schauvorbei.at: Peter, du nennst dich kochender Sommelier. Was hat für dich mehr Gewichtung?
Peter H. Müller: Mittlerweile ist es im Lokal auf ziemlich direkter Augenhöhe. Allerdings bin ich und bleibe ich Sommelier und habe Koch nicht gelernt. Ich habe mir viel selbst beigebracht und – wie das Köche so tun, nur ich gebe es halt offen zu – mache ich gekonntes Abgucken und Dazudichten. Wir können nicht alles neu erfinden, sondern wir können Puzzleteile neu zusammenlegen. Und im Gegensatz zu früher, als der Küchenchef mir ein Menü gegeben hat und gesagt hat: “Such Weine dazu aus”, ist es bei uns oft auch so, dass der Wein zuerst da ist, und dann machen wir ein Essen dazu. Das ist auf jeden Fall ein Unterschied: dass ich aus der Sommelier-Sicht an die Küche herangehe.
schauvorbei.at: Was unterscheidet den Heimlichwirt noch von anderen Lokalen in der Gegend?
Peter H. Müller: Hier gibt es keine Tischwäsche und kein Tafelsilber. Das Besteck steht am Tisch, man nimmt sich das und dann ist es wie bei mir zu Hause am Esszimmertisch: Abschlecken und Wiederverwenden, bitte. Denn erstens sind wir hier nur zu dritt im Lokal und zudem finde ich es nicht mehr zeitgemäß, jeden Gang neu einzudecken. Ist für mich nicht mehr notwendig. Knigge darf man bei uns an der Garderobe abgeben. Man begegnet sich auf Augenhöhe, man ist respektvoll miteinander, man schätzt und achtet das, was passiert und was man bekommt und wen man gegenüber hat. Das reicht. Der Rest ist schön, ich feiere das auch und gehe immer wieder mal gern richtig schöne Restaurant-Klassik zelebrieren. Aber hier brauche ich sie nicht mehr.
schauvorbei.at: Ein Deutscher im Burgenland. Wie kam es dazu, dass du dich genau hier niedergelassen hast?
Peter H. Müller: Ich war 2007 zum ersten Mal sehr bewusst hier auf einer Weinreise. Und 2011 habe ich in Gols ein Praktikum bei einem Weingut gemacht, weil ich die andere Seite kennenlernen wollte. Das Wein-Machen und nicht nur das Wein-Ausschenken, Einkaufen, Bestellen und Erklären. Da ist eine Freundschaft hier entstanden. Und seitdem waren meine Frau und ich eigentlich fast jedes Jahr hier zu Besuch. 2013 standen wir mal am Neusiedler See, haben uns angeschaut und gesagt, “hier könnte man es schon mal aushalten”. Und da war noch nichts von all dem geplant. Dass es dann Gols wurde lag daran, dass ich lange auf der Suche nach einem Objekt war. Somit wurde es dann hier die ehemalige Pizzeria.
schauvorbei.at: Was macht für dich einen guten Sommelier aus? Geht es da auch um Menschenkenntnis?
Peter H. Müller: Ja, klar! Das ist das Um und Auf. Also Fachkenntnis ist vorausgesetzt, wenn ich einen Beruf ausübe. Und ein Sommelier ist ganz klar ein Beruf, der mit den Menschen umgeht und das Wichtigste ist erstens mal gut zuhören können und wollen, und dann auch Dialog führen. Es gibt keinen schlimmeren Sommelier als denjenigen, der dir das aufs Auge drückt, was er für richtig hält. Und wenn der Gast sagt ‘Ich mag keinen Riesling‘, dann ist es nicht Sommelier-Aufgabe ‘Ich bringe dir jetzt den, der dir schmecken wird‘. Gut, dann nehmen wir was anderes und unterhalten uns.
