Wir atmen durchschnittlich 23.000 Mal am Tag. Fast jeder dieser Atemzüge geschieht unbewusst und automatisch. Kann man dabei etwas falsch machen? Ja, durchaus. Wenn man jedoch dem Atem Aufmerksamkeit schenkt, legt das den Grundstein für neue, gesündere Atemmuster. Während in unseren Breiten das sogenannte Breathwork erst seit einigen Jahren bekannter wird, sind Atemtechniken so alt wie der Mensch selbst. Die Heilkunst der richtigen Atmung hat eine lange Tradition. Schon im vorchristlichen Ägypten finden sich Schriften über heilende Atemtechniken. Ebenso in fernöstlichen Kulturen, in China, Indien, im Yoga und der Kunst der Meditation. So weit, so gut. Doch was ist Breathwork überhaupt?
Grundsätzlich bedeutet Breathwork zunächst einmal die bewusste Verbindung und Arbeit mit dem eigenen Atem. Es lässt sich wohl mit Atemarbeit passend ins Deutsche übersetzen, wenngleich dies auch anstrengender klingt, als es tatsächlich ist. Es ist somit ein moderner Sammelbegriff für verschiedene Atemtechniken, die körperlich, geistig und emotional spürbaren Einfluss auf den Körper nehmen können. Im Wesentlichen geht es dabei um Übungen und Techniken, die helfen, die eigene Atmung bewusst wahrzunehmen, zu kontrollieren, sowie Körper und Geist damit zu steuern.
Breathwork reduziert Stress, indem es die eigene Widerstandskraft erhöht. Es wirkt ausgleichend auf den Blutfluss im Körper, stärkt das Gedächtnis, fördert die emotionale Balance und bringt Ruhe in den Kopf durch einen meditativen Zustand. All das passiert, während Dopamin, Serotonin und Oxytozin freigesetzt werden – der körpereigene chemische Cocktail, der für das absolute Hochgefühl steht.
Es gibt zwei Formen von Breathwork: alltägliche Atemtechniken und transformative Atemtechniken. Wie der Name bei ersterem schon verrät, geht es um Übungen, die wir regelmäßig im Alltag anwenden können, um Stress abzubauen oder neue Energie zu tanken. Sie sind in der Regel kurzfristig einsetzbar und beeinflussen schon nach wenigen Minuten unser allgemeines Wohlbefinden.
Und dann gibt es Atemtechniken, mit denen wir auf körperlicher, emotionaler und energetischer Ebene tiefer mit uns in Verbindung kommen können. Die Techniken werden meist über eine längere Zeit – zwischen 30 und 120 Minuten – angewendet und sollten nur im Rahmen von „Atemsitzungen“ durchgeführt werden, die von ausgebildeten Breathwork-Coaches geleitet werden. Die bekannteste transformative Atempraxis ist das holotrope Atmen. Bei dieser Technik liegen die Teilnehmer am Boden, atmen schnell und tief ein und kommen durch Hyperventilation in eine Art Trancezustand. In Kombination mit bestimmter Musik soll diese Kombination starke Körpergefühle hervorrufen und innere Blockaden lösen. Oft praktiziert wird auch das sogenannte „Rebirthing“ (englisch für Wiedergeburt), was praktisch derselbe Prozess ist wie holotropes Breathwork, nur ohne dramatische Musik. Der Fokus liegt dabei auf möglichst entspanntem Ausatmen, um Spannungen zu lösen.
Eine weitere Atemtechnik, die in den letzten Jahren an Popularität gewonnen hat, ist die sogenannte „Wim-Hof-Methode“. Sie wurde vom niederländischen Extremsportler und Namensgeber Wim Hof begründet. Er setzt traditionelle Atemtechniken ein und kombiniert sie mit sanften Bewegungen und anschließenden extremen Kälteerfahrungen. Wim Hof ist auch als „der Eismann“ bekannt geworden, weil er beispielsweise barfuß einen Marathon im Eis lief. Wer diese bekannte Atemmethode probieren will, kann nach der Atemeinheit ein Eisbad nehmen, sich nackt in den Schnee legen oder einige Minuten kalt duschen. Diese Kälteanwendungen sollen das Immunsystem aktivieren und die Vermehrung von Krankheitserregern abwehren. In den Niederlanden wurden sogar Medizinlehrbücher aufgrund der Forschungsergebnisse rund um die Wim-Hof-Methode umgeschrieben.
Atmen an sich ist ein automatischer Selbstläufer unseres Körpers. Richtiges Atmen hingegen nicht. Dabei hat eine richtige Atemtechnik enorm positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Mit speziellen Atemübungen lassen sich sogar das Nerven- und Immunsystem positiv beeinflussen, die Körpertemperatur regulieren oder Verspannungen lösen. schauvorbei.at wollte es genauer wissen und bat eine Expertin um Rat: Mag. Christa Maier ist Akademische Atempädagogin, Atem-Tonus-Ton® Lehrende und Leiterin der Atemschule Wien.
Welche Fehler machen viele Menschen beim Atmen?
