„Geschichten aus der Geschichte“, kurz „GAG“, das ist der Podcast, in dem sich die Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner Woche für Woche im entspannten Plauderton eine, oft abseitige, Episode der Weltgeschichte erzählen – „immer abwechselnd und immer so, dass der eine nie weiß, was der andere ihm erzählen wird“, wie sie zu Beginn jeder Folge erklären.
Das Konzept der beiden hat sich offensichtlich bewährt, denn das „Werkl“, wie Wahlwiener Richard Hemmer den Podcast liebevoll nennt, erfreut sich nun schon seit bald einer Dekade größter Beliebtheit bei einer nach wie vor wachsenden Hörerschaft. Mittlerweile können Richard Hemmer und Daniel Meßner auf ein Archiv von stolzen 500 Folgen blicken. Dass sie diesen Meilenstein eines Tages erreichen würden, hätten die beiden Studienfreunde, als sie den Podcast 2015 an einem Küchentisch starteten, nicht einmal zu träumen gewagt.
Heute rangiert „Geschichten aus der Geschichte“ ganz oben in den Podcast-Charts namhafter Audio-Streaming-Anbieter wie Deezer, Spotify und Apple Podcasts. Und mit über drei Millionen monatlichen Downloads ist die jederzeit abrufbare History-Sendung fürs Ohr laut ÖAK-Podcast-Ranking unangefochten der heimische Top-Podcast. An die unglaubliche Anzahl an Personen, deren beständiger Alltagsbegleiter sie sind, möchten Richard Hemmer und Daniel Meßner aber am liebsten nicht denken. „Der Druck wäre einfach zu groß“, meint Daniel Meßner, „allein bei der Live-Tour sitzen mal tausend Leute vor einem und man merkt: Okay, das sind zwar wahnsinnig viele Menschen, aber trotzdem sitzt hier nur ein Bruchteil derer, die sich anhören, was wir machen.“
Dass gerade ein Geschichts-Podcast in den eher wissenschaftsskeptischen Ländern Österreich, Deutschland und Schweiz regelmäßig Spitzenpositionen in den Charts besetzt, erklären sich die beiden Hosts auf zweierlei Weisen: Einerseits handelt es sich beim Podcast grundsätzlich um ein Medium, das genau diejenigen anzieht, die wissenschaftliche Themen in einer ansonsten nur schwer zu erreichenden Tiefe erklärt bekommen möchten. Andererseits sprechen Richard Hemmer und Daniel Meßner – ungeachtet der beträchtlichen Downloadzahlen – nach wie vor ein Nischenpublikum an.
Dennoch, das Nischenpublikum ist groß genug, um den Podcast finanziell ertragreich zu gestalten, sodass die beiden Plaudertaschen mit Faible für tendenziell eher unbeachtete Fußnoten der Geschichte inzwischen vom Podcasten leben können. „Geschichten aus der Geschichte“ ist für sie Hobby und Beruf gleichermaßen. „Der Podcast ist halt jetzt immer und überall“, meint Richard Hemmer zufrieden schmunzelnd. „Ich bin immer auf der Suche nach Geschichten. Deswegen ist das Podcasten gleichzeitig Hobby und Beruf. Es ist für mich eben das, was ich am liebsten mache – und ich auch am besten kann.“
Die geteilte Leidenschaft für Historisches wurzelt bei Richard Hemmer und Daniel Meßner vor allem in der Überzeugung, dass Geschichte erklären kann, wie die Welt, in der wir heute leben, so geworden ist, wie sie ist. „Man kann so viel lernen, und das ist, glaube ich, was mich an Geschichte so fasziniert. Geschichte ist einfach das Fach, in dem man am besten und am meisten über die Welt und über die Menschen lernen kann“, schwärmt Daniel Meßner.
Eine Lieblingsfigur der Geschichte haben die beiden keine, allerdings äußert Richard Hemmer eine gewisse Vorliebe für jenen Schlag Mensch, der sich mit Tricks und Hochstapeleien ungeniert durch die Geschichte wurschtelt: „Wir haben ja einige Folgen über sogenannte „Con-Men“ gemacht, also über Leute, die Wege finden, an Geld oder Macht zu kommen, ohne dabei die Standard-Route zu wählen. Ich glaube, das ist immer interessant.“
Grundsätzlich möchten sich die beiden Historiker allerdings kein Steckenpferd zulegen. Gerade in der inhaltlichen Abwechslung von Folge zu Folge sieht der promovierte Geschichtswissenschafter Daniel Meßner nämlich den reizvollsten Unterschied zur akademischen Forschung, in der er eine Zeit lang tätig war: „An der Uni zu arbeiten, war immer okay. Man arbeitet halt fünf oder zehn Jahre an einem Thema und macht nichts anders. Beim Podcast können wir uns jede Woche mit einem neuen Thema beschäftigen, und ich suche mir immer genau das Thema aus, das mich in dem Moment am meisten interessiert. Und das ist einfach fantastisch!“ Außerdem hat das stete Springen durch die Vergangenheit den netten Nebeneffekt, dass sich mit der Zeit ein „Flickenteppich“ bildet, der zeigt, wie unerwartet verwoben so manche kleine und große Ereignisse der Geschichte sind. So berichten Richard Hemmer und Daniel Meßner, warum ausgerechnet die österreichische Adelige Leopoldine von Habsburg die Unabhängigkeit Brasiliens vorantrieb. In ihrem Podcast geht es aber auch darum, wie das Bandoneon, ein Instrument aus dem deutschen Erzgebirge, die argentinische Tangomusik prägte; und wie die Art und Weise, wie im England des 19. Jahrhunderts mit Schulden umgegangen wurde, zum verheerenden Parlamentsbrand von 1834 führte.
