schauvorbei.at: Was ist das für ein Gefühl, Weltmeister zu sein?
Jakob Lütgenau: Ehrlich gesagt, fühlt es sich nicht anders an als vorher.
schauvorbei.at: Welche Herausforderungen gab es beim Wettkampf?
Jakob Lütgenau: Mit einer guten Vorbereitung und dem richtigen Mindset bleibt als größte Herausforderung nur die Vorbereitung. Denn, wenn man bereits in den Wettkampf mit der Vorstellung startet, dass man ihn gewinnt, kommen nur noch externe Faktoren dazu. Zur Vorbereitung zählte zum Beispiel, das richtige Gewicht zu erreichen. Das hat mit dem Kämpfen per se nicht so viel zu tun. Aber es ist wichtig für die Kategorie, in der man kämpft. Als das geschafft war, wusste ich: Diesen Kampf gewinne ich.
schauvorbei.at: Hast du dafür einen Ernährungsplan?
Jakob Lütgenau: Tatsächlich versuche ich einfach, so viel wie möglich zu essen und genug zu trinken.
schauvorbei.at: Wie viele Stunden trainierst du in der Woche?
Jakob Lütgenau: Es kommt darauf an. In der Vorbereitung für den Wettkampf habe ich fünf bis sechs Mal die Woche trainiert. Zwei Mal Kickboxen und drei Mal Kraft- bzw. Ausdauertraining. Ausdauer ist etwas, das viele beim Kickboxen unterschätzen. Man muss dabei die ganze Zeit Arme und Beine verwenden. Außerdem wird man auch getroffen. Es kann passieren, dass man einen Schlag in den Bauch einsteckt und dann nicht richtig atmen kann. Oder aber, dass man kurz orientierungslos ist. Deswegen ist Technik auch ein wichtiges Schlagwort. Die Vorbereitung zog sich bei mir über mehrere Monate.
„Kickboxen ist für mich einfach ein Ausgleich. Bereits beim Aufwärmen im Training hört sich die ewige Gedankenspirale bei mir auf zu drehen. Ich komme dann in einen meditativen Zustand.“
Jakob Lütgenau
Um das richtige Gewicht zu erreichen, habe ich mich eineinhalb Monate vor dem Wettkampf mit meinem Trainer zusammengesetzt und überlegt, in welcher Klasse ich antreten soll. Dazu kam ein strategischer Faktor. Wir versuchten einzuschätzen, in welcher Kategorie ich die besten Chance hätte – auch in Bezug auf die Gegner. Es wurde dann die Gewichtsklasse über 80 Kilo. Deswegen musste ich etwas zunehmen, da ich im Sommer etwas abgenommen hatte, damit mein Sixpack definierter ist. Ich habe dann einen Monat richtig reingehauen. Das ist allerdings nicht so leicht, wie man sich das vorstellt. Ich denke, es ist leichter abzunehmen als zuzunehmen. Denn für mich ist es einfacher, auf Essen zu verzichten, wenn ich Hunger habe, als weiterzuessen, wenn ich satt bin.
schauvorbei.at: Welche Art von Ausdauersport betreibst du?
Jakob Lütgenau: Hauptsächlich laufen sowie Schattenboxen bzw. am Sandsack arbeiten. Man kann Ausdauer aber zum Beispiel auch im Wasser trainieren. Wichtig ist, dass es Bewegungsabläufe sind, die einem auch im Ring weiterhelfen. Das bedeutet Kicks und Boxschläge. Je besser diese Abläufe sitzen, desto besser läuft es im Wettkampf. Deswegen gehe ich nicht sehr viel Laufen oder Schwimmen – nicht dass das schlecht ist. Aber ich denke für mich macht es mehr Sinn, zum Beispiel drei Mal drei Minuten am Sandsack zu üben. Man kommt dabei definitiv ins Schwitzen. Wenn man mit Pals arbeitet, hat man einen Trainingspartner, der die Pads hält. Konzentration und Reaktion sind dabei das Wichtigste. Die Ausdauer wird dabei mittrainiert.
schauvorbei.at: Wie bist du zu der Sportart Boxen gekommen?
Jakob Lütgenau: Ich kickboxe mittlerweile seit zwei Jahren. Wie ich dazu kam, ist eine ganz lustige Gesichte. Ich habe auf Instagram öfters einen reichen, glatzköpfigen Typen gesehen, der Kickbox-Weltmeister war. Da dachte ich mir: „Wenn der das kann, sollte es für mich auch kein Problem sein.“
schauvorbei.at: Ist Boxen für dich eine Art Ventil oder reine Selbstverteidigung?
