Ein absoluter Klassiker unter den Musicals schafft es nächstes Jahr auf die Seebühne in Mörbisch: „My Fair Lady“. schauvorbei hat mit Generalintendant Alfons Haider über die Stückauswahl und die Besetzung gesprochen.
Mit dem Stück „MAMMA MIA!“ schaffte Generalintendant Alfons Haider in diesem Jahr eine Auslastung von 99,9 Prozent bei den Seefestspielen in Mörbisch. Allerdings ruht er sich nicht auf seinem Erfolg aus, sondern geht direkt in die Planung des Musicals für das nächste Jahr: „My Fair Lady“.
schauvorbei: Warum haben Sie das Stück „My Fair Lady“ gewählt?
Alfons Haider: Begonnen hat es mit „The King and I“. Damit wollte ich alle älteren Fans abholen, die sehr enttäuscht waren, dass wir keine Operette spielen. Vom Klang her ist es aber eine. Dieses Konzept hat gewirkt. Auch bei „MAMMA MIA!“ haben wir erreicht, was wir wollten. Insgesamt waren es 181.000 Zuschauer. Trotzdem war bei „MAMMA MIA!” etwas Bauchweh dabei, wie es beim Publikum ankommen würde. Aber: Ich habe vergessen, dass die Menschen, die heute 80 sind, damals, als das Stück herauskam, 40 Jahre alt waren.
Heuer durften wir sehen, wie 80-Jährige auf den Sesseln zu „MAMMA MIA!“ tanzten. Bei allen Vorstellungen und jedem Wetter gab es Standing Ovations. Deswegen haben wir uns gedacht, wir wagen den Sprung ins nächste Jahrtausend. Jetzt wollten wir sehen, ob wir eines der großen, fantastischen Stücke, „My Fair Lady“, in die Gegenwart bringen können.
schauvorbei: Was sind die Herausforderungen, wenn man ein klassisches Musical wie „My Fair Lady“ in die heutige Zeit versetzt?
Alfons Haider: Die Rolle der Eliza Doolittle ist so aktuell wie nie zuvor. Denn viele Menschen sind heute arbeitslos, weil sie der Landessprache nicht mächtig sind. Sie sind ausgestoßen aus der Gesellschaft, weil sie keine Ausbildung haben. Das ist das Grundproblem. Wir sprechen von einer großen Anzahl an Personen, die in ihrer Jugend daran gehindert wurden, eine Ausbildung abzuschließen.
Das gilt heute wie vor 200 Jahren. Daher ist das Stück so wichtig. Unsere Jugend hängt heute nur am Smartphone und die Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Auch das wollen wir aufnehmen. Dabei bleibt die gesamte Handlung – ins Jahr 2020 versetzt –, wie sie ist. Zu den Neuerungen zählt zum Beispiel, dass Alfred Doolittle nicht mehr Mistkutscher, weil es keinen Pferdedreck mehr gibt, sondern Taxifahrer ist. Die Hauptrolle der Eliza Doolittle ist nach wie vor Blumenverkäuferin. Allerdings verkauft sie Rosen statt Veilchen. Außerdem treffen sich Eliza und Professor Higgins in der U-Bahn und nicht auf der Straße. Trotz des alten Stoffs wird der Zeitsprung nicht spürbar sein. Alle Zuschauer werden überzeugt sein, dass das Stück aus der heutigen Zeit stammt.
schauvorbei: Wie sieht das in Bezug auf das Bühnenbild und die Kostüme aus?
Alfons Haider: In Ascot sind die Damen heute genauso elegant gekleidet wie vor 100 Jahren und tragen Hüte. Daher wird es nicht an Eleganz bei den Kostümen fehlen. Eliza wird mit grünen Haaren etwas von einem Punk haben und mit dem Handy besser umgehen können als mit allem anderen. Sie hat aber auch den Traum, eines Tages ein eigenes Blumengeschäft zu haben. Mit Walter Vogelweider haben wir ein sensationelles Bühnenbild geschaffen: Auf der einen Seite der Bühne wird das hypermoderne London dargestellt und auf der anderen die Stadt vor 200 Jahren. Über all dem thront ein über 25 Meter hoher Big Ben. Dennoch ist die Komposition der einzelnen Elemente zeitlos. Ab Jänner wird es die ersten Visualisierungen geben.
schauvorbei: Werden die Lieder und Melodien an die Interpretation angepasst?
Alfons Haider: Keine Note wird verändert, aber es wird eine Interpretation des Stoffs geben. Auch die Sprache wird gleich bleiben. Denn das Wienerische steht im Gegensatz zum Hochdeutschen und wird den Kontrast zwischen den Schichten herausarbeiten. Zudem gibt ein paar englische Einflüsse und Orte im Stück.
schauvorbei: Können Sie etwas über den Casting-Prozess erzählen?
Alfons Haider: Der Publikummagnet von diesem Jahr, Anna Rosa Döller, wird die Hauptrolle spielen. Das haben wir ziemlich lange geheim gehalten. Weil wir uns sicher sein wollten, dass sie dafür schon stark genug ist. Die 181.000 Zuseher bei „MAMMA MIA!” hat sie allesamt abgeholt und begeistert. Sie hat sich derartig entwickelt im letzten halben Jahr, dass sie für die Rolle der Eliza Doolittle nahe lag. In Kombination mit dem zweiten Hauptdarsteller Mark Seibert wird ein Traumpaar auf der Bühne stehen. Mark freut sich sehr auf dieses Debüt. Er sagte, dass es für ihn bereits eine Auszeichnung sei, überhaupt in Mörbisch bei den Seefestspielen aufzutreten, da schon so viele Theatergrößen dort auf der Bühne gestanden hätten. Ich bin sehr glücklich, dass das geklappt hat.
