×
3. Mai 2024
Familie

Wie Vierbeiner bei der tiergestützten Therapie helfen

Im schnellen Galopp über die Felder fliegen, einmal eine Mähne kämmen oder einfach einem Pferd sanft über die Nüstern streichen: Viele Kinder träumen davon, den sanften Riesen so richtig nah zu kommen. Diese Erfahrung ist aber nicht nur ein Abenteuer, sondern hat in der tiergestützten Therapie auch positive Effekte auf das Gemüt, den Ausdruck von Emotionen und die motorischen Fähigkeiten von Kindern.

Mädchen mit braunen Haaren und Zopf in gestreiftem T-Shirt mit kurzen Ärmeln streichelt die Nüstern eines Schimmels hinter einem Holzzaun. Im Hintergrund sieht man verschwommen Bäume bei der tiergestützten Therapie.
Tiergestützte Therapie kann enorm zum Wohlbefinden und zur Weiterentwicklung von Kindern beitragen. © Getty Images

Kleiner Onkel aus Pippi Langstrumpf, Pegasus aus Herkules oder Iltschi von Winnetou: So manches Pferd hat uns durch unsere Kindheit begleitet. Für viele rückt mit ein paar Reitstunden der Traum vom wiehernden Freund in greifbare Nähe. Daneben gibt es in der tiergestützten Therapie auch viele Vorteile, die Kindern durch die Interaktion mit Mitgliedern aus der Familie der Pferde zugutekommen.

Inas Steckenpferd

Besonders Kinder, die keine guten Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, therapeutischen Angeboten skeptisch gegenüberstehen oder bereits therapiemüde sind, können diese Form der Hilfe oft besser annehmen. Über Tiere gelingt es den Therapeuten meist einfacher, einen Zugang zu finden, als in einem Vieraugengespräch. Denn in der therapeutischen Arbeit mit Tieren geht es um den nonverbalen Kontakt zwischen Mensch und Tier.

Genau dort passiert die Magie: Vielen Kindern fällt es schwer, in Worte zu fassen, was das Problem ist, was helfen würde oder Stress auslöst. Tiere – und Therapietiere im Speziellen – reagieren feinfühlig auf Menschen. Sie nehmen ihr Gegenüber mit all seinen Emotionen wahr und geben nonverbale Rückmeldungen an das Kind und den Therapeuten. So ist es auch in der Reittherapie. „Das Pferd fördert und fordert sanft und unauffällig. Es trägt den Menschen mit all seinen Problemen, ohne zu urteilen, zu bewerten oder zu kritisieren“, erklärt Ina Ettl, Ausgebildete der heilpädagogischen und therapeutischen Förderung mit dem Pferd.

Die Liebe zu den Huftieren begleitet Ina Ettl schon ihr ganzes Leben. Eingebettet in die Landschaft der pannonischen Tiefebene liegt auf weiter Steppe die Koppel der leidenschaftlichen Eselliebhaberin und Pferdenärrin. In Podersdorf am See lebt sie ihren Traum von der eigenen Ruheoase mit Pferden und Eseln, die bei der tiergestützten Therapie eingesetzt werden und gezielt Kindern helfen. „Ich liebe die Arbeit mit Kindern und genauso mit Pferden. Es ist auch das, was ich als Kind gerne gehabt hätte. Ein Ort mit Pferden, weg vom Leistungsdruck, ohne das Vergleichen oder den Konkurrenzkampf mit anderen Kindern. Nur mit dem Pferd sein und in meinem Tempo lernen und wachsen“, so die 37-Jährige. Und genau das findet man dort.

In bester Gesellschaft

Mädchen und Buben, denen Stillsitzen schwerfällt und die fein- oder grobmotorische Förderung benötigen, profitieren genauso von der tiergestützten Therapie mit Pferden wie Kinder, die sich mit Ängsten konfrontiert sehen oder Probleme mit Kommunikation oder Interaktion haben. Aber auch ein großes Interesse an den Huftieren reicht aus, um sie als ganz besondere Interaktionspartner bei der tiergestützten Therapie näher kennenzulernen. „Der Therapiestall soll ein Ort abseits vom Alltagsstress sein, von Krankheit, Leid oder Frustration. Ein Platz, an dem man angenommen wird, wie man ist und neue Kraft tanken und Lebensfreude schöpfen kann. Das Leben ist an sich schon nicht immer einfach. Aber gerade für Kinder, deren eigene Geschichte nicht linear verläuft, ist es noch einmal schwieriger. Pferde können auf unterschiedliche Weise helfen, den Herausforderungen standzuhalten oder wieder zurück ins Leben zu finden“, erklärt die Mutter einer Fünfjährigen.