Jakob Lütgenau: Es ist eine gesunde Mischung. Im Alltagsstress und im Arbeitsleben als Sales Man – wie ich einer bin – gibt es oft Situationen, wo man sich denkt: „Ich würde dir gerne eine reinhauen.“ Was man als friedliebender Mensch natürlich nicht tut. Beim Boxen kann ich dann aber alle meine Gefühle rauslassen. Generell bin ich ein ausgeglichener, ruhiger Mensch, der versucht, immer in seiner Mitte zu sein. Kickboxen ist für mich einfach ein Ausgleich. Bereits beim Aufwärmen im Training hört sich die ewige Gedankenspirale bei mir auf zu drehen. Ich komme dann in einen meditativen Zustand. Oft habe ich das Gefühl, dass das Training nach ein paar Minuten vorbei ist, obwohl es eigentlich eineinhalb Stunden dauerte. Im Training kann ich meine Fähigkeiten komplett ausloten und auf Herausforderungen mit hohem Niveau zugehen. Danach bin ich einfach glücklich oder habe Schmerzen – oder beides (lacht).
„Es wird dieser Punkt kommen, wo du dir denkst, ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr! Alles tut weh. Ich kann nicht mehr aufstehen. Dann beginnt der Kampf mit einem selbst. Es ist eine Art von Stärke, die man immer mal wieder im Leben braucht.“
Jakob Lütgenau
schauvorbei.at: Braucht es eine hohe Schmerztoleranz, um den Sport ausüben zu können?
Jakob Lütgenau: Es gibt verschiedene Herangehensweisen. Wenn man sich der Kampfkunst langsam annähern möchte, kann ich Kung-Fu sehr empfehlen. Damit habe ich selbst auch angefangen. Es ist eine sehr ruhige Methode. Man macht ein paar gezielte Schläge. Aber es geht vor allem viel um die sogenannte Form. Es hat einen künstlerischen Gedanken, der sich mit dem Sport vermischt. Wer Selbstverteidigung erlernen will, muss damit rechnen, dass es sich weniger um Kampfkunst, sondern mehr um Kampfsport handelt. Dabei muss man austeilen, aber auch einstecken können. Das ein oder andere blaue Auge oder eine geprellte Schulter sind gang und gäbe.
schauvorbei.at: Bist du auch schon mal mit einem blauen Auge davongekommen?
Jakob Lütgenau: Sicher, das gehört dazu. Ich musste auch schon mal mit einem blauen Auge zur Arbeit gehen und wurde dann gefragt, was denn passiert sei. Meine Antwort war: „Wenn ich so aussehe, willst du gar nicht wissen, wie meine Gegner jetzt dastehen.“ Von der Weltmeisterschaft bin ich auch mit einem blauen Auge nach Hause gekommen. Der Weltmeisterschaftsgürtel spricht allerdings für sich, würde ich sagen (lacht).
schauvorbei.at: Inwiefern würdest du anderen Menschen empfehlen, diesen Sport zu beginnen?
Jakob Lütgenau: Kickboxen hat meiner Meinung nach extrem viele Vorteile. Man wird fitter und baut eine mentale Stärke auf, da der Sport sehr fordernd ist. Es wird dieser Punkt kommen, wo du dir denkst, ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr! Alles tut weh. Ich kann nicht mehr aufstehen. Dann beginnt der Kampf mit einem selbst. Es ist eine Art von Stärke, die man immer mal wieder im Leben braucht. Sei es in der Arbeit, um eine gewisse Aufgabe zu erledigen, oder privat in schwierigen Situationen. Durch diese Blockade des Nicht-Wollens zu gehen und es dann trotzdem zu tun, übt man jeden Tag beim Kickboxen. Das ist der mentale Aspekt. Körperlich sind natürlich Ausdauer, Kraft und Technik wichtig. Durch diese Verbindung wird man stärker und fühlt die Veränderung auch.
Das ist gut für das eigene Selbstbewusstsein. Wenn jemand sagt: „Ich habe Probleme damit, mich selbst auszudrücken, weil ich Angst davor habe, was andere von mir denken“, kann Kickboxen tatsächlich helfen. Denn bei diesem Sport bekommt man eins auf die Nase, egal, was man sagt. Wenn man lange genug am Ball bleibt, lernt man auf jeden Fall, sich selbst abzugrenzen. Ich persönlich habe durch den Sport gelernt, weniger darauf zu achten, wie die Außenwelt mich wahrnimmt und die Eigenwahrnehmung in den Vordergrund zu stellen.
„Manche vergleichen einen Kickbox-Kampf mit einem Schachspiel.“
Jakob Lütgenau
schauvorbei.at: Warum ist der Wettkampf beim Kickboxen wichtig?
Jakob Lütgenau: Ohne Konkurrenz keine Motivation. Man kann sich das als Reflexion vorstellen. Im Ring kämpft man mit sich selbst, aber man braucht ein Gegenüber als Spiegel. Denn erst, wenn der Gegner trifft, kann man sagen: „Es tut zwar weh, aber ich kämpfe trotzdem weiter.“ Auch durch Schattenboxen kann man besser werden. Dadurch wird man auf lange Zeit gesehen aber nicht motiviert bleiben, weil das Feedback fehlt.
schauvorbei.at: Hattest du denn Lampenfieber vorm Wettkampf?
