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29. April 2024
Politik

Februaraufstand: Vor 90 Jahren tobte in Österreich ein Bürgerkrieg

Im Februar 1934 gab es einen Aufstand mit Folgen: In nur drei Tagen starben mehr als 300 Menschen, rund 800 wurden verletzt. Die Februarkämpfe waren der Auftakt zum endgültigen Untergang der Ersten Republik.

Historisches Foto von Wien 1938: Menschenmenge, die Adolf Hitler begrüßen will, wird von Polizisten zurückgehalten
Wien, 1938: Vier Jahre nach dem Februaraufstand marschierten die deutschen Truppen in Österreich ein. Sympathisanten des NS-Regimes drängten sich auf die Straßen, um Adolf Hitler willkommen zu heißen. © AP/picturedesk.com

Die Zwischenkriegszeit war geprägt von Arbeitslosigkeit, Not, Politisierung und Radikalisierung. Am 30. Jänner 1927 wurden im burgenländischen Schattendorf bei einem Aufmarsch des Republikanischen Schutzbunds, der paramilitärischen Organisation der Sozialdemokraten, zwei Personen von Angehörigen einer kaisertreuen Frontkämpfervereinigung erschossen. Der Auftakt für den Februaraufstand.

Die mutmaßlichen Täter wurden von einem Gericht freigesprochen. Daraufhin stürmten empörte Demonstranten am 15. Juli den Justizpalast in Wien und setzten ihn in Brand. Die Polizei griff mit Waffengewalt durch. Es gab 89 Todesopfer und mehr als 1.000 Verletzte, ebenso viele Neueintritte bei den rechten Heimwehren und im Laufe des Jahres 28.000 Kirchenaustritte.

Drei Rücktritte 

Wenige Wochen nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler in Deutschland ­traten in Österreich alle drei Nationalratspräsidenten zurück. Grund war eine Geschäftsordnungskrise. Der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nutzte die Gunst der Stunde und sprach von einer „Selbstausschaltung“ des Parlaments. Und Bundespräsident Wilhelm Miklas unternahm keinen Versuch, die Geschäftsordnungskrise zu beheben. Am 20. Mai wurde die Vaterländische Front quasi als Einheitspartei nach ­faschistischem Vorbild gegründet. Die autoritäre Führung der Staatsgeschäfte durch Engelbert ­Dollfuß war wenige Tage zuvor proklamiert worden. Der Republi­ka­ni­sche Schutzbund wurde verboten, bestand allerdings in der Illegalität weiter. Und im Jänner 1934 untersagte man den Verkauf der „Arbeiter-Zeitung“.

Tagelange Kämpfe

Am 12. Februar 1934 traf die Polizei im Linzer Parteiheim der Sozialdemokraten, dem Hotel Schiff, ein. Ihre Aufgabe war es, gemäß dem Dollfuß-Befehl zur Entwaffnung der Partei nach Waffen zu suchen. Schutzbündler setzten sich zur Wehr und eröffneten das Feuer. Dieser Aufstand griff auf Wien und andere Industriestädte über. Das Dollfuß-Regime setzte Polizei und Bundesheer ein, sprach das Standrecht aus, schloss Schulen und verhängte Ausgangsverbote. Die unvorbereitete Führung der Sozialdemokratie konnte sich zu keinem einheitlichen Vorgehen entschließen.

Otto Bauer und Julius Deutsch flohen in die Tschechoslowakei. Der schwerverletzte Schutzbündler Karl Münichreiter und der Feuerwehroffizier Georg Weissel wurden hingerichtet. Bis zum 15. Februar dauerten die Kämpfe, die historisch betrachtet das erste Aufbäumen der Linken gegen den Faschismus in Europa waren. Das Dollfuß-Regime ließ die Anführer des Aufstands, darunter auch der Nationalratsabgeordnete Koloman Wallisch, hängen. In Wien hatte das Bundesheer sogar Gemeindebauten mit Artillerie beschossen. Dollfuß verbot die Sozialdemokratische Partei, alle ihre Organisationen sowie die Gewerkschaften. Die traurige Bilanz des Februaraufstands: mehr als 300 Todesopfer und 800 Verletzte.