Die Vorteile bei dieser Art der Therapie sind unübersehbar: Kinder nehmen wortwörtlich die Zügel selbst in die Hand und steuern einfach mal so das Gewicht einer halben Tonne. Sie erleben Abenteuer und spüren im wilden Galopp den Wind in den Haaren. Sie bauen eine Freundschaft auf und sammeln neue Erfahrungen, wachsen und werden zum Pferdeprofi. „Für jeden ist etwas dabei. Das Reiten per se und sich Herausforderungen stellen, getragen werden und Last abgeben, aber auch entschleunigen und eine Auszeit vom Alltag nehmen, während man im Heu liegt und die Ruhe genießt. Dazu gehört auch, sich zu kümmern und sehen, dass man gebraucht wird“, sagt die Pferdehofbesitzerin. So können Kinder Ängste überwinden und sich auf dem Pferderücken sicher fühlen.

Stur wie ein Esel

Allerdings findet sich Sicherheit nicht nur auf dem Rücken von Pferden. Auch Esel eignen sich bestens als Therapietiere. Vor kurzem sind zwei der Unpaarhufer im Pferdehof Ettl eingezogen, die ebenfalls mitarbeiten. Obwohl Fridolin und Tobi ihren artverwandten Kollegen Kaya und Jaris ähnlich sind, gibt es doch Unterschiede zwischen Esel und Pferd, die eine Reihe von Vorteilen mit sich bringen. Erstens sind sie kleiner als ihre Verwandten. So können auch jüngere Kinder schon selbst tätig werden – dazu gehört zum Beispiel Hufe auskratzen. Zweitens werden die Esel nicht geritten, sondern nur geführt. Und drittens strahlen die grauen Langohren mit Stehmähne mehr Ruhe aus als Pferde, da sie nicht den gleichen Fluchtinstinkt haben. Was ein strammes Ross an Eleganz mitbringt, das hat ein Esel an Gelassenheit und Mut. Bei all der Coolness sind sie aber richtige Kuscheltiere und legen gerne mal den Kopf in die kleinen Kinderhände.

Die Esel genießen es, stundenlang gekrault zu werden. „Sie lassen sich nicht verbiegen. So wie sie sind, so sind sie. Das, was sie wollen, das machen sie. Was sie hingegen nicht wollen, tun sie auch nicht. Druck oder gar Gewalt bringen nichts. Dieses Verhalten fordert von uns Menschen viel Kreativität, Verständnis und oft Geduld. Gerade Kinder wollen oft genau jetzt dieses oder jenes – damit beißt man sich bei den Eseln die Zähne aus. Nur mit Geduld und oft über Umwege kommt man ans Ziel“, schmunzelt die Podersdorferin. Dann ist das Erfolgserlebnis aber umso größer. Kinder, die mit Pferden der tiergestützten Therapie schon einen schwierigen Hindernisparcours meistern konnten, freuen sich oft ungemein darüber, wenn Esel Fridolin mit ihnen über eine kleine Stange steigt. Ihren Eltern berichten sie im Anschluss immer stolz über den Erfolg.

Klares Feedback

Wie auch bei den Pferden geht es bei der Arbeit mit den Eseln um eine klare und ehrliche Rückmeldung und darum, eine positive Beziehung einzugehen. „Diese Erfahrung bringt die Kinder zurück ins Hier und Jetzt. Zudem beginnen sie, Verantwortung zu tragen und mutig zu sein. Denn die ponygroßen Vertreter der Pferdefamilie müssen geführt werden und sind mehrere hundert Kilogramm schwer“, so die passionierte Reiterin. Obwohl Esel groß und stark sind, brauchen sie den Menschen. Man muss sich kümmern, Fliegen verscheuchen, Wunden versorgen und die Mähne vor dem Verfilzen bewahren. Durch diese Interaktion sehen Kinder, dass sie gebraucht werden, ihr Tun einen Unterschied macht und sie wichtig sind. Vor allem aber, dass sie etwas bewirken können. 

Stellt sich natürlich noch die Frage, für wen das Herz letztendlich höher schlägt: Esel oder Pferd? „Als wir unsere beiden Eselbuben bekommen haben, ist die große Eselliebe bei mir ausgebrochen. Ich hatte davor so gut wie gar keinen Kontakt zu Eseln und war plötzlich in die zwei kuschligen, entspannten Langohren schwer verliebt. Wenn man mich damals gefragt hätte, wäre die Antwort sicher zugunsten der Esel ausgefallen. Jetzt fällt es mir ehrlich gesagt schwer, weil ich unsere Eselbuben gerne habe, aber Pferde mein ganzes Leben lang eine sehr große Rolle gespielt haben. 37 Jahre Pferdeliebe gegen ein Jahr Eselliebe, da gewinnen wahrscheinlich doch die Pferde – aber nur knapp“, verrät sie.