Story

Heimatverbunden und weltoffen: Kulinarische Vielfalt im Inntal

Zwischen dem oberen und dem unteren Inntal lagen einst Welten, jetzt ist es nur noch Innsbruck. Die Küche ist traditionell und weltläufig, das Angebot an gut geführter Landwirtschaft ist reichhaltig.
Frau hält Teller mit Schlutzkrapfen
Ein emblematisches Gericht der Tiroler Küche, die Schlutzkrapfen im Wilden Mann. © Michael Reidinger

In Tirol wurde immer schon musiziert. „Das Musikinstrument der Oberinntaler war die Maultrommel, während die Unterinntaler Ziehharmonika und Streichinstrumente hatten.“ Das erzählt Hotelier Franz Josef Pirktl aus Mieming und beschreibt das Wohlstandsgefälle entlang des Innflusses, der aus dem Schweizer Engadin kommt, Tirol durchquert und schließlich nach Deutschland abfließt.

Seit den 60ern hat der Tourismus in den Tälern den Menschen Einkommen gebracht und ein Equilibrium des Wohlstands hergestellt. Jetzt zählt nicht mehr, wo man herkommt, sondern wie viele Seilbahnen man besitzt. Franz Josef Pirktl, der mit seiner Frau Katharina das Alpenressort Schwarz führt, hat aus einer Landwirtschaft eines der besten Hotels der Alpen gemacht, das sein Geschäft nicht dem Skitourismus verdankt. In Mieming gibt es nämlich keinen. Zum Hotel gehört seit vergangenem Frühjahr das Restaurant 141 – die Hausnummer des alten Gasthof Schwarz, der einst aus der Landwirtschaft entstand.

Restaurant 141

Hier kocht Joachim Jaud, aus Telfs stammend, ein Koch mit beachtlichem Lebenslauf, der diese Adresse gleich nach ein paar Monaten zu den besten in den Alpen gekocht hat. Vielleicht muss man erwähnen, bei welchen Stationen sich Jaud sein Können erworben hat. Zwei davon hören auf die Namen Christian Jürgens und Thomas Bühner. Jaud kann die Phasen seiner Arbeit dort anhand von einzelnen Gerichten jahresmäßig einordnen. Schon die Zwiebelvinaigrette zum gebeizten Saibling aus dem Ötztal fällt auf, sie hebt den Fisch, der naturgemäß eher durch die wächserne Textur gefällt als durch den Geschmack.

Bouillabaisse-Safran-Sauce, die Jaud zum Carabinero serviert, hat etwas Arnaud-Donckele-artiges, lebendig und belebend. Carabinero grillt Jaud in seiner Schale auf Holzkohle, was den begrüßenswerten Effekt hat, dass der Carabinero innen noch ein wenig knackig-roh ist und von einem leichten Holzkohlearoma umgeben. Kaviar, davon ein gescheiter Löffel, thront auf einem Stück Kabeljau, das mit einer Sauce auf der Basis von Vin Jaune mit Walnüssen serviert wird. Wachtel kommt als rosa gegrillte Brust mit einem kleinen Pastetchen, das mit der faschierten Keule gefüllt ist, hier beeindruckt wieder die Sauce auf Basis von grünem Pfeffer, vor allem mit ihrer Zi­trusnote, die dem ebenfalls auf Holzkohle gegarten Vogel gut steht. Komplex, aber geschmacklich höchst eingängig ist das Dessert aus Orange, Joghurt und Schokolade.

Gibt es auch einen zarten Hinweis der Kritik? ­Joachim Jaud, der viel Zeit in Deutschland verbracht hat, wird noch besser werden, wenn er die gewisse Strenge, die in der deutschen Hoch­gastronomie festzustellen ist, mit etwas Tiroler ­Lokalkolorit ergänzt. Wer die Regeln so gut drauf hat, kann sie dann auch mal entspannt brechen.