Aus für die Demokratie

Am 1. Mai 1934, dem traditionellen Festtag der Arbeiterbewegung, erließ das Dollfuß-Regime die ständisch-autoritäre Verfassung. Nun war Österreich keine Demokratie mehr, sondern ein Staat ohne Parlamentarismus. Die Gesellschaft wurde nach ständischen Prinzipien, die soziale Gegensätze beseitigen sollten, neu geordnet. Man glaubte, sich mit dem italienischen Faschisten Benito Mussolini als Verbündeten gegen die Machtansprüche des nationalsozialistischen Deutschen Reichs absichern zu können. Ein tragischer Irrtum, wie sich vier Jahre später zeigen sollte.

Der Juli-Putsch der Nazis

Österreichische Nazis – die NSDAP war hierzulande seit 1933 offiziell verboten – versuchten am 25. Juli 1934, durch einen Putsch an die Macht zu kommen. Das Bundeskanzleramt sollte besetzt, Dollfuß ausgeschaltet und der NS-Sym­pathisant Anton Rintelen zum Regierungschef ausgerufen werden. Tatsächlich wurde Dollfuß von den Putschisten ermordet, von denen einige von einem Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Die Regierung hatte die Oberhand behalten. Polizei und Bundesheer hatten den Putschversuch niedergeschlagen.

Neuer Bundeskanzler wurde Kurt Schuschnigg. Das autoritäre Regime feierte Dollfuß als „Märtyrer“ und „Heldenkanzler“, der sich für seine Heimat Österreich „geopfert“ habe. Es entwickelte sich ein Personenkult. Man verkaufte Andenken an den ermordeten Dollfuß und sammelte Geld für ein großes Denkmal. Die politische ­Realität sah freilich düster aus: Hitler-Deutschland setzte Österreich immer stärker unter Druck. Gemäß dem sogenannten „Juli-Abkommen“ von 1936 ließ man inhaftierte Nazis frei, hob die Zensur der NS-Presse auf und vollzog eine Art „Anschluss von innen“.

Bruno Kreisky über den Februaraufstand 1934

Der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky war damals sozialdemokratischer Jugendfunktionär. Er erinnerte sich, dass zwar unter Dollfuß und Schuschnigg „die Diktatur nicht mit der gleichen Perfektion praktiziert wurde wie unter Hitler“, aber das Parteienverbot und die Verfolgung jedweder Opposition „waren Elemente der Diktatur“. Der von konservativer Seite lange Zeit vertretenen These, beide großen politischen Lager, die Christlichsozialen und die Sozialdemokraten, seien für die tragischen Geschehnisse verantwortlich gewesen, trat der Sozialdemokrat Bruno Kreisky entschieden entgegen. „Von einer geteilten Schuld kann überhaupt keine Rede sein. Die Partei machte Fehler, aber die anderen haben die Demokratie wissentlich, bewusst und mit kühlem Zynismus beseitigt.“

Österreich wird „Ostmark“

Das Ende dieser österreichischen Tragödie kam am 11. März 1938. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg gab in einer Rundfunkansprache auf. Noch vor dem Einmarsch deutscher Truppen lösten Nazis das Ständestaatsregime ab. Die von Bundespräsident Wilhelm Miklas unter deutschem Zwang installierte nationalsozialistische Bundesregierung unter Arthur Seyß-Inquart führte am 13. März im Auftrag des „Führers“ Adolf Hitler, der tags zuvor eingetroffen war, den „Anschluss“ der „Ostmark“ an das Deutsche Reich administrativ durch. Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg mit Kriegsverbrechen und Massenmorden sowie etwa 70 Millionen Todesopfern.