück kommt das aber selten vor. 

Filipo ist nicht nur ein erfahrener Ranger, er bringt uns auch Respekt und Ehrfurcht vor Tier und Natur näher: „Willst du von der Natur ein Geheimnis erfahren? Dann sei leise, stell den Motor ab und lausche.“ Wir hören Vögel singen, Affen kreischen, Antilopen rascheln, Giraffen schmatzen und Hyänen gähnen. Und wir sehen Warzenschweine, Büschelohr-Spießböcke, Reiher, Löwen, Paviane, Büffel, Leoparden, Perlhühner, Adler, Geier, Mangusten, Termiten, Zebras, Wasserböcke, Vogelstrauße, Schakale, Gazellen und Geparde.

Tierische Geheimnisse

Faszinierend ist, wie die Tiere miteinander Symbiosen eingehen. Wie etwa das Zebra, das dem kurznasigen Gnu das Gras kürzt, damit es ihm beim Fressen nicht in die Augen sticht. Oder der Superb Starling, der mit Elefanten reist: Ihr Rücken ist ein idealer Landeplatz auf der Suche nach Futter. Von hier oben fängt der Vogel Insekten und befreit den Dickhäuter von Zecken und anderen Parasiten. Manchmal gibt es auch brutale Launen der Natur: Löwen töten zuweilen die Babys ihrer auserwählten Löwin, damit sie wieder Lust auf Junge bekommt und fruchtbar wird.

Termitenhügel, von weißen Ameisen angelegt, geben schon aufgrund ihrer Größe und bizarren Formen ein tolles Fotomotiv ab – sie sind aber auch raffiniert gebaut. Ihr ausgeklügeltes Belüftungssystem versuchen sogar Architekten nachzuahmen. Die kleinen weißen Termiten bauen Hügel, die bis zu 28 Meter hoch sein können und Tausende Jahre überdauern. 

Filipo weiß viel über die Pflanzenwelt. Er zeigt uns, womit man sich hier die Zähne putzt: Die Salvatora Perista ist ein ideales Kraut für die Mundhygiene, denn sie sondert eine antibakterielle Substanz ab und liegt gut in der Hand. Zur Ausbildung zum Nationalpark-Guide, die Filipo in Arusha absolviert hat, gehören unterschiedliche Disziplinen: Ökologie, Reptilienkunde, Insektenkunde, Ornithologie, Säugetierkunde und Botanik. Wer es hier in der Gegend zum Nationalpark-Ranger geschafft hat, verdient gut und kann seine Familie ernähren. Filipo freut sich dieser Tage, während wir hier mit ihm auf Safari sind, auf sein drittes Kind. 

Gänsehautmoment

Der Nationalpark ist riesig und erstreckt sich auf einer Fläche, die größer als Vorarlberg ist. Filipo hat kein Navi, seine Instinkte reichen zur Orientierung. Für den Notfall gibt es ein Funkgerät, das Meldungen der anderen Ranger überträgt, zum Beispiel: „Achtung, unten am Fluss Löwen gesichtet, sie liegen im hohen Gras unter dem Akazienbaum.“ Bald sind alle Safariautos, die sich gerade in der Nähe aufhalten, dort. Manche Ranger verlassen die präparierten Wege und fahren querfeldein ins Gelände, damit ihre Gäste möglichst nah herankommen können. Das ist allerdings verboten und kann den Driver die Lizenz kosten. 

Auch mit Filipo verlassen wir kurz die Wege. Und dann ist er da, der Gänsehautmoment – und der Löwe. Ein Löwenmännchen blickt mir direkt ins Auge. Ein tiefer, sinnlicher Blick für mich, für den Löwen zweifelsohne das Normalste der Welt. Vermutlich bin ich nicht seine erste Menschensichtung. Kann ich ihm trauen oder geht er gleich auf uns los, weil wir seine Mittagsruhe stören? Doch der Löwe nimmt den Zirkus an Schaulustigen mit Gelassenheit und kümmert sich nicht weiter um uns. Er legt sich wieder ins hohe Gras und macht ein Nickerchen, so wie er am liebsten seinen Tag verbringt. 

