Story

Der absolut gerechtfertigte Hype um Monsieur Bruno Verjus

Bruno Verjus, ehemaliger Journalist und Radiomoderator, leitet seit April 2013 sein Restaurant Table in Paris, wo er als Küchenchef trotz seines Alters von bald 65 als Nachwuchshoffnung im Fine Dining gilt. Seine Küche, bekannt als "saisonale Avantgarde", zeichnet sich durch den Einsatz spektakulär hochwertiger Produkte aus, wobei jedes Gericht sorgfältig behandelt und mit einer Geschichte präsentiert wird. Verjus, ein Autodidakt, hat ein Menü konzipiert, das in seiner Reduziertheit überzeugt und wo jede Speise eine Referenz an das perfekte Produkt darstellt, oft unterstützt durch spontane Lieferungen von Produzenten direkt ins Restaurant.
Teller mit Hummergericht von Bruno Verjus
Zu Recht berühmt ist Bruno Verjus' Hummer „Mi-cru mi-cuit“, der in auf 37 °C
Alle lieben Bruno Verjus. Seine Persönlichkeit, seine Küche, sein Restaurant Table in Paris. Dem „neuen Alten“ gehört die Zukunft im Fine Dining.

Bruno Verjus steht in der offenen Küche seines Restaurants Table und dirigiert das Küchenteam mit oft nur minimalen Gesten. Ein Blick von ihm reicht, und alle wissen, was zu tun ist. So etwas beherrschen nur die ganz großen Könner. Bruno Verjus ist ein ganz Großer im Fine-Dining-Fach. 

Der Mann ist der Beweis, dass auch aus Journalisten etwas werden kann. Trotz seines Alters von bald 65 ist er bezüglich Dienstjahre als Küchenchef die jüngste Nachwuchshoffnung in Sachen Fine Dining. Früher war er unter anderem Journalist und Radiomoderator für Kulinarik. Seit April 2013 nutzt der Autodidakt sein Wissen, um eine der besten Küchen in Paris zu machen. Jedes Gericht hat eine Geschichte und besteht vor allem aus spek­takulär guten Produkten und deren bestmöglicher Behandlung.

Das Ergebnis kann man „saisonale Avantgarde“ nennen. Jedes Gericht berührt in jedem Detail. Das startet mit dem hier üblichen Tagessalat aus verschiedenen mikrosaisonalen Gemüsen und Kräutern. „Farben des Tages“ nennt man hier diesen täglich neu kreierten Teller. Die Zutaten dafür sind peinlich genau sortiert, die belebende Marinade wurde nicht neu erfunden, ist aber exakt so, wie man es ersehnt und als passend empfindet.

Süß und saftig

Das zeigt sich in der roh servierten Sardine, wie man sie so nur ganz selten bekommt. Der Teller mit Tomaten, hochkomplex, verschieden zubereitet, für den Gast ein endgültiges Gericht zum Thema. Das unglaublich luftig-leichte Melanzani­püree als Unterlage für Krabbenfleisch. Diese unverschämt guten Linsen mit rohem Langustinenfleisch und einer Sauce vom Kopf der Tiere. Da kommt Kalbsbries mit einer Hummerreduktion …

Jeder Teller ist eine Referenz an das perfekte Produkt. Viele Zutaten werden von den Produzenten und Händlern ins Lokal gebracht. So sind dann fangfrische Schwertmuscheln schon dreißig Minuten später am Teller. Zwischendurch, während die Muscheln gegessen werden, gibt es auch angewandte Warenkunde: „Wenn sie so groß sind, haben sie kaum Sand, das erspart das Putzen und Spülen, bringt ein Mehr an Geschmack.“

Man muss natürlich über den hier servierten Hummer sprechen. Das ausgelöste Hummerfleisch wird nicht gekocht. Er wird in klarer Butter, in der die Hummerkarkassen zuvor geröstet wurden, auf 37 °C erwärmt. „Mi-cru mi-cuit“ nennt man das hier – halb roh, halb-gegart. Man braucht ein Messer, weil das Fleisch technisch gesehen zwar warm, aber immer noch roh ist. Die so erreichte Geschmackstiefe, süß und saftig, sowie die Textur sind faszinierend. Später kommt der Kopf mit Röstbrot zum Tunken.

