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Gardasee: Die beste Zeit ist jetzt

Im Sommer ein klassischer Fall von Overtourism, lockt der Gardasee im Herbst nun auch feinsinnige Reisende mit exzellenten Restaurants. Die Zutaten für große Küche wachsen und ­schwimmen vor der Haustüre.
Luftbildaufnahme vom Gardasee
Nicht nur im Sommer traumhaft: Die guten Restaurants am Gardasee haben bis weit in den Oktober offen, viele sogar ganzjährig. © picturedesk.com

Der Gardasee ist von Norden nach Süden verlaufend in zwei Hälften geteilt. Die östliche gehört zum Veneto, die westliche zur Lombardei. Der Tourismus am Gardasee besteht ebenfalls aus zwei Teilen. Massenabfertigung und überfüllte Campingplätze zum einen, edle Paläste und Spitzenhotels zum anderen.

Zwei Welten, die miteinander kaum Schnittmengen aufweisen. Auf den Straßen, den Fähren und in den Dorf­zentren kommt es manchmal zum Kontakt. Die Staus in ­Lazise und rund um Sirmione sind berüchtigt. Im Herbst ist es dann erträglich, die Sonne taucht die Gegend in sanftes Licht.  Die guten Restaurants haben bis weit in den Oktober offen, viele sogar ganzjährig. 

Luxus pur

Dass man zwischen Arco im Norden und Sirmione im Süden schön wohnen kann, dies wussten auch die Faschisten. Die Villa Feltrinelli, einst Mussolinis Sitz am Ufer des Sees, ist jetzt ein Refugium für wohlhabende Gäste. Manches architektonische und gestalterische Detail erinnert wirklich an Bertoluccis Film 1900. Pasolini drehte hier seine 120 Tage von Sodom, den Film, den die Italiener lange nicht zu sehen bekamen. Ein amerikanischer Hotel­besitzer übernahm die Renovierung. Die Zimmer kosten ab 2.000 Euro. Die ­Anreise, wenn sich der Wagen langsam über den knirschenden Kies Richtung Seeufer bewegt, ist ein akustisches Erlebnis. Die Optik zu ­beschreiben, reicht der Platz nicht aus.

Vergleichsweise leistbar ist das Restaurant der Villa, das nur abends geöffnet hat, mittags wird eine kleine Auswahl à la carte serviert, die sich allerdings vom Abendessen klar unterscheidet. Man kann in der warmen Jahreszeit auf der Terrasse essen, der Innenraum bezaubert aber noch mehr. Ein solches Restaurant findet man selbst in Italien nicht überall.

Für die Qualität auf dem Teller steht der in Italien als Superstar gehandelte Stefano Baiocco. Eines seiner Signatures ist ein Salat aus je einem Blatt aller 150 unterschiedlichen Gewürzpflanzen, die im Garten der Villa wachsen. Aus Tee und Milch macht Baiocco eine wolkenartige Konstruktion, indem er aufgeschäumte Milch im Ofen trocknet, und serviert sie mit Spargel und getoastetem Sesam. Paccheri füllt er mit Rindertatar. Steinbutt teilt er in verschiedene Konsistenzen und Zubereitungen, darunter ein Gelee aus Tomaten und gebratenen Stücken vom Fisch und Steinbutt-Eier mit Nori-Algen. Zum Sorbet aus rosa Shiso gibt’s Franciacorta und Pfirsich. Erwartungsgemäß ist der Service an Eleganz und Stil nicht zu übertreffen. Zudem versteht man hier, wenig überraschend, auch noch viel vom Wein.

Wunderbare Olivenöle

Der erste Reise-Influencer der Geschichte, Johann Wolfgang von Goethe, schwärmte von Zitronen. Am Gardasee haben sie ihnen einen eigenen Ortsnamen gewidmet – Limone. Die Ortschaft ist Teil der wie eine Perlenkette aufgefädelten Ortschaften, die sich im Westen des Sees an die steilen Ufer schmiegen: Gargnano, Gardone und Salò. Gargnano beherbergt einige der schönsten Hotels am See, stilvoll gestaltete Villen und kleine Paläste.

Zitronen schmücken die Mitbringsel und Souvenirs, Geschirrtücher, Tischsets und Schürzen, die man in den kleinen Läden der Stadtzentren erwerben kann. Sie zählen zur Grundausstattung der Küchenchefs am Gardasee, wie das wunder­bare Olivenöl aus lokalen Sorten, das zwischen Arco und Salò angebaut wird. Casaliva und Leccine sind die beliebtesten Sorten. Die Öle, die man an ihrem Duft nach Gras und grünem Apfel erkennt und die im Hals ein wenig kratzen, passen sehr gut zu den Fischen aus dem See, zu gedämpftem oder rohem Gemüse und zu Frischkäse, nicht aber zu gegrilltem Fleisch. 