Kampieren im Safaripark

Abends geht die Sonne rasch unter, denn wir befinden uns nahe am Äquator. Bei angebrochener Dunkelheit fahren wir, nach etlichen Irr- und Umwegen, endlich zu unserem „Hotel“, einem Zeltcamp. Wir haben das echte Abenteuer gebucht und schlafen im Zelt. Die Camp-Ranger erwarten uns schon. Herzlich werden wir mit einem vitaminreichen Hibiskusdrink begrüßt und zu unseren Zelten geführt. 

Meines ist das letzte in der Reihe und liegt für meinen Geschmack eine Spur zu weit abseits. Statt eines Zimmerschlüssels bekommen wir einen Holzanhänger mit der Zeltnummer und einer Trillerpfeife, damit wir bei Gefahr Signal geben können. Das Zelt ist groß und sehr komfortabel, fast luxuriös: Es gibt richtige Betten, einen Schreibtisch mit Spiegel, Kleiderkasten, Dusche und Toilette. Das Abendessen wird in einem noch größeren Zelt serviert: stimmungsvoll und heimelig, mit Kerzenschein und einer Bar mit Klavier. 

Die Idylle wird durch einen jungen Elefanten gestört, der mit seinem Rüssel das Holzdach der Toilette abzutragen versucht. Eilig laufen die Ranger nach draußen und halten ihn mit Stöcken vom Randalieren ab. Wir Gäste beobachten das Spektakel halb ängstlich, halb fasziniert, und bewundern die mutigen Burschen. „Der Elefant ist in der Pubertät“, erklären uns die Ranger später, „Er will nur seine Kräfte messen.“

Schlafen wie ein Löwenbaby

Beim Essen lassen wir mit Filipo den Tag Revue passieren und versuchen, alle Tiere aufzuzählen, die uns im Laufe des Tages über den Weg gelaufen sind. Ein Watchman begleitet mich dann zum Zelt. Er leuchtet mit der Lampe in die dunkle Nacht, und plötzlich erblicken wir viele Augenpaare, die uns wie Scheinwerfer entgegenleuchten. Die Augen Dutzender Antilopen reflektieren den Lichtkegel der Taschenlampe. Der Watchman beruhigt: „Alles okay, sie können das Zelt zumachen, es gibt einen Reißverschluss. Sie werden schlafen wie ein Löwenbaby!“ Ich weiß nicht, ob mich der Reißverschluss beruhigen soll. Die Trillerpfeife halte ich die ganze Nacht fest umklammert. In der Ferne hört man Hyänen heulen und Löwen brüllen. Die Müdigkeit holt mich irgendwann ein. Unter meinem Moskitonetz fühle ich mich geborgen.

Am nächsten Morgen sind die Ängste der Nacht verflogen, es ist ein sonniger Tag. Kaffee, Frühstück und Lunchpaket stehen schon bereit. Ich verabschiede mich herzlich vom Personal des Zeltcamps, das uns in der Nacht vor allerlei ungebetenen Gästen beschützt hat. Zum Abschluss wollen sie wissen: „Wovor hattest du am meisten Angst?“ „Vor den Spinnen“, sage ich. Schallendes Gelächter – auch von mir, vor Erleichterung. 

Wir sind mit leichtem Gepäck angereist und fahren schwer beladen voller Eindrücke und Erlebnisse zurück. Die Liebe zur Natur und zu den Tieren wird im Zuge einer Safari so intensiv geweckt, dass man am liebsten selbst gleich die Ausbildung zum Nationalpark-Ranger machten möchte. Aber das wird wohl ein Traum bleiben, der mich an grauen Tagen in der Großstadt nährt.

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