Leuchtende Kinderaugen sind für viele Menschen ein Highlight des Weihnachtsfestes. Dieser Glaube an ein fabelhaftes Wesen, das irgendwie dafür sorgt, dass ein hübsch geschmückter Tannenbaum mit verpackten Geschenken darunter im Wohnzimmer steht – da wird einem schon sehr warm ums Herz. Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit poppt bei vielen Eltern das wiederkehrende Thema auf: Das Christkind kommt. Aber soll es wirklich zu meinem Kind „kommen“ oder wäre die Wahrheit doch die bessere Option? Früher wurde über diese Frage wahrscheinlich gar nicht viel nachgedacht. Heute ist das anders, Eltern hinterfragen mehr und gehen sehr bewusst mit Kindern und Traditionen um.
Wenn sich nun Eltern fragen, ob dies nicht schädlich für die Vertrauensbasis ist, wenn den Kleinen diese „Lüge“ aufgetischt wird, dem antwortet Erziehungswissenschafterin Heike Podek: „Nein, das erschüttert nicht das Vertrauen im Ganzen. Kinder sind ab circa drei Jahren entwicklungsmäßig in einer ‚magischen Phase‘. In dieser Entwicklungsstufe stehen sie im Zentrum ihres eigenen Handelns. Sie sind noch nicht in der Lage, Dinge aus einer anderen Position zu erkennen. Die Unterscheidung zwischen Fiktion und dem, was wirklich echt und real ist, fällt ihnen schwer. Alles, was sie sich nicht richtig erklären können, wird mit magischer Logik verstanden. Eltern unterstützen das auch oft unbewusst mit einer gewissen ‚magischen‘ Sprache, indem sie beispielsweise von weinenden Wolken sprechen, wenn es regnet, oder wenn der Fernseher jetzt auch ‚schlafen gehen muss‘. In diese Phase passen auch Monster, Märchenfiguren oder eben das Christkind und der Weihnachtsmann.“
Kurz vor Schuleintritt, wenn Kinder fünf bis sechs Jahre alt sind, ändert sich deren Wahrnehmung. „Sie merken, dass es viele Dinge gibt, die realistisch sind. Gleichzeitig können sie sich aber auch vorstellen, mit gewissen Gegenständen zu kommunizieren. Sie wissen, dass gewisse Figuren aus Büchern oder dem TV nicht echt leben, fantasieren aber darüber wie sie zum Beispiel mit ihnen spielen“, so Heike Podek. „Kinder wollen an das Christkind oder an den Weihnachtsmann glauben, es ist eine schöne Geschichte, bereichert ihre Traumwelt und unterstützt ihr magisches Denken. Es ist ein ganz normaler Bestandteil der Entwicklung und des Denkens eines Kindes, was mit dem Ende der magischen Phase ganz von alleine aufhört.“
Was laut Erziehungswissenschaftlerin Podek überhaupt nicht geht, ist die weihnachtlichen Fabelwesen als Erziehungsmittel zu nutzen. Zu sagen „Das Christkind sieht alles und schaut, ob du brav bist“ ist genauso verwirrend für die Kleinen wie „wenn du nicht brav bist, bringt der Weihnachtsmann keine Geschenke.“ Warum ist das zu vermeiden? Die Erziehungsexpertin meint: „Weil es eine Maßnahme ist, die Angst erzeugt. Kinder ändern dann ihr Verhalten, verstehen es aber nicht richtig. Schlimmer noch: Es werden Emotionen unterdrückt, wie zum Beispiel Wutanfälle. Diese Emotionen werden dann nicht mehr gelebt oder gefühlt und können in weiterer Folge ins Körperliche übergehen. Und dann entstehen gewisse Schmerzen.“ Zudem sei anzumerken: Welche Eltern ziehen die Androhung, dass es keine Geschenke geben wird, wirklich durch? Wozu dann die Drohung überhaupt erst aussprechen?
Laut der Expertin glauben die meisten Kinder ungefähr bis zu ihrem siebten oder achten Lebensjahr an das Christkind oder den Weihnachtsmann. Mit neun Jahren kennen sie meistens schon die Wahrheit. Es ist unvermeidbar, dass sie „es“ irgendwo aufschnappen und diese Information dann natürlich hinterfragen. Und dann kann – ganz unerwartet – die Frage kommen, ob es denn das Christkind wirklich gibt. Wie reagiere ich da am besten darauf? „Bei kleinen Kindern bis circa fünf Jahren würde ich eher zurückfragen, was denn das Kind glaubt. Da muss es noch nicht unbedingt die ganze Wahrheit kennen. Denn gerade in diesem Alter können oder wollen sie diesen Glauben noch nicht aufgeben. Bei den Größeren gilt: im Gespräch bleiben, also die Enttäuschung, die Traurigkeit oder die Wut des Kindes begleiten und ‚dabei sein‘, ein Gespräch über das Thema Weihnachten führen. Ein Patentrezept gibt es dafür jedoch nicht“, erläutert Podek.
Und was, wenn das Kind mit dieser Frage gar nicht ankommt? „Spätestens ab der weiterführenden Schule, wo es eventuell in Situationen geraten kann, in denen es deswegen ausgelacht wird, würde ich aktiv das Gespräch suchen. Behutsam und ganz liebevoll die Tatsachen erklären lautet hier die Devise. Wer sich dabei schwer tut, kann dies etwa auch in Form eines Briefes machen. Ein ausführliches Besprechen und Verständnis für die vermutlich aufkommende Enttäuschung sind jedenfalls essenziell.“
Weiters rät Heike Podek das Kind aufzufangen, indem man ihm aufzeigt, dass es jetzt zu dem Team der Erwachsenen gehört, das Bescheid weiß. Dies erfüllt Kinder dann in weiterer Folge doch oft mit Stolz und lässt die Enttäuschung oder die Trauer rascher verfliegen. Fakt ist, dass diese Thematik für so manches Kind recht heikel sein kann. Wenn dem so ist, können diese Gespräche jedenfalls sehr verbindend für Eltern und ihre Sprösslinge werden. Im nächsten Jahr wird Weihnachten dann zwar ein wenig anders als bisher, aber bestimmt genauso schön und vielleicht sogar entspannter.