Was ich zum Beispiel auch gerne frage: ‘Was brauchst du gerade? Was Anregendes oder was Beruhigendes?‘ Weil ein Wein kann das alles, er kann dich runterbringen, er kann dich aber auch wach machen. Es geht immer um die Emotionen dahinter. ‘Was wollt ihr trinken? Wollt ihr euch über den Wein unterhalten? Überhaupt, wollt ihr euch damit auseinandersetzen oder soll das was sein, was einfach nur getrunken werden kann, weil ganz andere Sachen gerade wichtiger sind?‘ Weil sich die Gäste vielleicht über den Urlaub unterhalten wollen, der geplant werden muss? Da muss ich jetzt nicht eine Viertelstunde ins Glas riechen und diskutieren. Das ist sehr wichtig. Ich bin derjenige, der auf die Stimmung reagieren muss, die am Tisch ist. Soll das zum Essen passen? Ist das wichtig? Machen wir eine Begleitung? Glas oder Flasche? Was wird gesucht? All das muss ich rausfinden. Innerhalb von kürzester Zeit. Wen habe ich vor mir? Sind das Menschen, die jetzt gar nicht den Dialog suchen, weil sie noch einen Vertrag unterschreiben müssen hier am Tisch? Ist das ein Paar? Haben die sich im Auto noch gestritten? Ich bin ja kein Therapeut, sondern Gastgeber. Aber dann muss ich halt einen Schritt zurückgehen und einfach gucken. Und wenn der mir eine Bestellung „hinspuckt“, dann ist es die, wenn ich offensichtlich merke, dass er keine Beratung sucht.
Wenn aber Beratung gesucht wird, dann kriegt die Person sie. Und genau das, also Menschenkenntnis und das Wahrnehmen von Stimmungen und Empathie, macht einen richtig guten Gastgeber aus. Und Sommelier ist Gastgeber in erster Linie. Und dann derjenige, der den Genuss auch managt, wenn man es zulässt.
schauvorbei.at: Das klingt nach viel Psychologie.
Peter H. Müller: Ja. Und wie gesagt, Fachkenntnis ist vorausgesetzt. Ohne diesem Gerüst geht gar nichts. Ich muss genau wissen, worüber ich rede und auf meiner Karte muss ich jeden Wein kennen, die Rebsorten, die Zusammenstellung, wo er herkommt, warum er gemacht wurde, wie er gemacht wurde, da, wo er gemacht wurde, von wem er gemacht wurde. Das muss ich draufhaben. Und bei allem, das nicht auf meiner Karte steht, muss ich nur wissen, wo ich es nachschlagen kann. Aber meine Weinkarte muss ich in- und auswendig kennen.
schauvorbei.at: Deine Mitarbeiter können das auch?
Peter H. Müller: Nein, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Aber sie sind sehr interessiert. Wir sind insgesamt zu dritt. Also, wir sind ein sehr, sehr kleines Team. Und da meine ich wirklich insgesamt: hier gibt es nicht noch einen Abwäscher im Hintergrund oder sonst jemanden. Wir sind drei Personen, die alles machen: Glühbirne austauschen, Fisch filetieren, Wein empfehlen.
Kommen wir zur Küche. Welche Philosophie steckt hinter eurer Speisekarte? Und was kommt bei euch auf den Teller?
Peter H. Müller: Frisch gekochtes Essen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aus guten Zutaten. Ich bin aber in keinster Weise dogmatisch. Wir haben sehr viel Regionales, aber wenn wir mal Lust auf eine Cashew haben, dann kommt auch eine Cashew auf den Teller, weil sie dazu passt, weil es Sinn ergibt. Die Qualität vom Gesamtergebnis ist das Wichtige. Und Aromen treiben mich an. Es gibt schon auch mal einen Tafelspitz, aber den gibt es dann ziemlich sicher nicht klassisch, sondern mit anderen Begleitern außenrum. Und die Teller sind schon irgendwie Ensemblestücke, weil da gibt es nicht den einen Star, das Stück Fleisch und dann liegt ein Bissen Erdapfel daneben, sondern es sind immer Ensemblestücke.