Außerdem haben wir auf eine Besetzung gesetzt, die dem Alter der Charaktere entspricht. Ich finde es furchtbar, wenn 33-Jährige 20-Jährige spielen. Ältere Schauspieler haben natürlich bereits eine Menge Erfahrung, aber sie haben eine ganz andere Ausstrahlung. Eine 20-Jährige bewegt sich auch ganz anders als eine Mitte 30-Jährige, die eine gestandene Frau ist.
schauvorbei: Inwiefern unterscheidet sich die Produktion von anderen Inszenierungen?
Alfons Haider: Es ist ein Märchen, allerdings eines der realistischsten Geschichten, die es gibt. Denn es wird ein Mensch aufgrund der Sprache daran gehindert, an der Gesellschaft teilzunehmen. Wir haben bereits 55.000 Karten fix verkauft und über 50.000 reserviert. Das ist ein großer Vertrauensbeweis der Zuseher und wunderschön. Am Ende des Stücks wird es eine gigantische Überraschung für die Zuschauer geben – aber die verrate ich noch nicht.
schauvorbei: Man kennt Sie aus den unterschiedlichsten Rollen. Wie ist die Funktion als Intendant?
Alfons Haider: Es ist sehr herausfordernd, benötigt einer Menge Energie und Bedarf einer langen Planung. Unter anderem Publikumsarbeit: Ich begrüße und verabschiede bei jeder Veranstaltung die Zuseher. Beim Gang durch den Zuschauerraum werden – ohne Übertreibung – 200 bis 300 Selfies mit mir geschossen. Meine Vorgänger mochten diese Tätigkeit nicht. Aber genau diese Arbeit ist wichtig. Denn man muss das Publikum sofort abholen und sie mit Liebe zu einem ersten Lacher bringen.
Ich hatte einen großen Einschnitt in meinem Leben mit dem Tod meiner Mutter. Das hat mich sehr viel Kraft gekostet. Der Spruch stimmt: „Es wird leichter, aber es wird nie wieder gut.“ Dieses Ereignis hat mich älter und reifer gemacht. Ich sehe die Dinge jetzt anders. Natürlich wäre eine neue Film- oder Serienrolle oder Moderation sensationell, aber der Applaus, der einem als Gesicht des Unternehmens als Intendant bei den Aufführungen gilt, ist unvergleichlich. Es nimmt eine ganz neue Dynamik an. Das sagte schon Harald Serafin zu mir – und er hat Recht behalten.
schauvorbei: Wo sind Sie meistens anzutreffen?
Alfons Haider: Von Mai bis Mitte September ist mein Lebensmittelpunkt Mörbisch oder unterwegs in Österreich. Auch unser zweites Haus Schloss Tabor hat mit „Im weißen Rössl“ großen Zuspruch erhalten. Außerdem vertrete ich das Burgenland oft im Inland als Medienvertreter. Wir haben in diesem Jahr im europäischen Raum das beste Ergebnis einer Einzelproduktion mit 181.000 Zusehern. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich rechnete mit 120.000, und das war schon hoch angesetzt. Mir war nicht bewusst, dass das junge Publikum so schnell auf die Stück-Auswahl reagieren würde. Schätzungsweise 20.000 kamen aus den Reihen der jüngeren Generationen. Sie sind die Zukunft des Theaters.
schauvorbei: Inwiefern hat Mörbisch Ihr Leben verändert?
Alfons Haider: Mittlerweile kann man sagen, dass das Burgenland mein zweites Zuhause ist. Ich pendle zwischen Wien und dem Burgenland, aber ich habe es mir auch im Kinderhotel in Rust gemütlich gemacht. Nach dem Aufstehen ziehe ich meine Bahnen im Bad und – wenn der Wasserstand es zulässt – schwimme auch im Neusiedler See. Ich finde den Schlamm toll für die Haut. Ansonsten bin ich geschätzte zwei Mal im Office in Eisenstadt. Die Interviews gebe ich meistens in Wien. Außer wenn Journalisten die Bühne sehen wollen, dann spielt sich das natürlich direkt vor Ort ab. Bei internationalen Terminen bin ich im Ausland unterwegs. Es ist schon so weit, dass die Menschen sagen: „Jö, schau, der Burgenländer!“
schauvorbei: Welchen Wunsch haben Sie persönlich für das Jahr 2024?
Alfons Haider: Das klingt banal, aber wenn ich mir eines wünschen dürfte, dann, dass alle Menschen im Gaza-Streifen überleben und die Ukrainer in Sicherheit sind. Auch wenn sich dieser Wunsch – aufgrund der derzeitigen Lage – wahrscheinlich nicht erfüllen wird. Diese Tragik macht unsere eigenen Probleme so unwichtig. Unsere Aufgabe in der Unterhaltung besteht darin, dass wir mit unseren Stücken Haltung beweisen. Damit meine ich, dass mir zum Beispiel bei „The King and I“ die Rolle der Frau wichtig war. „MAMMA MIA!“ hat keinen gesellschaftspolitischen Anspruch, außer dass man einmal drei Stunden glücklich sein darf und seine Batterien aufladen kann. Für mein Publikum bei „My Fair Lady“ wünsche ich mir, dass es vom Stück etwas mitnehmen kann. Denn es ist sehr wohl ein bildungspolitischer Gedanke dabei – ohne Bildung geht es nicht.
schauvorbei: Danke für das Gespräch!
Alfons Haider war bereits in den unterschiedlichsten Funktionen auf der Bühne und in den Medien aktiv. Angefangen als Schauspieler, moderierte er für den ORF und war auch als Kabarettist und Entertainer unterwegs. Seit 2021 ist er Generalintendant bei den Seefestspielen in Mörbisch.