Story

Erbsen und Gurken als Stars in der Spitzengastronomie

Was ist Albino und wie schmeckt Lagrima? Gurke und Erbse zählen zum ersten Gemüse, das in die Ernte geht. Zwei Produzenten verraten, worum sich die Kochelite reißt.
Beim Ernten der ersten Erbsen muss Michael Bauer (Mitte) noch in die Knie gehen. © Michael Reidinger

Bevor Landwirtin Christa Wonisch ihren meterlangen Gurken-Folientunnel im steirischen Straden betritt, legt sie ihre Schutzmontur an. Vorbe­reitet hat sie dicke Einmalhandschuhe und ein langärmeliges dünnes Baumwollhemd, womit sie sich auf den Weg ins grüne Dickicht macht. Nur so kann sie sich bei der mehrstündigen Ernte im widerspenstigen Blätterwald vor den Millionen von borstigen Härchen schützen, die ihre Arme zerkratzen würden und für unangenehmen Juckreiz sorgen. „Solche Vorsichtsmaßnahmen braucht es bei den anderen Kulturen nicht“, sagt die Steirerin, während sie auf ihrem selbst gebauten Erntewagen die letzte Kiste mit zarten Gurken befüllt, die nicht einmal so groß wie ein kleiner Finger sind und einen imposanten gelben Blütenkelch tragen.

In diesem Reifestadium verkauft Wonisch die ersten Erträge der Wärme liebenden Gurken bereits ab Mai an die Spitzengastronomie in der Region. „Sie sehen toll aus, sind essbar und für mich ergibt sich der Vorteil, dass die Pflanze einen Extra-Energieschub bekommt, um weitere Früchte auszubilden.“ Die Haltbarkeit der filigranen Gurke ist allerdings begrenzt, weshalb die Miniaturausgabe samt Blüte am Tag der Auslieferung geerntet wird. Der Mehraufwand macht sich in der Zusammenarbeit mit den Köchen ­bezahlt. „Sie bekommen von uns ein besonderes Produkt und haben dafür im Gegenzug auch Verständnis, wenn wir wegen Schlechtwetter ein paar Tage nicht ernten können.“

Kultivierte Raritäten und Exoten

Am jährlichen Anbauplan der experimentierfreudigen Landwirtin, die Teil der „Jungen Wilden Gemüsebauern“ in der Steiermark ist, sind bis zu sieben unterschiedliche Gurkensorten gelistet. Dazu zählen neben der klassischen Feld- und der Schlangengurke auch Besonderheiten wie die schneeweißschalige „White Star“, die erstmals 1893 in New York gezüchtet wurde und auch als Albino bekannt ist, die von Weiß-Grün auf Braun ­abreifende walzenförmige Russische Gurke mit bis zu zehn Zentimeter Durchmesser sowie die „Zitronengurke“ (sie verdankt ihren Namen nicht nur ihrer Farbe, sondern auch ihrer Form und Größe). Neben ihrem unverwechselbaren Gurkenaroma schmeckt diese Sorte auch süß-säuerlich.

Obwohl von der insgesamt 8.000 Quadratmeter großen Folienhaus-Anbaufläche mit 500 Quadratmetern scheinbar wenig Platz für Gurkenpflanzen reserviert ist, gelten sie für Wonisch als eine wichtige Kultur: „Gurke ist zu einer Zeit reif, in der wir kaum schon etwas anderes ernten können. Die Kunden freuen sich auch richtig darauf, weil mit den Gurken sofort ein Sommergefühl entsteht, obwohl man auf die Paradeiser noch warten muss“, sagt sie und setzt nach: „Wenn die Pflanze einmal damit beginnt, Früchte auszubilden, dann von null auf 100, und man hat Gurken in Unmengen.“ Geerntet wird dann an sieben Tagen in der Woche. Und das in allen Spielarten, die sich die Kochelite wünscht: „Wir haben Gurken von kleinfingerdick über daumendick bis hin zu zweifingerdick und groß, mit einem Gewicht von einem halben Kilogramm pro Stück“, zählt sie die Bandbreite auf.