In den malerischen, engen Gassen Salòs finden sich neben Modegeschäften entzückende Weinbars und manch lohnende Adresse, um gut zu essen. Am Hafen empfehlenswert ist das Restaurant Due Punte Zero. Die Gäste nehmen je nach Wetter auf der luftigen Terrasse oder im kontemporär gestalteten Inneren Platz. Man startet mit einem Cannolo mit geräucherter Melanzani, Tomaten, Stracciatella und Basilikumöl, setzt fort mit Plin genannten Agnolotti mit Zitrone und Ricotta in einem Sud aus lokalen Süßwasserfischen und getoastetem Brot mit Fenchel und finalisiert nach einem Hecht auf einer Creme aus Polenta mit einem Dessert aus Zitronen und Schokolade, Crème Chantilly und Mascarpone. Küchenchef Alberto Bertani kocht schon länger an diesem Ort.

Ob er einmal zu den Stars am See gehören wird? Seine treuen Fans und Stammgäste hat er jedenfalls.

Das sagenhafte Lido 84

Die längste Warteliste auf einen freien Tisch hat zweifellos das Lido 84 im Nachbarort Gardone. Der spontane Gedanke an ein Essen hier ist auszuschließen. Das Haus liegt am Seeufer, man speist auf Augenhöhe mit dem Wasser und seinen Wellen. An manchen Tagen wirkt der See unendlich weit. Die Brüder Giancarlo und Riccardo Camenini arbeiteten in der Villa Fiordaliso, ebenfalls ein reizvoller Ort, bevor sie die Gelegenheit ergriffen, sich hier selbstständig zu machen. 

Das Lido 84 ist eine Mischung aus dezentem ­Luxus und Understatement. Es hat auch beim Preis nicht viel mit anderen diversen 50 Best-Locations gemeinsam. Kopenhagen oder Stockholm sind weit weg. Eines der Gerichte, mit denen Riccardo Camenini international Aufsehen erregte, ist das in der Schweinsblase gegarte und durch diese ­Methode sehr al dente geratene „Cacio e Pepe“. 

Die Methode wurde in Lyon populär – wobei sie dort Huhn statt Pasta nahmen –, stammt dem Vernehmen nach aber eigentlich aus dem alten Rom. Auch das Risotto mit schwarzem Knoblauch zählt zu den bekannten Gerichten des Hauses. Man sollte aber nicht einfach nur die Berühmtheiten essen, sondern das, was sich Riccardo gerade im Moment in den Kopf gesetzt hat. Das kann dann ein wunderbares, am Feuer gegartes Lamm von einmalig zartem Schmelz sein oder das Herzbries vom Kalb, das von einer würzigen Sauce aus Senf, Honig und Bergamotte begleitet wird. Sehr einnehmend ist die sehr lange gekochte, butterweiche Kalbszunge mit Fenchel, Orangen, Kapernblüten und Kohl, darauf locker arrangierte Blätter von Sauerampfer und vom Spinat. Die Torta di Rose ist ein unverschämt flaumiges, üppiges Dessert aus der Küche von Brescia, dessen Stücke man in eine Zabaglione taucht. Eine süße Sünde, die man sich nicht entgehen lassen sollte, und wenn es bedeutet, am nächsten Tag fasten zu müssen.

Kreatives Handwerk

Nochmals Goethe. Schlechtes Wetter soll ihn auf seiner Reise gezwungen haben, in Malcesine Halt zu machen. Das hat er sicher nicht bedauert, das Stadtzentrum lud vielleicht schon damals zum ­Flanieren ein. Heute warten kleine Bars mit einem gepflegten Apéro. Die Weinkultur um den See hat sich in den vergangenen Jahren rasant verbessert. Vecchia Malcesine ist das bekannteste Restaurant der Gegend. Es befindet sich über dem Zentrum, ruhig ­gelegen, mit beeindruckender Aussicht auf den Ort, den See und die steil ab­fallenden Felsen am gegenüberliegenden Ufer.

Das Essen verdient alle Aufmerksamkeit. Küchenchef und Patron Leandro Luppi gehört zu den alteingesessenen Stars am See. „Keep calm. It’s just food“ ist sein Motto. Machen wir. In guter Erinnerung bleibt ein Teller mit Lammkutteln, Tomaten und Ricotta. Zahnbrasse serviert er mit einer Jus aus Tomaten und Kräutersalat. Weiße Schokolade kommt in Form eines Emmentalers, dazu Püree aus Rhabarber. Noch etwas: Der Sonnenuntergang ist auf der Terrasse des alten Malcesine besonders spektakulär. Leandro Luppi ist nicht der einzige ­Küchenchef am Gardasee, der vom Kreativitäts­virus befallen ist. Er macht seine Sache allerdings sehr gut. 

