Einfach mal im Lesesessel entspannen und die Alltagsprobleme vergessen, anstatt auf Social Media Doom-Scrolling zu betreiben. Das wünscht man sich nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Nachwuchs. Dabei bietet Lesen noch mehr Vorteile als bloßen Zeitvertreib. Es verbessert die Konzentrationsfähigkeit, steigert die Ausdrucksfähigkeit von Kindern und erhöht die Gedächtnisleistung. Zudem ist belegt, dass Lesen das Mitgefühl und die Resilienz steigert. Das belegt eine Langzeitstudie der Cambridge Universität. Wie man die nächste Generation am besten an Bücher heranführt, darüber hat schauvorbei.at mit Expertin für Kinder- und Jugendliteratur Heidi Lexe gesprochen.
schauvorbei.at: Welche Vorteile bietet Lesen für Kinder?
Heidi Lexe: Das Lesen ist wohl eine der wichtigsten Kulturtechniken in unserem Leben. Es sichert uns den Zugang zu Alltagsinformationen gleichermaßen wie zur Bildung und ist die Grundlage jeder Art von Medienkompetenz. Der Kinderliteratur kann dabei die Rolle zukommen, sich ins Lesen einzuüben, Spaß am Lesen zu haben und in der Folge die Lesekompetenz zu festigen.
schauvorbei.at: Gibt es Genres, die die Fantasie bei Kindern mehr anregen als andere?
Heidi Lexe: Jedes Genre kann die kindliche Vorstellungskraft anregen. Kinder- und Jugendliteratur schafft ja auch die Möglichkeit, mit Lebenssituationen bekannt zu machen, die nicht den eigenen Erfahrungen gleichen und dennoch die eigene Alltagskompetenz fördern. Emotionale und soziale Kompetenz lernt man auch dort, wo fantastische Abenteuer die Lesehungrigen in Atem halten.

„Kinder- und Jugendliteratur kann so vieles. Das gilt es zu entdecken und dem Nachwuchs Lust darauf zu machen.“
Heidi Lexe
schauvorbei.at: Inwiefern spielt beim Lesen die Vorbildfunktion von Eltern ihren Kindern gegenüber eine Rolle?
Heidi Lexe: Eine ungemein wichtige. Kinder orientieren sich immer am elterlichen Vorbild. Oder grenzen sich später als Jugendliche bewusst davon ab, aber das ist ein anderes Thema (lacht)! Wenn die Eltern das Lesen und das Vorlesen in das gemeinsame Leben integrieren, ist das ein idealer Start ins Leseleben für Kinder.
schauvorbei.at: Was sollte man bei der Auswahl der Lektüre beachten?
Heidi Lexe: Die Vielfalt. Die Kinder- und Jugendliteratur kennt heute so viele unterschiedliche Genres, so viele Varianten des Miteinanders von Bild und Text. Da wäre es schade, wenn Eltern beim Bewährten aus der eigenen Kindheit und dem rosa Glitzernden des Billigangebots stehen bleiben. Kinder- und Jugendliteratur kann so vieles. Das gilt es zu entdecken und dem Nachwuchs Lust darauf zu machen.
Nicht jedes Buch wird jedes Kind oder alle Jugendliche gleichermaßen ansprechen oder zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen begeistern. Da unterscheidet sich der Lesenachwuchs nicht von anderen Generationen an Leserinnen und Lesern. Auch Kinder und Jugendliche haben das Recht darauf, herauszufinden, welche Art der Literatur ihnen selbst entspricht, ob das nun Sachbücher sind, Comics, Krimis oder kinder- und jugendliterarische Belletristik.
„Lesen fängt mit Buchbegegnungen und dem Entdecken von Bildwelten und Geschichten an.“
Heidi Lexe
schauvorbei.at: Macht es Sinn, ein Belohnungssystem bezüglich des Lesens einzuführen?
Heidi Lexe: Nein. Lesen ist kein Wettbewerb. Aber es schafft Zugang zur Welt. Die Belohnung ist die schöne Zeit, die man in jenen Buchwelten verbringt, in denen Kinder ernst genommen werden.
schauvorbei.at: Wenn das Kind partout nicht lesen will: Wie sollte man als Elternteil vorgehen?
Heidi Lexe: Ruhig bleiben. Viel vorlesen, auch dann, wenn die Kinder schon selber lesen können oder gerade lesen lernen. Das stärkt den sozialen Charakter des Lesens und macht Lust auf Literatur.
schauvorbei.at: Wie kann man das Lesen in den Alltag integrieren?
Heidi Lexe: Das Lesenlernen beginnt für Kinder schon sehr viel früher als das eigentliche Entziffern und Zusammensetzen von Buchstaben. Lesen fängt mit Buchbegegnungen und dem Entdecken von Bildwelten und Geschichten an. Dem Vorlesen und den damit verbundenen kleinen Ritualen kommt daher eine unschätzbare Bedeutung zu.
schauvorbei.at: Vielen Dank für das Gespräch!
Praxistipps von der Expertin
- Let’s do it: Vorlesen.
- Selber lesen: Vielleicht auch mal ein tolles Kinder- und Jugendbuch? (Spoiler Alert: Tut nicht weh!)
- Feldforschung: Wo ist die nächste öffentliche Bibliothek? Wie viel Zeit braucht man dort, um Kindern die Möglichkeit zu geben, sich selbst Bücher anzusehen und auszusuchen?
- Offen sein für Neues: Ja, Kalle Blomquist war toll. Aber Rico und Oskar sind es auch! Und gute Buchhändler wissen immer, was gerade angesagt ist. Oder einfach mal die STUBE-Homepage besuchen.
- No pressure: Bücher und Medien nicht als Konkurrenz etablieren. Schon „Drachen zähmen leicht gemacht“ gesehen? Perfekt. Mehr davon? Wie wäre es mit einer Drachengeschichte im Buchformat? Eine, die nicht den Film nacherzählt, sondern eine ganz neue Geschichte über Drachenreiter oder Impossible Creatures.