Während die Ernte der erstgesetzten Gurkenpflanzen Anfang Juli ihren Höhepunkt erreicht und parallel dazu der zweite Satz in die Ernte geht, muss sich Wonisch beim Reifeprozess einer Sortenrarität ein weiteres Monat in Geduld üben. Die Afrikanische Horngurke ist ein bizarres Gewächs, dessen Früchte birnengroß ausgebildet werden, eine mit Stacheln übersäte panzerartige Schale in Gelb-Orangetönen besitzen und fast zur Gänze mit aromatischem grünen Kerngehäuse gefüllt sind. Erst im August trägt das wild wachsende Gurken-Gestrüpp Früchte, die nicht nur optisch außergewöhnlich sind: „Die Horngurke geht in Richtung Passionsfrucht, und wenn man sie vor sich hat, denkt man eher an etwas Tropisches als an Gurke.“

Kalt, thermo-behandelt oder kandiert

Verarbeitet wird sie unter anderem im Restaurant Geschwister Rauch in Trautmannsdorf von Spitzenkoch Richard Rauch, den Christa Wonisch aufgrund der geografischen Nähe in nur sieben Autominuten mit dem Gurkenexoten beliefern kann, der den Namen Kiwano trägt. „Wir nehmen Christa im Spätsommer gleich größere Mengen davon ab, weil man sie gut einlagern kann. Serviert werden sie von uns im Herbst, wenn die Gäste Gurke nicht mehr am saisonalen ­Radar haben“, verrät Rauch. Er verarbeitet die Kerne mit ihrer gallertigen Schicht gemeinsam mit gedörrten ­Paradeisern und gehackten rohen Schalotten zu einer Vinaigrette und kombiniert sie etwa mit kurz gebeiztem Fisch und Dille: „Das Innenleben der Kiwano hat eine Textur wie Kaviar, und trotzdem erkennt man den Gurkengeschmack. Das macht sie für uns so spannend.“

An die 20 Kilogramm Gurke benötigt der Spitzenkoch in den Sommermonaten pro Woche. Die filigranen Gurkenwinzlinge mit Blüte kommen bei ihm etwa als Starter in Schüsselchen gefüllt zum Einsatz. Den Blütenkelch bestäubt Rauch mit Balsamessig von Alois Gölles und serviert dazu eine Creme von Ziegenfrischkäse mit Zitronenthymian, in die man den rohen Happen tunkt. Gurken in etwas größerem, aber noch immer juvenilem Stadium mit Fingerdickbreite vakuumiert er zwei Stunden vor Servicebeginn in einem leichten Säure-Essigfond mit Zitronenverbene und Fenchel, schneidet die Shortcut-eingelegten Essiggurkerl der Länge nach auf, belegt sie mit Saiblingstatar und schickt sie als bewusst knackigen Snack zum Gast. Selbst mit Gurkenschalen weiß der erfinderische Koch etwas anzufangen und röstet die langen grünen Bahnen gerne am Gasherd, sodass die Ränder leicht anbrennen. Danach entsaftet er sie und verrührt den tiefgrünen Saft mit rauchigen BBQ-Noten schlampig mit Mandelöl, bevor er sie zu gedämpftem weißen Spargel serviert. „In unserem Restaurant bleiben die Gerichte mit Gurke immer sehr leicht. Dafür darf es im Wirtshaus üppiger sein, da gibt es dann den klassischen Rahm-Gurkensalat zu einem gebackenen Kalbsbries.“

Während Richard Rauch auf die kühlende Frische der Gurke setzt und das Gemüse vornehmlich kalt aus der Küche schickt, hat Kollege und Freund Thomas Dorfer vom Landhaus Bacher im niederösterreichischen Mautern an der Donau auch Gefallen da­ran gefunden, das Gemüse thermo-behandelt auf den Teller zu setzen. „Mit warmen Gurken haben viele ein Problem, deshalb zeige ich gerne bei meinen Kochkursen, dass es trotzdem schmecken kann. Gurke braucht immer Süße, Säure und etwas Schärfe. Mit einem guten Essig, ein bisschen Ingwer und Honig leicht angeschmort und etwas untergezogenem Sauerrahm schmeckt warme Gurke zu Fisch richtig super“, argumentiert der Spitzenkoch die Skepsis in zwei Sätzen weg.

