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3. Mai 2024
Genuss

Southern Comfort am Wörthersee

Am Wörthersee schwimmt man von Beach Club zu Spitzenrestaurant und zurück, nicht ohne zwischendurch in einer Bar einen Drink zu nehmen. Das Wasser bringt Gäste und Gastronomie zusammen. Ins Glas kommt allerdings nicht Wasser, sondern Champagner.

Fischer und Küchenchef stehen auf einem Badesteg am Wörthersee.
Early Birds unter den Schloss Seefels-Gästen am Wörthersee können beobachten, wie Fischer Emil Küchenchef Richard Hessl seinen Tagesfang überreicht. © Michael Reidinger

„Kärnten kann ich mir nicht leisten“, sagte Bruno Kreisky in den späten 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts – und fuhr nach Mallorca. Der Wörthersee durfte sich angesprochen fühlen. Der See zwischen Klagenfurt und Velden gilt seit damals als zwischendurch erfolgreicher Versuch, in Österreich den Jetset zu etablieren. Sankt Moritz oder Kitzbühel am Wasser. Das ist schon etwas länger her. Dennoch gilt: Der einzige See, der im Sommer Motorboote zulässt, ist ein zuverlässiger Laufsteg der Eitelkeiten. Und die Sommersaison hat eigentlich erst begonnen, wenn Kärtner Local Heros mit ihrem schwimmenden Lamborghinis in Velden oder Pörtschach angelegt haben. Sicher ist, dass der Konsum von Kaviar an den Wörthersee-Ufern den an Burgern übersteigt. 

Das perfekte Butterbrot

Wir beginnen mit einem Butterbrot. Bei einem vom Schlosshotel Velden am Wörthersee organisierten ­Get-together lokaler Produzenten treffe ich Hanno Erian. Der Jurist hat die vom Studium vorgezeichnete Karriere an den Nagel gehängt und sich für den Beruf als Landwirt am Demeterhof seiner Eltern entschieden. Seine Rohmilchbutter und sein Glundner Käse bereichern das Angebot des Frühstücks der Hotelgäste im Schloss Velden. Daheim am Hof wird Brot gebacken. Es gibt einen Hofladen, und samstags fährt jemand aus der Familie auf den Markt. Wa­rum er seine feinen Lebensmittel nicht etwa teuer in der Großstadt verkauft, wenn er sich schon verständlicherweise auf keinen Handel mit dem österreichischen Lebensmittelhandel einlassen will? „Die Erzeugnisse unseres Hofes sollen leistbar bleiben. Das ist mein Ziel. Weil wir teurer produzieren als andere, spare ich die Marge des Zwischenhandels ein.“

Das perfekte Butterbrot bleibt leistbar, Kreisky hätte seine Freude gehabt. Der Hof von Hanno Erian und seiner Familie liegt in St. Veit an der Glan, nicht am Wörthersee. Nicht nur die Butter schmeckt, auch der Topfen, den die Mama höchst selbst zubereitet und bei der Arbeit die in Minuten messbare Veränderung der Textur des Topfens erspürt, was vermutlich nur wenigen gelingt. 

Kleines Mochi-Department

Den meisten Gästen des Restaurants Seespitz in Velden am Wörthersee sind dergleichen Feinheiten egal. Thomas Gruber weiß das und schreibt trotzdem ein Slow-Food-Menü auf die Karte. Vier Gänge, darunter ein Branzino aus der Fonda-Zucht in Piran mit Artischocke, Grapefruit und Topinambur. Die Kasnudeln sind großartig. Wir halten uns mit Adjektiven „beste Kasnudeln Kärntens“ zurück, wollen niemanden kränken. Gruber macht den Teig hauchdünn, mit einem Fokus auf den gekrendelten Rand. Die von der karinthischen Kasnudel-DNA beeinflusste Aromatik der Füllung ist comme il faut. Dazu gibt es heiße geklärte Butter mit Schnittlaucharoma in sanftem Wiesengrün sowie Radieschen, die der feisten Nudel frischemäßig Kontra geben. Auf diese Art schmeckt die Kärntner National-Teigware auch nach einem harten Tag am Strand oder am Golfplatz.