Für ihre regelmäßigen Sprünge quer durch Epochen, Ereignisse und Orte sind Richard Hemmer und Daniel Meßner natürlich auf Fachliteratur angewiesen. Die sollte in ihrer Fülle aber halbwegs überschaubar sein. Ansonsten gestaltet sich die Aufbereitung für eine knackige Podcastfolge schwierig – zumal die Zeit dafür ja auch begrenzt ist. „Im Idealfall gibt es ein, zwei Monografien und vielleicht noch ein paar aktuelle Papers über das Thema. Damit bin ich dann zufrieden“, kommentiert Richard Hemmer seinen Arbeitsprozess.
Bei der Sichtung von Literatur und während der Episoden-Vorbereitung richten die beiden Hosts ihr Augenmerk auch immer auf den Standpunkt, aus dem heraus ihre Quellen verfasst wurden. Zu 100 % neutral könne Geschichte nämlich nie sein, denn, so fasst Richard Hemmer pointiert zusammen: „Geschichte ist nicht einfach nur das, was früher passiert ist, sondern Geschichte ist das, was jemand aufgeschrieben hat.“ Bei der Arbeit mit jeglicher Art von Quellen gilt also, stets ihren Entstehungskontext mitzudenken. Auch wir sind nicht frei davon, Geschichte immer aus einem bestimmten Blickwinkel zu betrachten, wie Richard Hemmer weiß: „Unser Bild der Geschichte ist sehr europäisch geprägt. Wir sind hier aufgewachsen. Das allein reicht schon aus, um Geschichte auf eine bestimmte Art und Weise zu schreiben.“
Diesen sogenannten Eurozentrismus versuchen Richard Hemmer und Daniel Meßner bewusst zu vermeiden. Auch wenn sich dieses Unterfangen ob der gelegentlich begrenzten Quellenlage nicht immer einfach gestaltet.
Ein großes Anliegen ist den beiden außerdem Transparenz. Am Ende jeder Folge erwähnen und diskutieren sie die von ihnen verwendete Literatur, die zusätzlich noch in den Shownotes verlinkt wird. So sind die Quellen für die gesamte Hörerschaft unkompliziert auffind- und einsehbar. Unterläuft den beiden mal ein Fehler – sei er inhaltlicher Natur oder „bloß“ eine sprachliche Ungenauigkeit –, gehen sie auch damit offen um. In unregelmäßigen Abständen erscheint mittlerweile sogar ein eigenes Format mit dem wohlklingenden Namen „FeedGAG“, in dem sie dezidiert auf Anmerkungen und Kritik aus der Community eingehen. Richard Hemmer und Daniel Meßner bleiben der wissenschaftlichen Methode eben auch fernab der Universität verpflichtet.
Dass die beiden zu ihren Hoppalas stehen und sich den Stimmen aus der Community widmen, kommt beim Publikum wohl gut an. Andersherum sieht auch Daniel Meßner in der aktiven Einbindung der Hörerschaft einen zentralen Vorteil des Podcastens: „Die Leute hören uns zu, weil sie das Gefühl haben, dass wir zwei Freunde sind, die sich regelmäßig unterhalten – und sie können dabeisitzen. Ich glaube, dass man so eine Bindung zu dem Podcast hat, ist ein ganz wichtiger Aspekt.“
Inzwischen darf sich die treue GAG-Community aber nicht nur auf die immer mittwochs erscheinenden Podcastfolgen freuen. Im Laufe der vergangenen zehn Jahre hat sich die „Geschichten aus der Geschichten“-Welle nämlich stetig ausgebreitet. So erscheint seit Ende 2019 die gemeinsame Kolumne „Hemmer und Meßner erzählen“ auf spektrum.de. Vor drei Jahren verließen die beiden schließlich sogar die heimischen Gefilde des Internets und brachten „Geschichten aus der Geschichte“ im Rahmen einer Podcast-Tour auf die Bühne. Im Jahr 2023 traten sie mit „Geschichten aus der Geschichte – Eine Reise um die Welt zu außergewöhnlichen Persönlichkeiten, vergessenen Ereignissen und sagenhaften Entdeckungen“ außerdem erstmals als Buchautoren in Erscheinung. Seitdem macht das Historiker-Duo auch als „Vertretungs-Quarks Science Cops“ und Moderatoren in der ARD-Serie „Egostory“ von sich reden.
