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Die Demokratie verlangt Engagement: Wahlkämpfe einst und jetzt

Vom Wiener Altbürgermeister Michael Häupl stammt der Satz: „Wahlkampf ist die Zeit fokussierter Unintelligenz.“ Diese Zeit endet am Sonntag, dem 29. September 2024, wenn die diesjährige Nationalratswahl über die innenpolitische Bühne geht. Gewählt werden 183 Nationalratsabgeordnete.
Männer bei der Auszählung der Stimmen bei den Nationalratswahlen 1966
Nationalratswahlen 1966: Stimmen- und mandatsstärkste Partei wurde die ÖVP unter Bundeskanzler Josef Klaus. © NB-Bildarchiv/picturedesk.com

Derzeit stellen die Volkspartei 71, die Sozialdemokraten 40, die Freiheitlichen 31, die Grünen 26 und die Neos 15 Mandatare. Glaubt man den Umfragen, könnten wir in Hinkunft statt derzeit fünf bis zu sieben Parlamentsparteien haben. Diese Aufsplitterung des Parteienspektrums ist heute in vielen europäischen Ländern zu beobachten und macht die Regierungsbildung schwieriger. Dreier-, ja sogar Viererkoalitionen sind auch hierzulande künftig denkbar. Wie schwer sich solche Regierungen in der Praxis tun, kann man am Beispiel der deutschen Ampelkoalition beobachten.

Der Coup des Wolfgang Schüssel

Der Wahlkampf bringt es mit sich, dass die Parteien einzelne Koalitionen ausschließen, gegnerische Parteiführer für nicht regierungsfähig erklären und Koalitionsbedingen formulieren, von denen sie wissen müssen, dass sie für deren Umsetzung aller Voraussicht nach keine Partner finden werden. Aber all das dient der Mobilisierung der eigenen Basis. Dann, am Wahlabend, wenn die Stimmen ausgezählt und die Mandate verteilt sind, ist die Stunde der Wahrheit. Am Zug ist nun gemäß der österreichischen Verfassung der Bundespräsident, der zwar weitreichende Vollmachten bei der Regierungsbildung hat, letztlich aber akzeptieren muss, wenn sich zwei oder mehr Parteien auf ein gemeinsames Programm verständigen und miteinander über eine Mehrheit im Nationalrat verfügen.

So war es 1999. Damals wurde die SPÖ unter Viktor Klima mit 65 Mandaten stärkste Partei und somit Wahlsieger, die ÖVP unter Wolfgang Schüssel kam ebenso wie die FPÖ unter Jörg Haider auf 52 Sitze, wobei die Freiheitlichen bei den Stimmen knapp vor der Volkspartei lagen, und die Grünen bekamen 14 Mandate. Gegen den erklärten Willen des damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil vereinbarte Schüssel mit Haider eine Koalition, die mit 104 Sitzen eine Mehrheit im Nationalrat hatte.

Es war das erste Mal in der Zweiten Republik, dass die siegreiche Partei nicht in der neuen Regierung vertreten war. Es gibt also das Präjudiz, dass die Partei, die bei einer Nationalratswahl Platz 1 erreicht, in der Opposition landet. Sollte sich so etwas 2024 erneut ergeben, wäre das also keine Premiere und durchaus im demokratischen Rahmen. Im Übrigen ist Vorsicht geboten, Koalitions-An- oder Absagen von Parteien vor einer Wahl für bare Münze zu nehmen. Erinnern wir uns an 1970. Obwohl FPÖ-Chef Friedrich Peter im Wahlkampf mit der Parole geworben hatte, einen roten Bundeskanzler zu verhindern, tolerierte er schließlich die SPÖ-Minderheitsregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky, der bis 1983 an der Macht bleiben sollte.