Sommelier Markus Gladitsch hält dazu Weine bereit, die dem Klischee des Wörthersee-Sommers widersprechen. Am See werden im Sommer gute Geschäfte mit Sushi gemacht, dem Carpaccio der Zehnerjahre. Die Sushi-Spezialisten machen gutes Geld. Da hatte Thomas Gruber einen Einfall. „Ich kooperiere mit den Besten in Sushi.“ Seit vorigem Jahr gibt es ein kleines Mochi-Department auf der Speisekarte. Die Roll mit Bio-Saibling, Spargeltempura, Avocado und Honig-Miso schmeckt in Velden so gut, als würde man im Wiener Original essen. Bedauerlicherweise ist das Restaurant des Schloss Velden, in dem vor mehr als zehn Jahren Silvio Nickol seine ersten Triumphe feierte, mehrheitlich den Halbpensionsessern gewidmet. Vielleicht lässt sich das Hotelmanagement dazu noch etwas einfallen. Es ist beziehungsweise wäre eines der schönsten Restaurants am See und wartet darauf, wachgeküsst zu werden. 

Kulinarischer Impresario Richard Hessl

Dass der Wörthersee schon früher, ganz früher einmal die Destination für Menschen mit gewissen finanziellen Mitteln war, beweist die auffallend große Zahl an größeren und heimeligen Schlössern in Ufernähe. In vielen davon kann man herrlich wohnen, in manchen auch essen. Das entzückende Seeschlössl in Velden empfängt Gäste zum prächtigen À-la-carte-Frühstück. Prächtig und mit Anspruch konzipiert präsentiert sich die gastronomische Abteilung des Schloss Seefels.

Viele sagen, es sei das erste Haus, also Schloss am See. Die Trennung zwischen Hotel- und À-la-carte-Gast wurde beseitigt, es gibt keine Halbpension mehr. Auch um die früher rar vorhandenen Plätze auf der Terrasse müssen sich die Gäste nicht schlagen. Die Terrasse wurde kräftig erweitert. Kulinarischer Impresario des neuerdings mit Kunstwerken im Millionenwert bestückten und mit Mut zu Farbe und edlen Materialien neu gestalteten Hotels ist Richard Hessl. Er hat die Klassik im kleinen Finger. Sein Kitzbeuschel mit Knödel und Wachtelei ist ebenso vollendet wie der weiße Spargel mit Zitrone oder die im Ganzen gebratene Seezunge. 

Kalbsbutterschnitzel auf Robuchon-artigem Erdäpfelpüree mit Zwiebel ist große Klasse. Signature Dish, wenn man so will. Und passend zur Örtlichkeit ist das Kaviar-Ei, eine schöne Portion nicht zu kleiner und nicht zu weicher Störeier auf einer Brandade aus Stör und warmem Eidotter. Ja, das ist Festessen. Es fügt sich ins Gesamtbild des Hotels. Ein Stockwerk seewärts gibt es das im Vorjahr mit Mut zu Farben treffsicher gestaltete Porto Bello. Man sitzt, isst, trinkt und schaut den vorbeischwimmenden Enten und Schwänen zu. Hier schmecken die Fischsuppe, die so gut ist, dass man sie auch bei 35 Grad im Schatten genießt, das Crudo von der Seeforelle sowie die feinen Spaghettini mit butterzarten Calamari und Moscardini. Dazu Bollinger glasweise, mehr muss nicht sein.

Party, Musik und Stimmung

Dass das Porto Bello einer der Pioniere der Ufer-Gastronomie war, erzählt Rainer Husar. Er startete Mitte der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit seiner Beach-Bar seine Karriere als Barkeeper der Wörthersee-Prominenz. Zuvor hatte er fünf Jahre im Dorchester in London, im Eden Palace in Montreux, im Negresco in Nizza und im Dolder Grand in Zürich gearbeitet. Der jetzt 74-Jährige ist einer der längst dienenden Gastgeber Kärntens. Er zeigte in seiner Bar am Monte-Carlo-Platz in Pörtschach, dass Österreich auch ohne Blasmusik geht. Er erfand Drinks wie den Testarossa und widmete ­seinen prominenten Gästen eigene Rezepte. „Der Udo Life war ein Bacardi, Zitronensaft, Cointreau, aufgefüllt mit Sekt, dazu eine winzige Portion Zitroneneis.“ Husar bildete Kohorten von Bartendern und Mixologen aus, die teilweise auch heute in den Bars am See mixen, aber auch in Paris oder in Berlin den Gästen Gutes tun. Im Winter ging es damals meistens vom Wörthersee nach Zürs.

„Essen spielte damals keine große Rolle. Es ging um Party, Musik, Stimmung.“ Die Drinks mussten halt schon stimmen. Das Barwunder Wörthersee begann in den 70ern. „Im Seefels wohnten die Rennfahrer, Lauda, Senna und die anderen“, erzählt Husar, „1983 machte ich mich selbstständig, hatte eine tolle Klientel, dementsprechend gut funktionierte Rainers Bar in Pörtschach.“ Es war die Zeit der Filmstars und der großen Feste. Karl Wlaschek spielte im Schlosshotel Velden, die Bar dort trägt übrigens den Namen Charlie Walker. Jenen Namen, unter dem der Billa-Gründer und Immobilienunternehmer gerne den Barpianisten gab.