Perfekte Harmonie

Der Appetit auf mehr ist hier nicht enden wollend. In der Küche erhält eine mit Fleisch angesetzte Sauce mit der Zugabe von Drachenkopf einen Meeres-Touch. Diese Essenz, mit reichlich Butter und Pfeffer finalisiert, ist die minimalistische wie auch einfach großartige Sauce zu einem kurz gebratenen Tuna-Bavette-Steak. Es sind derartige Kombinationen mit frisch zubereiteten Saucen, die eine perfekte Harmonie herstellen. Sie wirken allesamt leicht, spielerisch und haben dabei doch eine Tiefe, die nur schwer nachahmbar ist.

Ein halbiertes Schokotörtchen kommt mit einem großzügig dimensionierten Löffel Osietra-Kaviar. Die intensive Schokolade vermählt sich ­allerfeinst mit der Salzigkeit des Kaviars. Man sieht derlei mittlerweile weltweit auf Instagram. Erfunden hat die Kombination, das gehört ­erwähnt, Bruno Verjus. Dass sie hier auch heute so überzeugend,schmeckt, liegt vielleicht daran, dass in die ­Ganache aus peruanischer Schokolade auch noch ein paar italienische Kapern beigemengt sind.

Auch wenn viele teure Luxuszutaten geboten werden, tatsächlich beeindruckend ist der kreative Umgang der Küche mit den „normalen“ Dingen. Etwa wenn zum Schluss eine Madeleine mit fruchtig-würzigem Olivenöl aus Griechenland auf den Tisch kommt. So einfach geht das. Die Einfachheit im Angebot ist ein Schlüssel zum Glück. Wo gibt es in der Spitzengastro noch Käse mit Salat als Zwischengang vor dem Dessert? 

Diese souveräne Reduziertheit, diese himmlisch guten Saucen lassen bei jedem Gang frohe Bewunderung aufkommen. Bemerkenswert auch, dass all dies in einem Menü in einer selten erlebten Konsistenz geschieht, es praktisch keine merkbaren Ups and Downs gibt.

„Jeder Tag bringt köstliche Zutaten“

Mitunter wird die Karte jeden Tag neu geschrieben. „Jeder Tag bringt neue köstliche Zutaten“, sagt Bruno Verjus „und die größte Auszeichnung für uns ist, wenn die Gäste wiederkommen.“ Bruno Verjus hört stets genau zu. Nicht nur, was Gästeanliegen betrifft. „Man kann mitunter hören, wann ein Produkt optimal gegart ist. Etwa dann, wenn das Kalbsbries ein Stakkato im Butterschmalz vollführt.“ Bruno Verjus sagt, dass er gerne in seinem Restaurant sitzt, um zwischendurch alles auch aus der Gastperspektive zu betrachten. Wie recht er doch hat. Die jungen Köche sehen in ihrem Ehrgeiz zwar ihre perfekten Teller, aber sie sehen nicht, wer sie unter welchen Umständen isst. 

„Wenn ich täglich das aktuelle Menü schreibe, entwerfe ich letztlich das Restaurant, in dem ich immer schon gerne essen wollte. Ich bin Gastronom, und zugleich fühle ich mich auf der Seite der Gäste. Letztlich ist das Table das Resultat meiner Erfahrungen als Restaurantbesucher in den letzten vierzig Jahren.“ Jeder Teller bei Bruno Verjus ist eine Referenz an das perfekte Produkt. Es kommen viele perfekte Produkte ins Table. Manchmal stehen Produzenten unvermutet um elf am Vormittag im Lokal, mit Gemüse oder einem besonderen Fang, sind neugierig, was der Meister damit anstellen wird. Zugleich ist es ein freundlicher, wertschätzender Plausch, der sicherstellt, dass die Produzenten auch zukünftig mit dem Allerbesten in die Rue de Prague kommen werden. Über den Preis zu feilschen, würde hier niemandem in den Sinn kommen.