Seit Jahren taucht auf seiner Speisekarte auch immer wieder „kandierte Gurke“ als Komponente in einem Gericht auf. Dazu wird Gurke geschält, entkernt und längs geviertelt, eingesalzen, gezuckert und im Anschluss in einer Marinade aus Miso, Sojasauce, viel Honig, Fenchelsamen, Dille und Distelöl vakuumiert, bevor sie für fünf Stunden unter Dampf im Rohr bei 70 Grad verbringt und zu bernsteinfarbenen Umami-Bahnen transformiert, die Dorfer als Geschmacksträger für einen vegetarischen Gang einsetzt und mit rohem Gurkensalat, Holunderblüten-Hafermilch-Marinade, gepickeltem Bummerlsalat, Pistazien-Tapenade und eingelegten Sauerkirschen kombiniert. Oder er grillt die kandierte Gurke kurz und setzt sie mit Lamm auf die Karte. Aus den Feldgurken, die er wie auch andere Gurkenspezialitäten von Franziska Lerch, der Bäuerin seines Vertrauens, aus Straß bezieht, legt der Spitzenkoch jedes Jahr einen großen Vorrat an Senfgurken („sie eignen sich als Suppeneinlage“) an. 50 Gläser aufwärts werden mit den großzügig geschnittenen Gurkenstücken befüllt. „Das geht nicht immer gut, manchmal werden die Gurken zu weich“, gibt der Spitzenkoch offen zu. „Meine Mutter war ja davon überzeugt, dass man beim Einlegen von Senfgurken auf die Mondphasen achten muss. Ich kann damit nicht viel anfangen, aber eventuell ist doch etwas dran.“

„Grüner Kaviar“: Griss um die Erbsensorte Lagrima

In Stetten bei Korneuburg kultiviert Michael Bauer – seit 40 Jahren ausgewiesener Spezialist in Sachen Gemüse, Obst und Wildkräuter und Lieferant von über 25 Spitzenrestaurants in Wien – neben einer Fülle an Gurkensorten auch Erbsen. Knapp 100 Meter vom Haus entfernt setzt er ­neben einem seiner Folientunnel auf kleiner Fläche das Market-Gardening-Prinzip auf 30 Meter langen Beeten erfolgreich um und baut, mit mehrfacher Belegung im Jahr, eine bunte Vielfalt an unterschiedlichen Kulturen an – und das in Farben, wie man sie sonst vermutlich noch nie gesehen hat. Erbsen zählen zu den ersten Pflanzen, die dort unter freiem Himmel aus der Erde schießen. Heuer sei die Nachfrage nach seinen Sorten „Maxigolt“ und „Exzellenz“ extrem gewesen: „Die Köche haben mich schon im Februar genervt, ob sie Erbsen haben können.“ Erklären lässt sich die hohe Nachfrage schnell: Während die Hülsenfrucht im konventionellen Anbau im voll entwickelten Zustand geerntet wird, pflückt Bauer sie gezielt in jungem Stadium, in dem der Erbsendurchmesser im Millimeterbereich angesiedelt ist und die Kügelchen noch winzig sind. „Ich nenne sie gerne Knack- oder Knallerbsen. Wenn man die mit der Zunge gegen den Gaumen drückt, dann explodieren sie regelrecht im Mund.“ Ein regelrechtes Griss ist allerdings um die spanische Erbsensorte Lagrima entstanden, die unter ihrer Hülle nicht kugelförmig wächst, sondern die Form einer Träne ausbildet und neben der aus­geprägten Erbsensüße auch eine subtile Salzigkeit besitzt.

Im Baskenland wird die Tränenerbse auch als „grüner Kaviar“ gehandelt – passend zum Preis, der im dreistelligen Bereich horrend hoch angesetzt ist. Der Grund ist nicht nur in der aufwendigen Ernte und der geringen Ausbeute auszumachen. Das unvergleichliche Aroma ist auch an ein kleines Zeitfenster gebunden: Der in dieser Erbse enthaltene Zucker wird bereits kurz nach der Ernte in Stärke umgewandelt und verliert rasch an Balance zwischen Süße und Salzigkeit, wegen der die Erbse so geschätzt wird. Lagerfähig ist das hochempfindliche Gemüse also nicht. Der Zufall hat Bauer vor ein paar Jahren ein paar Erbsenkörner beschert. „Ich wusste gar nicht, worum es dabei geht, habe sie einfach vermehrt und dann in Kübeln ­gelagert. Erst durch ein Gespräch mit Spitzenkoch Juan Amador ist es mir gedämmert“, sagt Bauer, der heuer erstmals 200 Körner der Sorte „Lagrima“ angebaut hat. Welche Spitzenrestaurants damit beliefert werden, bleibt offen. „Haben wollen sie alle – und am liebsten natürlich exklusiv“, sagt Michael Bauer und lacht.