Husar sagt, und es klingt uneitel: „Den damaligen Glamour am Wörthersee durfte ich mitgestalten.“ Ein guter Drink entstehe nur aus ­tiefgehender Beschäftigung mit der Materie, so er. Doch das reicht nicht für einen guten Bartender, er muss auch ein hervorragender Gastgeber sein. „Die Bar ist eine Bühne für beide, für den Gast und den Mann oder die Frau hinter der Bar. Die Bar ist aber auch Wohnzimmerersatz.“ Seine Bar vergleicht Husar mit Harry’s Bar oder mit anderen Bar-Evergreens in Paris oder Saint-Tropez. Und in den 20ern des aktuellen Jahrhunderts?

Was Rainer Husar auffällt: „Das Ausgehverhalten hat sich geändert, die Gäste essen jetzt ausgiebiger, dafür wird weniger gefeiert, und man geht vor Mitternacht ins Bett. Das gilt für den Arlberg und auch für den Wörthersee. Man konsumiert bewusster. Ein gewisser exzessiver Ablauf, den es früher auch bei mir gab, fehlt heute.“ Sprich: Die Sau wird nicht mehr rausgelassen. Zumindest nicht in Österreich. Seit der Schließung von Rainers Bar döst Pörtschach vor sich hin. Mancher Kraftakt beim Versuch, den Glamour von früher wieder zu beleben, ging ins Leere. Das liegt nicht nur am Mangel an Gastgeberpersönlichkeiten, sondern an den Gästen selbst. „Nicht, dass es keine Jungen mehr gäbe, aber ein kleines Vakuum ist da.“ 

Låxn, Kohlrabilasagne, gebratener Waller

Gerne würden wir hier über die Möglichkeiten unterrichten, wie es ist, viele der angenehmen Adressen mit dem Boot anzusteuern. Doch zum Zeitpunkt der Recherche haben sich die Eismänner mit mehreren Italientiefs verbrüdert. Es regnet ­unaufhörlich. Statt des Sundowners auf der gewöhnlich sonnenlichtdurchfluteten Terrasse im Restaurant von Hubert Wallner also ein einfaches Glas Krug. Wallner hat über den Winter sein ­gesamtes Küchenteam ausgetauscht. Die Neuen gehen mit Elan an die Arbeit. Ein Wallner-Klassiker darf als erfrischend kühles Sommergericht vorbehaltlos empfohlen werden: Låxn, eigentlich Lachsforelle, die Wallner von seinem Lieferanten Hofer vom Längsee bezieht, ein mit Feingefühl gebeizter, wachsweicher Fisch. Dazu Gurke, Salzzitrone, Portulak und eine kühle Velouté mit Saiblings- und Störkaviar.

Auch die Kohlrabilasagne hat Charakter. Sie wird mit einem Raviolo aus roher Kohlrabi serviert, dazu eine kalte klare Jus auf Basis von Hibiskustee sowie Haselnusscreme. Aus Hummer macht Wallner eine Bisque, von der man behaupten kann, dass sie nicht anders als perfekt abgeschmeckt und temperiert ist. Darin sanft gebratene rote Garnele. Rote Garnele auch als rohes Tatar auf einem knusprigen Teigring aus Reis mit Paradeisern und Basilikum. Auf einem Gitter aus
gebackenem Parmesan kommt fermentierter Eidotter, darunter Parmesanschaum, Eidotter und nach Art einer Duxelle zubereitete Pilze, die zu dieser Kombination aus Ei und Käse fast ein wenig forsch wirken. Wenn es im Herbst Weiße Trüffel gibt, könnte dieses Gericht zum Saisonhit werden. 

Auch beim gebratenen Waller blitzt Wallners Könnerschaft auf. Der Fisch kommt mit Brunnenkresse, Schwarzwurzel und Kren. Letztes Jahr sorgte die Patisserie
noch bei wenig aufgeschlossenen Gästen mit Sepia und Pfirsich für Verwunderung, dieses Frühjahr gibt es Nougattascherl, dazu Erdbeeren. Manchmal ist es gut, ­einen Schritt zurückzugehen, um zwei Schritte weiterzukommen. Wenn man am Wörthersee eine Weinkarte mit Sonderlob bedenken wollte, wäre es sicher die von Andreas Katona für Hubert Wallner zusammengestellte Auswahl. Sie würde von Sepp Muster bis Agnès Paquet, von Neuigkeiten aus dem Beaujolais bis zu den Musts aus dem Jura reichen. 

