Von der E-Mail an den Kollegen bis zur medizinischen Diagnostik: Immer mehr Menschen und Unternehmen nutzen Künstliche Intelligenz, um den (Arbeits-)Alltag zu vereinfachen. Fluch und Segen zugleich, wie auch Dirk Aßmann-Staudt weiß: Der Karriere-Coach, Informatiker und Autor aus Bensheim (D) beschäftigt sich vor allem mit textbasierten KI-Tools und hat uns verraten, wie Jobsuchende diese ideal für sich nutzen können.
schauvorbei.at: Wie hat KI den Bewerbungsprozess in den vergangenen Jahren verändert?
Dirk Aßmann-Staudt: Die Entwicklung ist von den Personalabteilungen ausgegangen. Dort werden Bewerbungsmanagement-Systeme eingesetzt, sogenannte ATS-Tools, die mittlerweile mit KI-Assistenten aufgewertet wurden. Und der Einsatz lohnt sich, denn viele Prozesse sind durch die KI deutlich beschleunigt worden. Zudem wurde immer klarer, was mit künstlicher Intelligenz in rasender Geschwindigkeit möglich ist, von der Stellenausschreibung bis zur Einstellung. Auch auf der anderen Seite, bei den Bewerbern, hat sich dann relativ schnell etwas getan. Die ersten Jobsuchenden haben angefangen, mithilfe von KI besser auf Stellenanzeigen einzugehen.
Dass jetzt beide Seiten KI nutzen können, ist toll, führt aber auch zu Schwierigkeiten. Erst vergangene Woche hat mir zum Beispiel jemand über einen FAZ-Artikel erzählt, in dem sich eine Dame von einem großen Unternehmen aus dem HR-Bereich darüber beschwert, dass alle Stellenanzeigen mit 100 % passenden CVs beantwortet werden. Wie soll man da eine Auswahl treffen?
Da sind wir auch schon beim großen Nachteil der KI im Bewerbungsprozess.
Dirk Aßmann-Staudt: Der wesentliche Punkt ist: Als Bewerber kann ich nicht einfach die KI nutzen und davon ausgehen, dass sie die Waffe für alles ist. Wenn ich der KI die Stellenanzeige und meinen Lebenslauf gebe und sage: „Erstelle mir ein optimales Anschreiben“, ist das der falsche Weg. So funktioniert es nicht, auch wenn viele es so verstanden haben. Die generische Konstruktion eines Textes ist sehr schnell offensichtlich. Es stellt sich also die Frage: Wie nutze ich KI, bleibe aber trotzdem authentisch und differenziere mich von den anderen Bewerbern?
„Das Wichtigste ist, der KI Futter zu geben.“
Dirk Aßmann-Staudt, Karriere-Coach
schauvorbei.at: Haben Sie diesbezüglich hilfreiche Tipps für Jobsuchende?
Dirk Aßmann-Staudt: Das Wichtigste ist, der KI Futter zu geben. Das heißt: Nimm auf keinen Fall nur die Stellenausschreibung und den CV und hoffe, dass die KI alles richtet. Denn der CV ist meist nichts als eine Auflistung von Tätigkeiten – null Persönlichkeit, null Zielsetzung, null Selbstreflexion über die eigenen Erfolge. Bei meinen Coachings bekommen meine Kunden deshalb zuerst einige Hausaufgaben von mir, die dafür sorgen, dass sie über sich selbst reflektieren und ihre Ziele und Wünsche definieren. Typische Fragen sind zum Beispiel: Was sind die Erfolge, über die du dich persönlich besonders gefreut hast? Welche Stärken musstest du dafür einsetzen? Das muss nicht unbedingt ein Firmenerfolg sein, das kann auch Organisationsarbeit in einem Tennisclub oder Ähnliches sein, denn da kommen ja die gleichen Stärken zum Tragen.
Diese Selbstreflektion nimmt einiges an Zeit in Anspruch, zahlt sich aber aus. Denn das Ergebnis ist ein Paper, das viel fundierte Wahrheit über die eigene Persönlichkeit enthält.
schauvorbei.at: Und wie komme ich von diesem Paper zur perfekten Bewerbung?