Man glaubt ihm aufs Wort, wenn er sagt, dass „wir das Produkt stets auf die nächste Stufe heben wollen, ohne dabei die Essenz zu verlieren“. Textur und Grundcharakteristik respektiert man zu hundert Prozent. Man könnte auch sagen: Hier wird nichts überkocht. Von den notwendigen Fonds für Saucen abgesehen, wird alles à la minute gemacht. „Ich glaube nicht an Mise en Place. Was hat es für einen Sinn, wenn man Essen Stunden im Voraus vorbereitet? Wir kochen à la minute, damit sich unsere Gäste lebendig fühlen, wenn wir ihnen unsere frischen saisonalen Produkte servieren.“

Bruno Verjus studierte Medizin

Ein wahrhaftiger, echter Koch und Gastgeber. Er ist so pur, weil er nichts anderes sein will. Andere Köche versuchen ja fatalerweise, Künstler, Entertainer, Erfolgsmanager zu sein. Bruno Verjus hat schon einige Karrieren hinter sich, mit allen Höhen und Tiefen, ausführliches Sabbatical inklusive.

Der in Roanne geborene Bruno Verjus studierte Medizin, lebte einige Zeit in China und war dort in der Medizinbranche kommerziell sehr erfolgreich engagiert, ehe er sich der professionellen Kulinarik über einen Foodblog annäherte. Er schrieb in Folge Bücher und erlangte eine gewisse Popularität mit der Radiosendung On ne parle pas la bouche pleine (Mit vollem Mund spricht man nicht), die er gemeinsam mit seinem Freund Alain Kruger produzierte. Jeden Sonntagabend reflektierten die beiden auf Radio France Culture zu allen erdenklichen kulinarischen Themen.

Übrigens: Verjus ist tatsächlich sein echter Nachname und nicht etwa ein Künstlername.

Nach vielen Reisen und publizistischen Kulinarikprojekten wurde Bruno Verjus mit 54 plötzlich Gastronom. Zum Lokal in der Rue de Prague kam er durch einen glücklichen Zufall. Die Miete ist für Pariser Verhältnisse vergleichsweise günstig, zudem hat sich das Viertel im zwölften Arrondissement über die Jahre gemausert. Anfangs war das Restaurant ausschließlich auf die Nachbarschaft fokussiert. Mit einigen wenigen Mitarbeitern bot Bruno Verjus damals noch ein 25-Euro-Mittagsmenü. 2018 arbeiteten schon ein paar Leute mehr hier und es gab einen ersten Stern. Die Covid-Zeit brachte neben aller Unbill die Konzentration auf Qualität, das neue, heute tätige Team und schließlich 2022 einen zweiten Stern.

Im aktuellen The World’s 50 Best Restaurants-Ranking hat Bruno Verjus Platz zehn inne. Wenn im Juni in Las Vegas das neue Ranking kommt, scheint eine einstellige Positionsnummer ziemlich sicher.

Einen der maximal dreißig Sitzplätze im Lokal zu bekommen, ist zu manchen Terminen eine echte Herausforderung. Jeder, der davon hört, möchte diesen Mix aus Fine Dining, französischer Klassik und auch ein wenig Hausmannskost haben. Dass das Menü mit rund 400 Euro für zwölf bis fünfzehn Gänge zu Buche schlägt, schreckt angesichts des Gebotenen kaum jemanden. Dass all das in einer offenen Küche geschieht und dass Gastgeber und Köche sicht- und greifbar sind, ist ein großes Glück für die Gesamtatmos­phäre. Fast ist es, also ob man bei Bruno Verjus daheim sitzt. Das ist von ihm übrigens auch genau so gewollt.

Wahrscheinlich werden mit Ausnahme des Hummers nur wenige in diesem Text beschriebenen Gerichte derzeit exakt so im Table serviert. Alles passiert kurzfristig, spontan. „Wir wechseln die Karte häufig. Wenn es sein soll, jeden Tag. Ich bin in dieser Hinsicht nicht so gerne in der Komfortzone. Mein Team und ich hassen Routine.“ In der offenen Küche regiert der Spaß. Und ja, es wird bei aller Konzentration bei der Arbeit auch viel ­gelacht. „Wenn es gut läuft, dann hört es die ganze Rue de Prague.“

Entsprechend sinnlos sind daher auch die Versuche von Konkurrenten, einen der zehn Mitarbeiter abzuwerben. Sie sind zufrieden und glücklich hier. Man weiß, was man aneinander hat, und ist über die Jahre so gut eingespielt, dass viele spontane Improvisationen leicht von der Hand gehen. „Wir kreieren neue Gerichte durch praktisches Kochen, nicht durch theo­retisches Skizzieren am Papier.“

Artikel aus A La Carte 01/2024.

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