Schwarzer Adler

Weil vorhin von der Tiroler Liebe zur Musik die Rede war: Manchmal lärmt es im Restaurant Schwarzer Adler in der Altstadt von Hall derartig, als würde ein Bauarbeiter ein Loch in die jahrhundertealte Bausubstanz bohren. Der Lärm, der den gekonnt kuratierten Soundteppich des Lokals unterbricht, sei leider notwendig, erklärt Küchenchef Johannes Nuding. Nämlich, um ein paar Sekunden vor dem Servieren die Bouillon Zézette zu ­finalisieren.

Johannes Nuding erkochte drei Sterne im Sketch in London, er zählte zu Pierre Gagnaires innerem Kreis, vorher arbeitete er bei Joël Robuchon. Pierre Gagnaires Bouillon Zézette ist aufgebaut auf Weißwein, trocken und süß, Olivenöl, Kokosmilch und Champignons de Paris (in unserem Fall weiße Tiroler Bio-Champignons), und kurz vorm Anrichten kommen frische Kräuter hinzu, Koriander, Schnittlauch, Petersilie und andere, und damit sich die nicht beim Kontakt mit der heißen Suppe braun färben, muss die Flüssigkeit à la minute gemixt werden.

Nuding serviert darin bei Niedrigtemperatur zwölf Stunden poelierten Kabeljau, Wakame und Katsuoboshi sowie ein paar darüber geriebene rohe weiße Champignons. Sein Restaurant wirkt im mittelalterlichen Hall wie ein kreativer Urknall, obwohl Nuding es beim Kochen, wie er selbst sagt, verhalten angeht, da und dort noch nicht die letzte Raketenstufe gezündet hat. In der Küche waren sie bis vor Kurzem zu zweit, Johannes und sein Buddy Thomas, mit dem er sich anfangs ein Neun-Quadratmeter-Appartement teilte, als sie in Paris bei Robuchon anfingen.

Fischzucht im Einmannbetrieb

Vom Fischzüchter Nikolaus Medgyesy bekommt Nuding Saiblinge und Urforellen. Die Fischzucht Thaur mit 25 Fischteichen gibt es seit fünfhundert Jahren, es handelt sich um die älteste Fischzucht Tirols. „Die Wasserqualiät hier ist ein Segen“, sagt Medgyesy. Der Mann ist ein Idealist. Er hat in einer HTL Maschinenbau gelernt, führt die Zucht als Einmannbetrieb. Bei den Preisen kann Medgyesy mit der Konkurrenz, die den Besatz aus Italien holt, während er die Fische aus eigenem Bestand aufzieht und hochwertig füttert, schwer mithalten.

„Mir ist wichtig, dass der Fisch komplett verwertet wird“, sagt er dann den Kunden und gibt ihnen Köpfe und Karkassen der Saiblinge und Forellen mit. Die Idee einer Fischsuppe mit Safran, in der die Filets des Fisches sanft auf den Punkt gezogen werden, gibt er gerne weiter. „So einen Fischfond aus den Karkassen der Fische kann man dann auch einfrieren und später daraus eine Sauce zubereiten.“ Es sei schwierig, diese Saiblinge zu züchten, so der Fischzüchter, weil die Männchen ein ausgeprägtes Revierverhalten an den Tag legten. Saiblinge und Forellen leben etwa vier Jahre. „Die Fische werden nicht aufgeblasen, haben mehr Zeit zum Wachsen, während bei den Zuchten in Italien die Fische eineinhalb Jahre Zeit bis zur Schlachtung haben.“ Eigentlich ist es auch ein Artenschutzprojekt, die Urforelle ist ein Eiszeitrelikt, das der Vater Medgyesys in einem Bergsee auf über 2.000 Metern entdeckte. Interessant, dass es für dieses spannende Projekt keine öffentlichen Förderungen gibt. 

