Nestroy Spiele Schwechat stellt „Das Mädl aus der Vorstadt“ vor

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Die Nestroy Spiele in Schwechat sind eine jährliche Feier österreichischer Theatertradition, die bereits seit 1973 das Publikum mit den Werken von Johann Nestroy begeistert. In diesem Jahr präsentieren sie das Stück „Das Mädl aus der Vorstadt“. Dieses verspricht eine einzigartige Mischung aus Kriminalkomödie und Liebesgeschichte. Im Rahmen eines exklusiven Interviews mit dem Intendanten Christian Graf und dem Hauptdarsteller Clemens Matzka hat schauvorbei.at einen tiefen Einblick in die aktuelle Produktion erhalten.

schauvorbei.at: „Das Mädl aus der Vorstadt“ wird beworben mit Kriminalkomödie trifft auf Liebesgeschichte. Was darf man sich darunter vorstellen?
Intendant Christian Graf:
Nestroy vereint zwei Dinge in dieser Geschichte. Auf der einen Seite ist es die Kriminalgeschichte von Kauz, der eine Geldhinterziehung betrieben hat. Auf der anderen Seite haben wir eine Liebesgeschichte. Diese funktioniert deshalb nicht, weil die Kriminalgeschichte im Hintergrund passiert. Um nicht zu viel zu spoilern: Das eine hat mit dem anderen etwas zu tun.

Hauptdarsteller Clemens Matzka: Ich bin heimlich verliebt in Frau von Erbsenstein. Aber das darf ich nicht, weil mein bester Freund sie heiraten wird. Da bin ich natürlich in der Zwickmühle und hin- und hergerissen. Meine Geschichten, was das Herz betrifft, sind sowieso nicht so erfolgreich. Ich kann also auf keine Erfolgshistorie zurückblicken, was die Liebe betrifft.

schauvorbei.at: Es geht im Stück auch um Außenseiter. Welche zeitgenössische Relevanz hat das Thema?
Intendant Christian Graf:
Nestroy hat es 1841 geschrieben, und damals waren die Außenseiter die Näherinnen und Schneiderinnen, die in der Vorstadt gewohnt und heimlich Prostitution betrieben haben, um sich das Leben zu finanzieren. Das ist auch die ursprüngliche Lesart des Stücks. Weil ich das Stück unbedingt in der heutigen Zeit spielen lassen wollte, habe ich überlegt: Wer oder was sind jetzt noch Outcasts, wo der Stoff trotzdem in der Vorstadt spielen kann?

Da bin ich auf Rassismus, LGBTQIA+ und Bodyshaming gekommen. Das betrifft alles Personen und Themen, die in unserer Gesellschaft eigentlich vorhanden sind und wo es mit der Zeit tatsächlich rückschrittlicher wird. Es gab einen Aufwind, wo man gedacht hat, jetzt sind alle integriert. Es ist eine große Einheit. Nun wird aber alles wieder rückschrittlicher und immer schlimmer, wenn man nach Ungarn oder in die USA blickt. Selbst bei uns in Österreich finden Übergriffe statt. Bodyshaming und Rassismus sind dabei Themen – von queeren Personen rede ich jetzt gar nicht.

Deswegen habe ich mir überlegt, das sind die Outcasts unserer Gesellschaft. Das warf die Frage auf: Ist es möglich, in einem Stück, das 1841 geschrieben wurde, dieses Thema zu integrieren? Ich glaube, es ist in dieser Fassung gelungen. Weil diese Näherinnen von damals die Outcasts von heute sind. Es spielt nicht bei den Mädels in der Schneiderei, sondern in einem queeren Vorstadtlokal, wo all diese Menschen aus der Gesellschaft zusammentreffen. Auf der anderen Seite haben wir die Upperclass, die glaubt, mit Geld alles bestimmen zu können. Auch dass sie über Menschen bestimmen kann. Diese zwei Welten wollte ich in dieser Inszenierung aufeinanderprallen lassen, um zu zeigen: Wie ist es heute?

Hauptdarsteller Clemens Matzka: Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, weil Christian diese tolle Fassung geschrieben hat. Das war sicher nicht einfach, denn Nestroys Werke besitzen eine Kunstsprache. Mit dieser muss man vorsichtig umgehen. Wir haben auch kaum etwas gestrichen oder geändert. Es ist ziemlich nah am Original, aber trotzdem wurde das Thema in die Jetzt-Zeit geholt. Das ist eine Gratwanderung, die uns ganz gut gelingt.

schauvorbei.at: Gibt es noch weitere moderne Elemente?
Intendant Christian Graf:
Ich versuche in meinen Bearbeitungen, alte Begriffe aus der Kunstsprache Nestroys zu verwenden. Weil ich denke, dass dieser Wortschatz immer mehr verloren geht. Ich finde, wenn man den Kontext im Stück mitbekommt, dann ist es auch nicht weiter schlimm, wenn man das ein oder andere Wort nicht kennt. Manche Dinge habe ich angepasst, gerade was die queeren Themen betrifft, aber es wurde eigentlich sehr wenig in die Gegenwart geholt. Wir versuchen nicht, Nestroy bei den Nestroy Spielen Schwechat zu zerlegen und etwas Neues daraus zu machen. Es sollte nicht „frei nach Nestroy“ unter dem Stück stehen. Wichtig ist, dem Autor und dem Werk treu zu bleiben. Dennoch spielt es im Jahr 2024 und wir werden das auch in den Kostümen sehen.