Trotzdem, der Podcast bleibt der Star, wobei man mittlerweile korrekterweise eigentlich von „Podcasts“ sprechen muss. Mit „Plus Ultra“ gaben Richard Hemmer und Daniel Meßner im Dezember 2024 nämlich erstmalig das Zepter aus der Hand, um in Zusammenarbeit mit Studio Bummens die Geschichte vom Weg in den Dreißigjährigen Krieg zu erzählen. Die Idee dazu stammt von Studio-Bummens-Mitgründer und -Executive Producer Jon Handschin. Er überzeugte Richard Hemmer und Daniel Meßner davon, mit Musik, Soundeffekten und Sprechrollen untermalt zu erzählen, wie ein Konflikt zwischen den böhmischen Ständen und dem Kaiser zu einem Flächenbrand mutierte, der halb Europa ins Verderben riss.
Ihrer Vorliebe für kaum Erzähltes blieben die beiden Podcaster dabei treu. „Der Dreißigjährige Krieg ist wirklich ein sehr einschneidendes Ereignis für Europa gewesen. Trotzdem ist er ziemlich unterrepräsentiert, vor allem, wenn man ihn beispielsweise mit dem Zweiten Weltkrieg vergleicht. Der ist uns zeitlich zwar näher, aber eigentlich waren beide Kriege eine riesige Katastrophe“, merkt Richard Hemmer an.
Bei so vielen heißen Eisen im Feuer müssen die beiden Historiker oft ein wenig jonglieren, um terminlich alles unter einen Hut zu bekommen. Irgendwie funktioniert es dann aber doch. „Wir werkeln halt so ein bisschen vor uns hin, und irgendwie entstehen dann all diese Dinge“, schildert Daniel Meßner.
Ruhiger wird es um die zwei Lieblingshistoriker der deutschsprachigen Podcasthörerschaft in nächster Zeit aber definitiv nicht. Im Herbst begeben sich Richard Hemmer und Daniel Meßner quer durch den DACH-Raum auf große Jubiläumstour. Auftakt feiern sie im gleich zweifach ausverkauften Globe in Wien. „Feuerwerk wird es aber keines geben“, scherzt Daniel Meßner. Trotzdem wird die Tour ein „Spektakel“. Wie bei der ersten Ausgabe darf sich das Publikum auf zwei Geschichten aus der Geschichte sowie einen interaktiven Teil freuen, diesmal allerdings mit Twist zum zehnjährigen Jubiläum. Mehr möchten die beiden diesbezüglich aber noch nicht verraten. Bekanntlich ist Vorfreude ja die schönste die Freude – und die möchten Richard Hemmer und Daniel Meßner dem Publikum nicht nehmen.
Auch in die noch etwas weiter entfernte Zukunft dürfen Fans mit leuchtenden Augen blicken. Denn – noch unscharf – funkeln dort eine Buchfortsetzung sowie eine zweite Staffel von „Plus Ultra“. „Was genau kommen wird und wann, das können wir nicht sagen. Aber wir sind im Gespräch“, gibt Richard Hemmer gegen Ende unseres Interviews preis.
Die Zukunft der beiden Vergangenheitsforscher ist also vielversprechend. Und eines ist für beide glasklar: Auf ihren Lorbeeren möchten sie sich nicht ausruhen. Auf 500 Episoden „Geschichten aus der Geschichte“ sollen noch einmal mindestens genauso viele folgen.
Wir wünschen alles Gute!
Wordrap
Ohne Podcast wäre ich:
Richard Hemmer: In einem Büro.
Daniel Meßner: Arbeitslos (lacht).
Geschichte ist:
Richard Hemmer: Allgegenwärtig.
Daniel Meßner: Mein Leben.
Die Tour wird:
Richard Hemmer: Fulminant.
Daniel Meßner: Ein Spektakel.
Die 500. Folge feiere ich:
Richard Hemmer: Vor dem Mikrofon.
Daniel Meßner: Nicht mit Veuve Clicquot (lacht).
Nach zehn Jahren GAG möchte ich:
Richard Hemmer: Noch einmal mindestens zehn Jahre weitermachen.
Daniel Meßner: Nicht mehr aufhören.