Dirk Aßmann-Staudt: Indem ich dieses Paper der KI gebe und sie eine Kompetenzfeldanalyse sowie eine Persönlichkeitsanalyse durchführen lasse. Dabei erhalte ich all die Keywords, die mich besonders gut beschreiben. Das hat noch gar nichts mit dem konkreten Job, auf den ich mich bewerben möchte, zu tun. Aber zusammen mit der Stellenausschreibung sowie dem CV, der die bisherigen Tätigkeiten beinhaltet, bekomme ich ein hochgradig individuelles Bewerbungsschreiben heraus. Zum Schluss muss man noch darauf achten, dass die Ausdrucksweise im Text auch wirklich der eigenen entspricht, und gegebenenfalls das ein oder andere umformulieren.
Noch ein Tipp für alle, die bereits selbst, ohne KI, einige Bewerbungsschreiben verfasst haben: Man kann der KI diese Texte geben und sie bitten, den eigenen Stil und die Tonalität für weitere Anschreiben zu nutzen.
Wer den Bewerbungsprozess mit KI auf diese Weise angeht, beherrscht die KI wirklich.
schauvorbei.at: Zusammengefasst ist also wichtig, die KI möglichst viel über sich wissen zu lassen?
Dirk Aßmann-Staudt: Genau. Ich habe Chat GPT zum Beispiel so konfiguriert, dass die KI genau weiß, dass ich Dirk bin, wie mein Familienstand ist, was ich in meiner Freizeit mache, dass ich als Jobcoach arbeite, welches Kundenklientel ich habe, was die Prozesse bei meiner Arbeit sind, wie ich mich ausdrücke usw.
Es ist außerdem wichtig zu begreifen, dass es sich um eine Intelligenz handelt und nicht um ein Programm wie Word oder Excel. Wir können jetzt über den Begriff Intelligenz streiten. Aber wenn Sie mich fragen, was ich einem Bewerber raten würde, würde ich heute A, B und C sagen und morgen vielleicht D und E, weil ich noch einmal darüber nachgedacht habe. So funktioniert auch die KI, sie gibt auf die gleiche Frage unterschiedliche Antworten. Wer das nicht verstanden hat, arbeitet falsch damit. Oder, wie es nun neudeutsch heißt: promptet falsch.
Für eine Stellenausschreibung bedeutet das: Ich gebe der KI alle Dokumente und sage „Bitte lies das durch und warte“ und dann „Stelle mir Fragen, was du damit tun sollst“. Wenn die KI die Frage gestellt hat, diskutiere ich mit ihr über die Zielsetzung, und die KI macht den Prompt selbst. Ich muss mir also keine Gedanken über den richtigen Prompt machen, sondern erkläre der KI, was ich erreichen will, und bitte sie, mir dabei zu helfen, den bestmöglichen Prompt dafür zu entwickeln. Insofern sind Prompting-Kurse überhaupt nicht notwendig, denn der beste Prompt-Schreiber ist die KI selbst.
Voraussetzung dafür ist natürlich, eine ganz klare Zielsetzung zu erarbeiten. Denn wer die KI mit Unklarheiten füttert, bekommt Unklarheiten zurück.
schauvorbei.at: Und es macht Ihnen keine Sorgen, dass die KI so viel über Sie weiß?
Dirk Aßmann-Staudt: Nein, weil das Modell bzw. die eigentliche Technologie von den Daten getrennt ist. Viele denken, wenn sie Infos über sich preisgeben, nimmt der KI-Hersteller die Daten, verkauft sie, und schon bekommt man personalisierte Werbung. Das ist nicht der Fall, denn das ist nicht das Geschäftsmodell der Hersteller. Die Grunddaten, die während der Chats gesammelt werden – und da sind die eigenen möglicherweise auch dabei –, werden dazu genutzt, die KI zu trainieren und zu verbessern. Das ist also nicht mit Google oder Facebook zu vergleichen.
schauvorbei.at: Was macht ein gutes Bewerbungsschreiben für Sie aus?