Italiener in Klagenfurt

Weil sich die Bar-Ikone Rainer Husar fragt, wo die Jungen hin sind: Feiern sie nicht mehr? Sie tun es an den Stränden und auf den Inseln Kroatiens, vielleicht auch wegen … siehe Kreisky-Zitat. Aber der Süden und das Mittelmeer haben eben auch mehr Sex. Und den Süden und das Meer nach Kärnten zu holen, darum bemüht man sich am Wörthersee besonders. Man kann die Karawanken und unterschiedlichen Lifestyles aber nicht wegzaubern. Dennoch findet sich auch auf jeder besseren Beach-Club-Speisekarte das Trio aus Burrata, Pasta und Piran-Branzino. Aus diesem Grund ist es auch für Gastronomen sinnvoll, Roséwein aus Italien oder Südfrankreich anzubieten und nicht aus dem Carnuntum oder dem Burgenland. Auch wenn Patrioten und Weinhändler bei der Feststellung jetzt ein Ziehen in der Herzgegend kriegen. 

Zum Meer sind es von hier noch einige wenige Hundert Kilometer. Wer die nicht zurücklegen will fährt zum Essen nach Klagenfurt. Klagenfurt ist Klagenfurt. Wie viele andere Landeshauptstädte gewinnt die Stadt keinen Schönheitspreis. Aber hier befindet sich das beste italienische Restaurant am Wörthersee, allerdings ohne See und ohne Sonnenuntergang. Stephan Vadnjal führt gemeinsam mit einem treuen Team das kleine Restaurant im Zentrum. Das Lokal ist so edel wie entzückend. Die Karte wechselt, je nachdem, was der Fischlieferant gebracht hat, dessen Namen der Patron naturgemäß hier nicht lesen will. Man möchte mit einer größeren Runde einkehren und sagen: „Chef, koche! Chefin, schenke ein!“

Selten, vielleicht auch gar nicht, bekommt man in Österreich solche mediterranen Delikatessen wie die butter­zarten rohen Scampi aus Istrien, begleitet von Olivenöl, etwas Salz, rohem Fenchel und süß-bitterer Orange. Zuchtware lehnt der Küchenchef ab. Die rote Garnele nach der Methode einer Sarde in saòr mit Zwiebel ist betont elegant zubereitet, das schmeckt ebenso wie Risotto mit Lavanttaler ­Spargel, dem es allerdings an Cremigkeit mangelt. Großartig der kleine Knurrhahn, ein sogenannter Felsenfisch, in dieser Größe eher ein Schnurrhahn, in einer tomatisierten Sauce von perfekter Balance aus Frucht und Säure, wie ein guter Wein. Was den Wein betrifft: kleine, sehr gut sortierte und preiswerte Weinauswahl. Dennoch ist das Dolce Vita keine Okkasion, und die Strafzettel in Klagenfurts Innenstadt muss man auch mitkalkulieren, wenn man nicht mit dem Chauffeur anreist oder sich vorm Essen auf die Suche nach dem Parkscheinautomaten begibt.

Wilde Reinanken

In Krumpendorf hat man dergleichen Sorgen nicht, was den Parkschein betrifft. Neben einem aufgelassenen Stall wohnt Josef Huainigg, 88 Jahre alt und seit mehr als vierzig Jahren täglich frühmorgens am See, um Rein­anken und andere Fische zu fangen. Er war dabei, als man sachte, aber konsequent den Besatz des Wörthersees mit Fischen anging, die hierher passten. „Die Reinanke hier unterscheidet sich von der Reinanke anderswo durch ihre Größe. Denn sie hat genug zu essen und lebt fünf
bis sechs Jahre, bis wir sie entnehmen.“ Die Fischer achten sehr auf die Balance im See, zwischen Plankton und den unterschiedlichen Fischpopulationen. „Reinanke“, sagt Josef Huainigg mit einem kleinen Anflug von Stolz, „lässt sich nicht züchten. Man kann sie nur wild fangen.“

Huainigg kennt jede Strömung. Er weiß, wann und warum die Fische eher nicht ins Netz gehen, beispielsweise bei Vollmond, denn da ist es im nächtlichen See zu hell. Bei Neumond hingegen finden sich die Seebewohner ­öfter in den feinmaschigen, aber nicht zu feinmaschigen Netzen wieder. Josef Huainiggs Enkel mit dem gleichen Vornamen führt mit einem Kompagnon den Fisch-Heurigen. 

Artikel aus dem A la Carte-Magazin 03/23.