Im sonnigen Absam stehen gepflegte Einfamilienhäuser neben Bauernhöfen. Einer davon beherbergt die Familie Zanon, die gleich neben dem Wohnhaus ihren Hofladen führt. Die junge Familie von Johannes und seiner Frau, die in Wien in der Marketingbranche arbeitete, bevor sie sich für etwas Handfesteres und die Arbeit am Bio-Bauernhof entschied, wird von den Eltern unterstützt. Der Franzelerhof steht hier stellvertretend für viele kleine Betriebe, die direkt verkaufen. „Wir wollen leistbar bleiben, obwohl der Aufwand natürlich größer ist“, erzählt Johannes Zanon. Das geht, wenn man den Zwischenhandel ausschaltet. „Absam war immer kleinteilig, was die Landwirtschaft betrifft, meistens handelte es sich um Nebenerwerbsbauern und Selbstversorger. Denn die Hauptsache hier war ja das Salz.“ Macht Bio den Boden robuster? „Zumindest verhindern wir Krankheiten und Schädlinge.“ Ein Biss in eine Tomate aus der Oktoberernte: sehr gut.

Menü mit Paukenschlag

Zurück zu Johannes Nuding. Er startet das Menü mit einem Paukenschlag: Geschmortes und gezupftes Duroc-Schwein vermischt er mit cremigem, mit Kümmel parfümiertem Kohl, bedeckt das Ganze mit einem sanft gratinierten Kohlblatt und fügt Kümmeljus hinzu. Das Schwein kommt von einem Bauern aus der Wildschönau, der auf mehreren Hektar Grund lediglich fünf Schweine hält. Zur mit Montbazillac aus dem Südwesten Frankreichs marinierten Gänseleber gibt es Quitte und Brioche, ein Teller aus der Reihe großer französischer Klassik nach der Schule von Robuchon. Den in Butter gegarten Rücken von der Gams aus der Jagd von Terfens spickt Nuding mit Lardo di Colonata, dazu gibt es Püree von weißer Rübe, gewürzt mit Haselnussöl, außerdem Pommes dauphines mit einem Hauch Sumach und als weiteren Side Dish Salat von Roten Rüben mit einem Sorbet von schwarzer Johannisbeere, dessen Geschmack im Hirn einfährt und dort lange sitzen bleibt.

Nur bei der Jus aus Crème de Cassis und Haselnüssen fährt die Küche mit angezogener Handbremse. Nuding führt seine vornehmlich aus der Tiroler Nachbarschaft stammende Klientel sanft an diese Art der Saucenküche heran, die man in Paris kennt, in Tirol aber weniger. Ein Spaziergang vor oder nach dem Essen im Schwarzen Adler oder gleich nebenan im auch zu Mittag geöffneten Bistro ­Secco ist eine gute Idee. Kleine Bars und Cafés locken zur entspannten Rast, darunter etwa die italophile Weinbar Ombra, ein Kellerlokal mit nicht mehr als 18 Sitzmöglichkeiten und einem feinen Angebot. 

Wilder Mann und Tiroler Weinstuben

Nur ein paar enge Kurven sind es, und man gelangt auf die alte Römerstraße in der Ortschaft Lans. Die 400 Jahre alte Gastwirtschaft Wilder Mann ist Tirol in seiner schönsten Form. In alten Stuben wird der Mund beim Studium der Speisekarte wässrig. Maître Peter ist seit 30 Jahren im Haus, er führt die Gäste souverän durch den Abend. Terlaner Weinsuppe mit Croû­tons schmeckt wie ein guter Wein, perfekte Balance aus Frucht und Säure. Der Teig der Schlutzkrapfen ist fast filigran. „Schlutzkrapfen und andere Teigwaren lernten die Tiroler auf den Ausflügen nach Südtirol kennen“, erzählt Sieglinde Schatz, elegante Patronne des Hauses, die den Wilden Mann und das dazugehörige Hotel mit ihrer Tochter Regina führt. Die Tiroler waren eine Generation zuvor ­bekennende Ein-Gang-Besteller. 

Damals schon galt die Tiroler Leber mit Speck als beliebtes Gericht. Im Wilden Mann kommt sie vom Kalb von den Bauern aus Tirol, wird mit knusprigem Speck und Kapern serviert, dazu gibt es Schupfnudeln, und man kann das nicht anders beschreiben als herzerwärmend gutes Comfort Food. 