Wer in Sirmione haltmacht, bucht möglicherweise einen Tisch im La Speranzina, einem Restaurant, zu dem auch ein kleines Hotel gehört, beide in spektakulärem Ambiente. Das Interieur ist fast komplett in Weiß gehalten. Die als extra kreativ angetretene Küche wirkt leider ziemlich zwangs­originell. Kann man interessant finden, muss man aber nicht mögen. Erholung vom kreativen Handwerk findet der Gast im vom Tourismus nicht vollkommen unberührten Ort Valeggio sul Mincio, einer Art Rheinfall auf Oberitalienisch, inklusive des pittoresken Dorfs, das direkt am rauschenden Fluss liegt. Hier kann man da und dort sicher anständig essen. 

Geniale Pasta im Alla Borsa

Im nebenan gelegenen Ortszentrum allerdings befindet sich das Restaurant Alla Borsa, Pilgerstätte für Liebhaber von Tortellini. Der Familienbetrieb von Alceste und Albina Pasquali verdankt Tochter Nadia, dass die Tradition des Hauses fort­gesetzt wird. Denn die Handarbeit, die für den täglichen Service der gefüllten Teigwaren notwendig ist, ließe sich nicht auslagern und auch nicht bezahlen, nicht einmal in Italien, wo die Lohnkosten deutlich geringer sind als im deutschen Sprachraum.

Man isst sehr gut im Alla Borsa. Viele Gäste konzentrieren sich auf die Tortellini und starten mit einer Rindsuppe mit winzigen Teigtaschen, die mit ­faschiertem Kalbfleisch und Kapern gefüllt sind, ein Wohlfühlessen von großer Eleganz. Tortellini werden mit Ricotta gefüllt und im Frühjahr mit Hopfenspargel serviert. Manchmal werden in den Teig essbare Blüten eingearbeitet. Dann wieder leuchtet die aus Basi­likum zubereitete Fülle durch den hauchdünnen Teig. Rund um Mantua ist es üblich, Tortelli mit ­Kürbis und Amaretti zu füllen, eine Kombination, an die man sich gewöhnen kann. Sehr gut gelingt im Alla Borsa auch das Cotoletta Milanese. 

Das legendäre Dal Pescatore

Die erwähnten Tortelli mit Kürbis gehören auch zu den Signatures eines der berühmtesten Häuser rund um den Gardasee. Das Dal Pescatore ist rund eine Stunde vom Südufer entfernt. Hier empfängt die Familie Santini seit vier Jahrzehnten Gäste, das Verhältnis Mitarbeiter zu Gäste beträgt eins zu eins. Die Magie, die dieses Restaurant verströmt, in einem Ort mit circa 100 Bewohnern im ­Niemandsland an einem gemächlich mäandernden Fluss, ist gewaltig. Sie speist sich aus der Geschichte des ­Orts und aus der geballten gastgeberischen Kompetenz, die die Santinis ausstrahlen.

Nadia Santini könnte längst im Ruhestand sein, aber sie arbeitet täglich bis spät in die Nacht in der Küche, um danach noch auf der Terrasse mit den Gästen zu plaudern. Ihr Mann Antonio hütet eine großartig sortierte Weinkarte. Es war in den Achtzigern seine Idee, gemeinsam mit der in Frankreich ausgebildeten ­Nadia das Restaurant an die Spitze Italiens zu führen. Natürlich wirkt das alles jetzt ein wenig aus der Zeit gefallen, auf liebenswerte Weise. Der formelle Service sowie manches, was auf den Teller kommt.

Die Kürbis-Tortelli wirken vielleicht nicht mehr ganz so aufregend wie früher, dafür glänzt der köstliche gegrillte Aal umso mehr. Aal gehörte hier immer zu den Standards, schon vor den drei Michelin-Sternen. Die als Vorspeise gereichte Hummerterrine wird täglich am Vormittag zubereitet. Das ist ein Aufwand, den man bei jedem Bissen schmeckt. Die beiden Söhne der Santinis sind bereits fest ins Geschehen eingebunden, in Küche wie auch Service. Der Fortbestand dieser Restaurantlegende scheint also gesichert. Wer ohne Flausen gleichzeitig aus­gezeichnet essen und trinken möchte, sollte sich unbedingt bald auf den Weg nach Runate machen.

Artikel aus A la Carte 04/2024.

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