schauvorbei.at: Wie läuft es im Cast, ist alles sehr harmonisch oder muss man sich da erst zusammenfinden?
Hauptdarsteller Clemens Matzka:
Ich habe mich von der ersten Sekunde an wie zu Hause gefühlt in dem Cast. Es ist eine Traumbesetzung, wie ich finde – und eine große Herausforderung. Denn es ist ein großes, bekanntes Nestroy-Stück. Das heißt, man hat viele große Vorgänger, die diese Rolle gespielt haben. Aber ich glaube, es hat sich ausgezahlt, dabei zu sein.

schauvorbei.at: Was ist das Besondere an Nestroy?
Intendant Christian Graf:
Ich finde Nestroy wahnsinnig spannend insofern, dass seine Stücke heute immer noch funktionieren, obwohl sie schon so alt sind. In der Themenwahl und in seinen Stücken generell war er sehr vorausblickend. Er war provokant. Nestroy hat sich das Volk angesehen und dann seine Texte geschrieben. Er hat auch sehr viel von französischen Komödien genommen und nach Österreich bzw. ins Wienerische gebracht. Nicht zu vergessen seine wunderbare Sprache, die leider sehr oft bei Inszenierungen ausgetauscht wird. Oft wird sich gedacht, da rede ich einfach im Dialekt und dann passt das schon. Aber das darf man nicht unterschätzen. Denn es ist eigentlich eine Kunstsprache und man muss diese auch bedienen können. Das ist die große Herausforderung.

Abgesehen davon, dass er über 80 Stücke geschrieben hat. Davon sind nicht alle aufführbar. Aber denken Sie nur: Wir haben das 52. Spieljahr. Ich darf seit zwei Jahren die Spiele betreuen. Die Intendanz habe ich von Peter Gruber übernommen, der dieses Amt fünfzig Jahre inne hatte. Das ist ein Wahnsinn. Dass jemand 50 Jahre als Intendant und Regisseur Nestroy inszeniert und ihm dabei nicht langweilig wird, das spricht für den Autor an sich. Ich habe letztes Jahr mit „Eisenbahnheirathen“, einem weniger bekannten Stück, eröffnet. Nächstes Jahr wird es wahrscheinlich eines der Zauberstücke von Nestroy geben, die auch sehr wenig gespielt werden. Diese mögliche Bandbreite wollen wir auch bedienen.

schauvorbei.at: Die Nestroy Spiele gibt es schon seit 1973. Inwieweit haben sie sich verändert?
Intendant Christian Graf:
Die Spiele wurden damals als Amateur-Verein gegründet. Das war die Gruppe St. Jakob. Sie hat immer wieder im Sommer gespielt. Irgendwann haben sie sich gedacht: „Wir spielen Nestroy.“ Dann haben sie die Rothmühle in Schwechat zur Verfügung gestellt bekommen und sich gesagt: „Wir brauchen einen Regisseur.“ Sie sind dann am Reinhardt Seminar auf Peter Gruber gestoßen und haben ihn gefragt, ob er ein Stück inszenieren würde. Er ist ihnen dann sozusagen auf den Leim gegangen und picken geblieben.

Über die Jahre hat sich das ursprüngliche Laientheater verändert. Erst relativ spät, Mitte der 80er-Jahre, wurden Bühne und Licht professionalisiert. Auch mit dem Zugang zu Christine Bauer, die das Ensembletheater co-geleitet hat, ist es rundherum professioneller geworden. 1999 hat der erste Profi mitgespielt. Das war Kurt Sobotka. Dieser hatte sich zu seinem Geburtstag gewünscht, dass er mitspielen darf. Da fing es an, dass immer wieder Profi-Schauspieler auftraten.

Ich habe meine eigene schauspielerische Laufbahn noch als Amateur im Jahr 2000 in Schwechat begonnen und bin dann ins Profifach gewechselt. Bis 2011 habe ich jedes Jahr gespielt. Mittlerweile sind wir ein bunter Haufen aus langjährigen Nestroy-Darstellern. Ich versuche immer, das Wort Laie zu vermeiden. Denn wenn man bei einer Gruppe dabei ist, die seit den 70er-Jahren  Nestroy spielt, ist man keine Laie mehr, sondern ein Schauspieler, der nicht seinen Lebensunterhalt damit verdient. Jetzt sind wir eine bunt gemischte Truppe aus professionellen und nichtprofessionellen Schauspielern.

schauvorbei.at: Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Hauptdarsteller Clemens Matzka:
Ich wünsche mir schönes Wetter für die Premiere und viele Zuschauer.

Intendant Christian Graf: Unbedingt! Und einen regenfreien Sommer.

Intendant Christian Graf: Genau, und dass vielleicht eine Diskussion beim Publikum entsteht. Theater soll auch zur Diskussion anregen, und vielleicht gelingt uns das heuer. Genau das könnten wir uns wünschen, oder Clemens?

Hauptdarsteller Clemens Matzka: Genau das wünschen wir uns.

schauvorbei.at: Wenn man jetzt das erste Mal in Schwechat ist, wo sollte man unbedingt hin?
Intendant Christian Graf:
Man sollte natürlich zu den Nestroy Spielen kommen, das ist ja ganz klar! Man kann vieles in Schwechat machen, außer den Flughafen zu besuchen und von dort irgendwohin auf Reisen zu gehen. Schwechat hat wunderschöne Plätze, die zu entdecken sich lohnt.

Hauptdarsteller Clemens Matzka: Ich kenne Schwechat noch nicht so gut. Neulich bin ich mit dem Rad zur Probe gefahren. Da habe ich gesehen, es gibt einige Schlösser. Außerdem kann man viele schöne alte Häuser und Parks besichtigen. Ich bin sehr beeindruckt.

Intendant Christian Graf: Auch das Justizbildungszentrum ist ein wunderschönes Gebäude mit Garten. Es gibt einiges zu sehen.

schauvorbei.at: Vielen Dank für das Gespräch!

Foto: © Barbara Pálffy

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