Auch in den Tiroler Weinstuben in Brixlegg bestätigt sich die Vorahnung, dass die Wirtshäuser und Restaurants in Tirol, besonders die Betriebe außerhalb der Skizentren, zu den schönsten in ­Österreich zählen. Liebevoll gepflegte und herausgeputzte Stuben, jahrhundertealte Tischlereien, handgehäkelte Tischtücher, silberne Platzteller, jede Perspektive, jeder Blick in die verschiedenen Stuben ein Augenschmaus. Traudi Sigwart, die mit ihrem Mann und seiner Schwester das Haus führt, gehört zu den unangefochtenen Spitzenköchen (nicht -köchinnen, denn davon gibt es zu wenig) des unteren Inntals.

Stilistisch ist ihre Karte nicht leicht einzuordnen, das macht Spaß. Man kann Kaviar mit Eis haben oder eine würzige, aber nicht zu würzige Frühlingsrolle. Zum Einstieg gibt es Hirschcarpaccio mit schwarzen Nüssen. Frau ­Sigwart scheint einen hundertprozentigen Geschmackssinn zu haben. Neuerdings wird sie unterstützt von Markus Pichler, der als Küchenchef des leider verblichenen Schloss Hohenfels zeigen durfte, wie viel er kann. Zander mit Blutwurst-Ravioli und Sauerkrautbutter ist kein neues Rezept, aber in dieser Güte bekommt man das selten zubereitet. Das Kalbsmedaillon mit den letzten Steinpilzen des Jahres ist so zart und gut, wie es dem Ruf des Tiroler Kalbs entspricht.

Blaue Quelle und Unterwirt

Nur eine Flussüberquerung neben den Tiroler Weinstuben steht die Bäckerei Sigwart. Phillip Sigwart arbeitete fünf Jahre in der Patisserie und in der Küche bei Norbert Niederkofler. Seit er wieder daheim ist, brennt er vor Ideen. Erstmal wurde die Bäckerei um ein kleines Lokal erweitert, wo Sigwart einen feinen Mittagsteller anbietet. Dazu gehört auch die Pizzeria, in der Phillips Schwager aus Südtirol arbeitet. Die Margherita schmeckt fast so wie bei den guten Adressen in Neapel. 

Man könnte Tage und Wochen im Inntal verbringen, anstatt einfach durchzurasen, was dank Geschwindigkeitsbegrenzung ohnehin ein Wunschgedanke ist. Gleich neben dem Festspielhaus in Erl und in Nachbarschaft zum Naturereignis Blaue Quelle befindet sich das gleichnamige Gasthaus. Forelle Müllerin gehört zu den Standards, heiße braune Butter macht den von Natur aus mageren, in eiskaltem Wasser gewachsenen Fisch ­bekömmlich. Aber Küchenchef Ale­xander Struth, der das Restaurant mit den schönen alten Stuben gemeinsam mit seiner Frau Gaby führt, kann noch viel mehr. Lachsforelle aus der Zucht am Walchsee richtet er wie ein Sashimi an und trifft dabei den Grundgeschmack des japanischen Klassikers ziemlich genau. Die Blaue Quelle zählt zu den beliebtesten Ess-Adressen im Unterland, an den Tischen auch viele Gäste aus dem ­benachbarten Bayern, die solches bei sich zu Hause vergeblich suchen. 

Nicht weit entfernt wartet der Unterwirt. Sabrina und Katrin Steindl führen das denkmalgeschützte Haus, das aus dem Jahr 1490 stammt. Die Metzgerei Juffinger liefert Fleisch und Innereien. Kalbsleber kommt in der beliebten Kombination mit Zwiebel und Apfel. Zum Lammfilet serviert Küchenchef Christian Ranacher Kürbis und Kürbiskerne. Schön als Abschluss: Paunzen mit Mango.

Ein Konzept, das sich durch die Küchen des Inntals zieht, heimatverbunden und weltoffen in einem.  

Artikel aus A la Carte 06/2024.

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