Dirk Aßmann-Staudt: Die richtige Argumentation, warum man die passende Person für die Stelle ist. Auf die Frage „Wieso sollten wir Sie anstellen?“ reicht es nicht, einfach die bisherigen Aufgaben aufzulisten, die im CV stehen. Ich muss den Leuten den Nutzen vermitteln, wie in einer Zahnbürstenwerbung. Putzen kann jede Zahnbürste – aber was macht das jeweilige Modell besonders? Auf den Menschen umgelegt: Es geht um Persönlichkeit und Individualität.
schauvorbei.at: Unabhängig davon, wie individuell das Bewerbungsschreiben mit KI gestaltet wurde, haben viele Bewerber die Sorge, dass die KI-Nutzung von Personalern erkannt wird. Was raten Sie diesen Menschen?
Dirk Aßmann-Staudt: Ich bekomme immer wieder die Frage: „Was ist denn, wenn die Personaler merken, dass ich KI benutzt habe? Die werfen mir dann doch bestimmt vor, dass ich geschummelt habe.“ Nein, sie erkennen, dass sie einen Bewerber haben, der sich aktiv mit KI auseinandersetzt und mit dem Tool der Zukunft umgehen kann. Das ist ein Asset! Ich würde auf kein Unternehmen mehr setzen, das KI grundsätzlich ablehnt.
schauvorbei.at: Wie hat sich Ihre Arbeit als Karriere-Coach durch KI verändert?
Dirk Aßmann-Staudt: Ich bin Diplom-Informatiker, und als solcher war ich total begeistert und neugierig, als ich die KI entdeckt habe. Relativ schnell habe ich sie mit Infos über mich gefüttert – wer ich bin, was ich mache, wie mein Arbeitsalltag aussieht, welche Prozesse vom Termin über das Coaching bis zur Honorarnote meine Tätigkeiten beinhalten und so weiter. Und dann habe ich die KI gefragt, in welchen Bereichen sie mich künftig ersetzen wird. ChatGPT formuliert das ja immer überaus freundlich. Die KI sagt nicht „Ich ersetzt dich“, sondern „Ich unterstütze dich“.
Herausgekommen ist jedenfalls, dass 35 bis 40 Prozent meines Umsatzes wegfallen werden, und ich habe daraufhin sofort damit angefangen, meine Arbeit zu transformieren. KI ist heute ein fester Bestandteil meines Arbeitens und macht viele meiner Tätigkeiten effizienter. Dadurch kann ich mich viel besser auf den therapeutischen, emphatischen Coachingprozess konzentrieren. Insgesamt bin ich schneller als früher.
schauvorbei.at: Welche Veränderungen erwarten Sie sich in den nächsten Jahren, was das Zusammenspiel von KI und Bewerbung betrifft?
Dirk Aßmann-Staudt: Mein Ziel ist, dass der Bewerbungsprozess wieder persönlicher wird. Dass die Firmen darauf setzen, die Menschen persönlich zu bewerten und kennenzulernen. Momentan scheint alles in die Anonymität abzugleiten – eine KI bewertet meine Bewerbung, sortiert mich ein und so weiter. Wir müssen den Menschen aber wieder als Menschen sehen, um erkennen zu können, ob er ins Unternehmen passt oder nicht.
Den Bewerbungsprozess der kommenden Jahre stelle ich mir so vor: Wenn ich klug mit KI umgehe und eine tolle Bewerbung erstelle, die meine Persönlichkeit zum Ausdruck bringt, werde ich vom Arbeitgeber zu einem Gespräch eingeladen. Eine KI macht dann ein Transkript des Gesprächs und bewertet die Antworten und das Verhalten.
schauvorbei.at: Und welche Auswirkungen der KI auf den Jobmarkt erwarten Sie sich?
Dirk Aßmann-Staudt: Es ist natürlich schwer für Menschen, deren Job von der KI übernommen werden kann, etwa für Textübersetzer. Aber es gab schon immer große Veränderungen und neue Berufsbilder, die durch diese Veränderungen entstanden sind. Generell sehe ich als Elternteil und Coach die Chance, sich über die KI besser zu platzieren und seine Stärken mehr zum Tragen zu bringen als jemals zuvor.
Danke für das Gespräch!
Mehr Tipps und weiterführende Hilfestellung geben Dirk Aßmann-Staudts Ratgeber „KI in Bewerbung und Karriere“ (für Bewerber) sowie „KI im Coaching“ (für Coaches).