Gemüse, Kräuter und Frisches spielen bei uns eine große Rolle. Dadurch, dass wir hier viel tolle Landwirtschaft haben – hier wächst fast alles – kann man auch richtig schön damit spielen. Sprich: die Hälfte der Karte ist vegetarisch. Aber nicht, weil wir irgendeinem Trend folgen oder das aus einer Grundüberzeugung her machen, sondern weil dann dem Teller nichts fehlt und er einfach so in sich stimmig ist. Und ansonsten ist es eine kreative, zeitgemäße, moderne Wirtshausküche. Irgendwie sowas.
schauvorbei.at: Um auf den Tafelspitz zurückzukommen – warum ist es dir so wichtig, dass es nicht klassisch auf den Teller kommt mit Semmelkren, Spinat und Erdäpfelrösti?
Peter H. Müller: Klassisch koche ich vielleicht mal zu Hause. Aber das kriege ich ja hier in der Gegend ganz oft und auch ganz oft sehr gut. Ich freue mich immer über Vielfalt und ich bin Gastronom in Gols. Aber wenn es nach mir ginge, könnten hier noch drei Restaurants mehr stehen. Das würde sich befruchten. Da würde niemand dem anderen was vom Teller nehmen, buchstäblich. Solange alle bisschen was anderes machen. Und, ich liebe Wiener Schnitzel. Aber ich brauche es hier nicht anbieten. Das können andere besser. Ich mache einfach andere Sachen. Wir ändern ja jede Woche ein Gericht, so dass nach sechs Wochen die Karte einmal rotiert ist. Damit sind wir saisonal. Die Leute haben mehr Abwechslung und wir haben die Herausforderung, jede Woche was Neues zu machen.
schauvorbei.at: Es gibt hier in der Gegend ganz viele gute Produzenten, wo du deine Lebensmittel beziehst. Kannst du ein paar deiner Lieferanten nennen?
Peter H. Müller: Ja, klar. Zum Beispiel Clara Heinrich. Die hat vor zwei Jahren richtig intensiv zu gärtnern begonnen – das ist quasi Demeter-Qualität. Und es ist 500 Meter Luftlinie, was Besseres kann mir eigentlich gar nicht passieren. Sie macht ein paar ausgefallenere Sorten, weil sie sich gerne auch ausprobiert. Und das ist genau das, worauf wir Lust haben. Oder: Die Tochter von Sepp Ruttner aus Podersdorf zum Beispiel, der uns mit seinem großartigen Spargel versorgt – sie hat einen Inder zum Mann und hat begonnen, Okraschoten anzubauen. Und selbst in Sri Lanka habe ich noch nicht so gute Okraschoten gegessen wie die, die ich von ihr bekommen habe. Und das ist was, das ich feiere. Das ist dann so ein Zeitfenster von vier, fünf Wochen wo es die gibt und dann ist das halt wieder vorbei. Aber das ist ja auch das Schöne daran, dieser Wechsel. Darüber bin ich sehr glücklich. Dann, wenn es um Mangalitza geht: Ganz klar „GöJo” in Frauenkirchen. Josef Göltl – oder kurz seine zwei ersten Silben „GöJo“. Das ist der Schweinebauer meines Vertrauens. Ja, das ist schön, dass es so viele kleine Produzenten hier gibt. Dann muss man sich nicht immer beim Großhändler alles zusammensuchen.
schauvorbei.at: Das heißt, du schaust, dass du sehr viel Regionales bekommst.
Peter H. Müller: Genau. Aber auch der Wiener Nussberg oder sonst was in der Nähe, das ist für mich auch regional. Wenn ich an die kleinen Karpaten gehe oder nach Bratislava. Das ist nämlich genauso weit. Regional hat für mich nichts mit einer politischen Grenze zu tun. Das ist den Reben egal und mir ist es auch egal. Genauso ist Ungarn regional, da kriegen wir auch einiges her.
schauvorbei.at: Stichwort ehrliche Küche und ehrlicher Wein: Immer wieder ist das auf deiner Website zu lesen. Möchtest du da ein bisschen was dazu sagen, was das für dich bedeutet?