Jakob Lütgenau: Ich war ehrlich gesagt tiefenentspannt. Aber ich kenne Lampenfieber sehr wohl. Allerdings habe ich bereits bei mehreren Staatsmeisterschaften mitgemacht und mich mit dem Thema Auftritt auseinandergesetzt. Wenn die Zeit zu performen gekommen ist, habe ich für mich verschiedene Techniken gefunden, um mich zu beruhigen. Ich denke mir oft vor dem Wettkampf: Wenn ich gewinne, ist das großartig. Und wenn ich verliere, weiß ich zumindest, dass ich alles gegeben habe. Jeden Wettkampf, bei dem ich antrete, habe ich gewonnen, weil ich ihn bestritten und mein Bestes gegeben habe. Alle Wettkämpfe, die man nicht antritt, hat man von vornherein verloren. Deswegen war für mich von vornherein klar, dass ich gewinnen werde, egal, wie es ausgeht. Dass es dann tatsächlich zum Sieg geführt hat, ist meiner Meinung nach ein Ergebnis der richtigen Einstellung.
schauvorbei.at: Welche Rituale hast du vor einem Wettkampf?
Jakob Lütgenau: Gewisse Abläufe sind wichtig, um zu sich selbst zurückzukommen. Ich versuche immer, aus meiner inneren Kraft zu schöpfen. Das klingt vielleicht etwas nach Hokuspokus, aber es ist wichtig, bei sich selbst und ruhig zu sein und auf seine Atmung zu achten. Man sollte nie aus Aggression, Verbissenheit oder Gier heraus kämpfen. Von einem ruhigen Standpunkt aus betrachtet, kann man das Gegenüber besser wahrnehmen, einschätzen und schnell reagieren. Dabei ist auch eine taktische Komponente gegeben. Manche vergleichen einen Kickbox-Kampf mit einem Schachspiel.
Mein persönliches Ritual sieht so aus: Eine halbe Stunde vor dem Kampf beginnt das Aufwärmen. Dann folgt das Anziehen der Schutzausrüstung, damit es nicht zu bleibenden Verletzungen kommt. Im Anschluss beginne ich mit Dehnübungen. Die mentale Vorbereitung beginnt bereits Wochen davor. Aber kurz vor dem Wettkampf stellte ich mir noch einmal vor, wie ich mich bewegen, welche Kombinationen ich ausführen und wie ich den Gegner treffen werde. Bei den Kombinationen habe ich auf solche gesetzt, die im Sport nicht so oft eingesetzt werden, um den Gegner unerwartet zu treffen und ihn zu verwirren. Danach begann die Meditation. Ich habe mich nochmal kurz hingesetzt, auf meine Atmung geachtet und bin zur Ruhe gekommen.
„Mein Trainer ist immer freundlich und bescheiden. Außerdem ist er nahbar. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis.“
Jakob Lütgenau
schauvorbei.at: Wer war dein härtester Gegner?
Jakob Lütgenau: Ich hatte verschiedene Gegner bei der Weltmeisterschaft. Einer davon war ein 18-Jähriger. Er war breit gebaut, und obwohl er in derselben Gewichtsklasse wie ich war, hatte er viel mehr Muskelmasse, da er kleiner war als ich. Er hatte sehr harte Schläge und gute Kombinationen. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er seit 13 Jahren trainiert. Seine Eltern haben ihn bereits mit fünf Jahren zum Kampfsporttraining angemeldet. Er kannte gar nichts anderes. Das war natürlich eine Herausforderung, im Ring gegen ihn anzutreten.
schauvorbei.at: Was macht einen guten Trainer aus?
Jakob Lütgenau: Ein guter Trainer ist das A und O. Er muss eine gewisse Vorbildwirkung haben, um einen Orientierungspunkt zu bieten. Aber er muss dich auch gut genug kennen, um dich als Kämpfer aus gefährlichen Situationen herauszuholen. Wenn es beispielsweise zu viele Kämpfe an einem Tag waren und die Ausdauer nicht mehr gegeben ist, dann ist es wichtig, einen Trainer zu haben, der sagt: „Ich beende den Kampf.“ Weil er das gesundheitliche Interesse über den Erfolg, den Sieg oder die Medaille stellt. Der Mensch muss immer im Vordergrund stehen. An dieser Stelle kann ich nur sagen: „Danke, Matthias!“ Er ist mein Trainer, ein super Coach und ich kann nur Positives über ihn erzählen.
schauvorbei.at: Welche Qualitäten sind dir an deinem Trainer am wichtigsten?
Jakob Lütgenau: Auf jeden Fall die Vorbildfunktion. Mein Trainer ist immer freundlich und bescheiden. Außerdem ist er nahbar. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis. Matthias ist von oben bis unten tätowiert und durchtrainiert. Er sieht gefährlich aus, aber eigentlich ist er ein herzensguter Mensch.
schauvorbei.at: Was ist nach dem Weltmeistertitel dein nächstes Ziel?
Jakob Lütgenau: Der nächsten Weltmeistertitel natürlich!
schauvorbei.at: Vielen Dank für das Gespräch!
Foto: Bernadette Strobl