„Rote Katze“ und „Rentenklau“

Ein bisschen erinnert das diesjährige Vorwahlgeplänkel an die Kampfparolen der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die damaligen Großparteien führten ihre Kampagnen stets mit dem Angstargument, wenn die jeweils andere gewinne, drohe der Untergang der Demokratie. 1949 malte die ÖVP die drohende „Rote Katze“ auf ihre Plakate, warnte 1962 mit „Nur ein sozialistisches Mandat mehr und die rote Herrschaft beginnt“ und 1966, als die SPÖ unter Bruno Pittermann eine Wahlempfehlung der Kommunisten nicht zurückwies, hieß es „Die Volksfront droht!“. Die SPÖ wiederum plakatierte 1949 den ÖVP-Bundeskanzler Leopold Figl als schwarzen Kater unter dem Slogan „Der Kater lässt das Mausen nicht, die ÖVP das Lügen nicht“. Und 1953 war der „Rentenklau“ das große Thema: „Wehrt Euch gegen den Rentenraub, wählt SPÖ!“. 1959 warb die SPÖ mit „Pittermann für jedermann, wählt Liste 2, Sozialistische Partei“. Die ÖVP parierte diesen Slogan mit: „Wählt jedermann den Pittermann, wird’s bitter dann für jedermann. Daher wähl’ Liste 1, ÖVP“. Damals wurde übrigens die SPÖ zum ersten Mal in der Zweiten Republik stimmenstärkste Partei, wenngleich die ÖVP unter dem Staatsvertragskanzler Julius Raab aufgrund der Wahlarithmetik ein Mandat mehr bekam als die SPÖ. Als Folge dieses Wahlresultats musste die Volkspartei in der neuen Großen Koalition das Außenministerium an die Sozialisten abgeben, das Bruno Kreisky übernahm, was eine weitere wichtige Station in seinem politischen Aufstieg markierte.

Neue Propagandamethoden

Die Wahlkämpfe 1962 und 1966, welche der ÖVP Siege brachten, signalisierten einen Stilwechsel in den propagandistischen Methoden. Das gilt noch viel mehr für die Wahlschlacht 1970, die sehr stark vom Fernsehen geprägt war, das Kreisky nach der Rundfunkreform mit der Informationsoffensive für sich zu nutzen wusste. „Wählen Sie das moderne Österreich – SPÖ: Fortschrittliche Bildung, Aufstieg für jeden, alle sollen es besser haben“ plakatierte die SPÖ. Man setzte in der Löwelstraße, wo Werbeleiter Heinz Brantl die Fäden zog, ganz auf Sympathiewerbung und die Öffnung der Partei durch den für Bürgerlich-Liberale wählbaren Frontmann Bruno Kreisky.

Kontraproduktiv für die Volkspartei war deren Plakat „Bundeskanzler Dr. Josef Klaus – ein echter Österreicher – ÖVP“. Es war eine indirekte Anspielung auf die jüdische Herkunft Kreiskys, der für einen Modernisierungskurs stand. 1971 siegten die Sozialisten unter dem Motto „Lasst Kreisky und sein Team arbeiten“. In den 1970er-Jahren wurde eine neue Form des politischen Diskurses in Wahlkämpfen geschaffen. Nach amerikanischem Vorbild wurde alles moderner, medienaffiner und personalisierter. Die Spitzenkandidaten wurden stärker herausgestellt.

Die Richtungswahl 2024

Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, haben die einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ 50 Prozent ihrer Wähler verloren, Rechtspopulismus ist en vogue – Jörg Haider war in Europa der Vorreiter – und gleitet immer erkennbarer in Rechtsradikalismus ab. Die neuen sozialen Medien fungieren als eine Art elektronischer Stammtisch und bieten Hasspredigern eine Plattform für die Verbreitung von Fake News und Desinformation. Seriöse Traditionsmedien gelangen aufgrund ökonomischer Zwänge in die Defensive, immer mehr Menschen sind für Verschwörungstheorien empfänglich.

Das „System“, das seit 1945 den wirtschaftlichen Aufstieg und die liberale Demokratie in Österreich geprägt hat, wird von rechtsaußen in Frage gestellt. Die „Eliten“, die „Altparteien“ und die „Lügenpresse“ werden zu Feindbildern erklärt, die Europäische Union, von der Österreich seit dem Beitritt in den 1990er-Jahren stark profitiert hat, wird als „Bürokratenregime“ denunziert und autoritäre „Führer“ wie Putin, Orban mit seiner „illiberalen Demokratie“ oder Trump werden adoriert.

Vieles erinnert an die 1930er-Jahre. Dazu gehört das Zunehmen rechtsradikaler Straftaten und des Antisemitismus. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums, linksaußen, erlebt die KPÖ eine Auferstehung. Der Kommunismus, der so viel Leid in Europa anrichtete, hat offenbar seinen Schrecken für viele Zeitgenossen verloren. Die Polarisierung ist heute viel größer als vor 20, 30 Jahren. Diesmal geht es nicht bloß um tagespolitische ­Streitthemen, sondern um die Demokratie schlechthin. Deshalb ist eine hohe Wahlbeteiligung bei der Nationalratswahl in diesem Herbst so wichtig. Die Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss stets aufs Neue verteidigt und erkämpft werden.

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