Peter H. Müller: Es geht um Augenhöhe. Wenn es „die eine Weisheit“ für mich gibt, dann ist es ‘ehrlich währt am längsten‘. Ich mag kein vorne rum und hinten rum. Wir können viel Gutes tun, das Ungute können wir uns einfach sparen. Und beim Essen ist es genauso: da meine ich mit ehrlich, dass wir handwerklich auch manchmal an unsere Grenzen kommen können und das ist okay. Weil für mich ist jener Teller enttäuschend, wo jemand zu viel gewollt hat und das dann aber nicht erreicht. Dann lieber einen Gang zurückschalten und einen richtig guten Schweinsbraten machen, aber der rockt dafür.
Und das meine ich mit ehrlicher Küche. Beim ehrlichen Wein ist es, dass ich da einfach auch was „spüren“ will. Der darf nach was schmecken! Und es gibt leider Gottes viele Weine, die nach einem „Rezept“ gemacht werden, weil sich das etabliert hat und der Markt danach verlangt. Ich habe lieber einen Wein, der vom Winzer so gemacht ist, wie er ihn gerne haben will aus dem Jahr, in dem er entstanden ist und auch zulässt, dass das dokumentiert wird, anstatt zu sagen „da nehmen wir ein bisschen Säure raus, weil es war kühl und wir mussten einfach ernten“. Wenn man etwas rausnimmt, dann ist das tatsächlich schmeckbar – also für jeden, der sich mit der Materie schon intensiv über 15 Jahre befasst hat. Vielleicht nicht für jeden da draußen, aber für mich schon.
schauvorbei.at: Alkoholfreie Weine: aktueller Trend, der vorübergehen wird oder gekommen, um zu bleiben? Was denkst du darüber?
Peter H. Müller: Ich persönlich halte nicht viel davon. Es gibt so viele hervorragende alkoholfreie Getränke – ganz gleich ob süß oder nicht – da ist alkoholfreier Wein für mich nicht notwendig. Außerdem sind diese Eingriffe, ebenso wie Zu- oder Entsäuern bei Weinen mit Alkohol, sehr schmeckbar, und das meine ich nicht im positiven Sinne. Ich halt auch nichts davon, Hähnchenkeulen aus Tofu anzubieten oder Steak aus pflanzlichen Proteinen. Es gibt so viele köstliche vegane und vegetarische Speisen auf dieser Erde. Ich finde es schade, dass Alkohol momentan undifferenziert als böse dargestellt wird. Ich persönlich halte viel mehr von ganzheitlicher Reflektion und Handeln mit Bedacht und Achtsamkeit auf sich, andere und die Umwelt.
schauvorbei.at: Du bist jetzt schon fünf Jahre lang hier in Gols an dieser Stelle. War das immer einfach?
Peter H. Müller: Nein, es ist noch immer nicht einfach. Wir haben am 6. März 2020 aufgesperrt. Wir hatten exakt sieben Tage, das Wochenende vom Aufsperren, dann eine reguläre Woche. Und dann war Lockdown Nummer eins. Wir haben sehr lange auf die Ausgleichszahlungen gewartet, da sind andere schon weggebrochen. Das war schon sehr hart, aber jetzt bin ich glücklich darüber. Und es kommen jedes Jahr andere Herausforderungen dazu, die die Menschen beeinträchtigen. Einfach die Zeitung aufschlagen macht keine Freude mehr, weil kaum guten Nachrichten geschrieben werden. Aber uns geht es allen sehr, sehr gut. Wenn ich jetzt in irgendeiner Form sage, dass ich „erfolgreich“ bin, dann aufgrund der Tatsache, dass wir noch da sind.
schauvorbei.at: Was wünscht du dir für die Zukunft als Sommelier und Gastgeber? Möchtest du noch weitere fünf Jahre hier in Gols das „Wirtshäuschen am Kreisverkehr“ sein?
Peter H. Müller: Ja, auf jeden Fall. Die zehn Jahre möchte ich auf jeden Fall vollmachen. Lebensfreude wünsch ich mir ganz einfach. Und mit Essen und Trinken erreicht man die auch.
Peter, lieben Dank für das nette Gespräch!