Christa Maier: Sie atmen zu flach. Dadurch gelangt nur relativ wenig Sauerstoff in die Lungen. Das volle Einatemvolumen wird nicht genutzt. Das kann zu Müdigkeit und Erschöpfung führen. Oder aber sie atmen zu schnell. Die Menschen sind oder fühlen sich dadurch gestresst, sind eher hektisch oder nervös.
Welchen Unterschied macht es, wie ich atme?
Wie ich atme, so lebe ich und wie ich lebe, so atme ich. Das heißt, die Atemweise spiegelt 1:1 die Lebensweise wider und die Lebensweise lässt sich ganz deutlich am Atemmuster erkennen. Wenn ich ein flexibles, schwingungsfähiges Zwerchfell habe, einen wohltonisierten Beckenboden und durchlässige Gelenke, dann werde ich mit größter Wahrscheinlichkeit einer optimalen Vollatmung (Zwerchfellatmung) nahekommen und mich vital, gelassen und sehr wohl fühlen. Ich kann alle Aufgaben in meinem Leben mit guter Energie, Kraft und Ausdauer bewältigen.
Und wie wirkt es sich aus, wenn ich keine Vollatmung mache?
Wenn ich nur eine Teilatmung habe, dann nutze ich eben nur einen Teil meiner Ressourcen, auch nur einen Teil meines Lungenvolumens, bin nicht in meiner vollen Kraft. Die Auswirkungen zeigen sich körperlich in übermäßigen Verspannungen oder als Erschöpfung und finden emotional ihren Ausdruck in Unsicherheit, Nervosität, Überforderung oder gereizter Stimmung.
Worauf sollte ich beim richtigen Atmen also achten?
Zuallererst sollte ich meinen Atem überhaupt erst einmal be-achten. Ihn beob-achten im Sinne von wahrnehmen, ohne sofort einzugreifen. Das entspricht unserer Methode des „bewusst wahrgenommenen Atems“. Allein durch die Hinwendung ändert sich beispielsweise der Atemrhythmus und die Atemphasen werden länger. Eine mühelose, aufrechte Haltung ist essenziell, weil die Vollatmung nur in einem wohlgespannten Körper funktioniert. Ein beweglicher, elastischer Brustkorb fördert die optimale Lungenfüllung und -leerung. Und überhaupt hat jedes Erlebnis – ob Bewegung, ein Gefühl, ein Gedanke – einen Einfluss und eine direkte Auswirkung auf den Atem. Apropos Kleidung: Sogar enge BHs oder Gürtel und enge Schuhe wirken auf das Atemgeschehen – sie blockieren das Absenken des Zwerchfells und die Atembewegung wird dadurch eingeschränkt.
Was genau lerne ich in den Kursen der Atemschule?
Sie lernen, sich selbst differenziert wahrzunehmen, da wir die Eigenwahrnehmung des Menschen schulen. Man lernt durch eigene Erfahrungen, wie sich bestimmte Bewegungen auf den Atem auswirken. Man lernet „atmen von Fuß bis Kopf“, das heißt wir beginnen meistens mit den Füßen, den Beinen und dem Becken zu arbeiten. Da werden Ressourcen wie Standfestigkeit, Grundvertrauen, Lebenskraft oder Spontanität erfahren. Das ist die Basis für die weitere Arbeit, zum Beispiel mit der Stimme, die ja nichts anderes als hörbar gemachter Ausatem ist. Je kraftvoller der Ausatem ist, desto souveräner klingt auch die Stimme. Wir arbeiten mit der ganzheitlichen Stimmbildungsmethode Atem-Tonus-Ton®. In anderen Workshops und Seminaren geht es um Themen wie Gelassenheit, zur Ruhe kommen etc. Da lernen Sie praktische Übungen kennen, die Sie dann in Ihrem Alltag anwenden können.
Haben Sie gewusst, dass…
… es drei Atemphasen gibt? Einatem, Ausatem und Atemruhe. Die meisten Menschen kennen die Atemruhe gar nicht und kommen dementsprechend nie zur Ruhe.
…. es gar nicht möglich ist, in den Bauch zu atmen? Es ist die Atembewegung, die sich als Schwingung bis in den Bauch- und Beckenraum fortsetzt.
… Dehnen den Einatem fördert? Dehnen ist eine weiche, organisch-rhythmische Bewegung. Beim Strecken werden oft die Gelenke durchgedrückt und blockiert. Das lässt den Atem stocken oder er wird unbewusst angehalten.
…. Gähnen eine natürliche Form der Vollatmung ist? Gähnen kommt ganz natürlich und spontan. Der Mund, der Kiefer, Brustkorb und Schultern werden durch die ausgelöste Bewegung gedehnt, gelockert und geweitet.
…. das Zwerchfell der größte und wichtigste Atemmuskel des Menschen ist? Das Zwerchfell ist wie eine Kuppel geformt und trennt den Brustraum vom Bauchraum. Je besser es arbeitet – sich spannen und wieder lösen kann –, desto weniger müssen die Atemhilfsmuskeln z.B im Nacken eingesetzt werden.