Vielseitiger Einsatz

Im veganen Wiener Restaurant Jola hantiert unterdessen Jonathan Wittenbrink mit fünf Kilogramm frisch gelieferten Knackerbsen von Michael Bauer. Bis zu zwei Stunden dauert es, bis alle aus den Hülsen gelöst sind. „Übrig bleiben höchstens zehn Prozent, weshalb wir versuchen, auch die Schoten zu verarbeiten.“ Während der Spitzenkoch die Erbsenkügelchen kurz blanchiert, mit Sonnenblumenöl benetzt und stark abflämmt, sodass sie Röstaromen annehmen, wird aus den Schoten ein Öl hergestellt, aus dem er eine Erbsen-Mayonnaise mixt. „Die Hülsen haben zwar nicht mehr die konzentrierte Süße der Erbse, aber einen guten grünen, vegetalen Erbsengeschmack.“ Aus diesen Komponenten, gepaart mit fein geschnittenen Zuckerschoten, Pistazien-Cumble, Erbsenkresse und Sauerkräutern, setzt der gebürtige Deutsche ein essbares Camouflage-Feld in mehreren Grünabstufungen am Teller zusammen, das er als Vorspeise zu den Gästen schickt. „Wichtig ist, die Erbsen warm und mit einem Fettträger zu servieren, weil ­ihre Süße so schön herauskommt.“

Für Lukas Kienbauer, der im oberösterreichischen Schärding das Restaurant Lukas betreibt, zählen Erbsen zu seinen Lieblingszutaten. Schwierig gestaltet sich aber für ihn, an das vermeintlich banale Gemüse heranzukommen. „Erbsen sind eigentlich kein Produkt, bei dem man davon ausgehen würde, dass es schwer zu bekommen ist. Unser Gemüselieferant hat allerdings keine in der Schote, weil es nicht genug Nachfrage dafür gibt. Deshalb müssen wir sie extra beim Spezialitätenhändler ordern, wenn wir keine Tiefkühlware verwenden wollen.“ Gemeinsam mit seiner Mannschaft löst er die Erbsen selbst aus, blanchiert sie und schält mantraartig Erbse für Erbse, bevor daraus unter Dampf ein zarter grüner Flan entsteht, zu dem Kienbauer Kaviar, Dashi-Beurre-blanc und knackige Erbsen, die er zuvor mit Schalotten in Butter schwenkt, am Teller finalisiert.

Im Gegensatz zu Wittenbrink kann der Oberösterreicher dem Geschmack der Hülsen nicht viel abgewinnen. „Wir versuchen, alles zu verwerten, aber irgendwo gibt es eine kulinarische Grenze. Wir haben mit den Schalen herumexperimentiert, aber zufriedenstellend war das Ergebnis für mich nicht.“ Anders bewertet Kienbauer wiederum die Verwertbarkeit von Gurke: „Viele schmeißen ja das Kerngehäuse weg. Das finde ich aber wahnsinnig spannend, weil es noch immer ein zartes Gurkenaroma hat und eine ausgeprägte Saftigkeit, die wir dann etwa pur mariniert oder mit Yuzu gepickelt in ein Gericht einbauen. Die Schale wiederum bleibt in unserem japanischen Restaurant Izakaya für Maki-Rollen auch immer wieder am Fruchtfleisch dran, weil ich ganz bewusst eine Knackigkeit im Reis haben will.“

Zurück ins Restaurant Geschwister Rauch in Trautmannsdorf, wo von Schale und Kerngehäuse der Gurke ebenfalls nichts verloren geht. Selbst das Gurkenwasser, das beim Einsalzen von kiloweise Gurken entsteht, landet mit Ginger Ale als erfrischender antialkoholischer Aperitif im Glas. Richard Rauch geht sogar so weit, Gurke entsaftet als eisiges Gurken-Granité mit Gurkenblüten, in Yuzu, Zucker und Limettensaft marinierten Gurkenscheiben sowie Espuma von weißer Schokolade zu servieren. Wer das probiert, versteht: Gurke hat sogar das Zeug zum Dessert.

Artikel aus A la Carte 03/2025.

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