Alles wird irgendwann gut. Wenn diese Plattitüde auf etwas zutrifft, dann auf Nordirland. Früher war dieser Teil der grünen Insel in den Nachrichten Thema für Bürgerkrieg und politischen Zwist. Nach der langen Zeit der „Troubles“, wie der Nordirlandkonflikt hier genannt wird, geschah 1998 das Wunder. Mit dem Karfreitagsabkommen kam der nun schon seit drei Jahrzehnten dauernde Frieden zurück. Damit kehrte eine der faszinierendsten Regionen zurück auf die touristische Landkarte. Ein Land, das selbst kühne Erwartungen übertrifft. Steile Klippen mit mystischen Burgruinen, weite, einsame Sandstrände und malerische Täler mit stillen Seen stehen im Kontrast zu modernen, geschichtsträchtigen Städten.
Belfast als erstes Ziel
Knapp drei Flugstunden über den tiefblauen Atlantik geht es mit dem Leihauto von Dublin aus durch die herrlich grüne Landschaft Richtung Norden. Der Grenzübertritt bei Newry von der Republik Irland ins zum Vereinigten Königreich gehörende Nordirland ist ohne Stopp weiterhin unspektakulär. Wären da nicht plötzlich Meilen- statt Kilometerangaben, man würde kaum glauben, außerhalb der EU zu sein. Mit den Mourne Mountains und dem Strangford UNESCO Global Geopark zeigt Nordirland gleich hier einen ersten Höhepunkt mit malerischen Bergen zum Wandern und einzigartiger Vegetation. Einen ersten Eindruck vom Meer bietet die Halbinsel Ards mit ihren schmucken Fischerdörfern und historischen Schlossgärten wie dem Mount Stewart.
Wenig später präsentiert sich Belfast, eingebettet zwischen Meer und grünen Hügeln, als eine echte Überraschung. Quirlig, voller Vitalität und Lebensfreude, hat die Hauptstadt Nordirlands so gar nichts von der einstigen Tristesse vergangener Tage. Ganz im Gegenteil beeindruckt sie mit viktorianischen Gebäuden, den prächtigen, bereits seit 1895 öffentlich zugänglichen Botanic Gardens und einer sehr lebendigen Gastroszene. Belfast gilt zu Recht als das Kulinarikmekka Irlands mit hochdekorierten Gourmetrestaurants und den vielleicht besten Pubs der Insel, wo bei Konzerten täglich die wiedergewonnene Lebensfreude spürbar ist. Zu erleben etwa im Pub „Duke of York“, dem historischen „McHugh’s Pub“ oder im „Dirty Onion“ im wiederbelebten Cathedral Quarter, wo das Nachtleben nur so vibriert.
Formlos und gerade deshalb so authentisch kommen Feinspitze auch am St. George’s Market auf ihre Kosten. Von Freitag bis Sonntagfrüh ist hier Belfasts Treffpunkt Nummer eins. Rund 150 Händler bieten von Antiquitäten bis Handwerk alles an, und an den Gastroständen können sich Feinspitze durch die Köstlichkeiten der Insel kosten.
Ausflug in die Geschichte
Derart gestärkt, warten Belfasts Attraktionen darauf, entdeckt zu werden. Zu Beginn führt uns eine Black Taxi Tour zu den 1969 errichteten Peacelines, die bis heute teilweise noch protestantische und katholische Viertel voneinander trennen. Besonders eindrucksvoll sind diese an der Shankill Road. Hautnah vermitteln Zeitzeugen als Führer diese Zeit des Nordirlandkonflikts und den erfolgreichen Weg zu Frieden und einem neuen Miteinander der beiden Bevölkerungsgruppen. Ein einzigartiges Erbe dieser Vergangenheit sind auch die typischen Wandmalereien, die den Konflikt an Hauswänden und Mauern nicht nur in Belfast künstlerisch darstellen. Im Ulster Museum lässt sich das Thema bei der Dauerausstellung „Troubles and beyond“ für Interessierte weiter vertiefen. Noch mehr Gänsehaut ist dann im Titanic Quarter, einem hochmodernen Stadtviertel mit luxuriösen Wohnungen, Geschäften und Restaurants, garantiert. Hier sticht das an drei Schiffsbuge oder auch Eisberge erinnernde Titanic Museum ins Auge. Die größte Attraktion Belfasts steht dort, wo das berühmteste Schiff der Welt einst gebaut wurde. Als eines der besten Museen der Welt vermittelt es die Geschichte von der Entstehung bis zum Untergang des Ozeanriesen. In nachgebauten Kabinen wird man selbst zum Passagier, und Klänge und Gerüche sorgen für Gänsehaut.
Causeway Coastal Route
Einer von Nordirlands großen Pluspunkten ist die geballte Fülle an landschaftlichen Superlativen auf relativ geringer Fläche. Nicht umsonst diente dieser Teil der Insel oft als Kulisse für Filme und TV-Serien wie „Game of Thrones“. Gleich hinter Belfasts Stadtgrenzen beginnt bereits das große Abenteuer der Causeway Coastal Route. Auf knapp 314 Kilometern schlängelt sich die zu den schönsten Küstenstraßen der Welt gehörende Strecke von einem Höhepunkt zum nächsten. Hinter jeder Ecke warten Beeindruckendes und immer wieder neue atemberaubende Ausblicke. Hier steil abfallende Klippen mit dem tosenden Atlantik und mystischen Burgen und Schlössern, dann wieder weite, feine Sandstrände wie Whiterocks Beach und gemütliche Dörfer wie Cushendall, Portrush und Ballycastle, wo freundliche Bewohner gerne mit den staunenden Besuchern „vom Kontinent“ plaudern.
Nur eine kurze Fahrt von Belfast wartet mit Gobbins Cliff Path der erste Höhepunkt der Strecke. Ursprünglich 1902 als Meisterwerk der Konstrukteure errichtet, schlängelt sich dieser Pfad pulssteigernd oberhalb des tosenden Meeres entlang der steil abfallenden Klippen durch ehemalige Schmugglerhöhlen hindurch und über dramatische Brücken hinweg die Küste entlang. Aber Achtung: Dieses Abenteuer setzt gute Kondition voraus und darf nur mit geführter Tour unternommen werden.
Täler der Glens of Antrim
Zur Nervenberuhigung danach empfiehlt sich am Weg weiter nach Norden zum Ferienort Cushendall ein Abstecher von der Küste zu den Glens of Antrim, neun unfassbar schöne Täler einige Kilometer landeinwärts, die plötzlich eine ganz andere, sanfte Atmosphäre verströmen. Jedes Tal für sich ist besonders und lädt zu kleineren oder auch ausgedehnten Wanderungen ein. Es gibt gemütliche historische Dörfer wie Glenarm und immer wieder Festivals zum Mitfeiern, all das umgeben von duftender Natur. Auch im Glenariff Forest Park sind die Höhepunkte der Glens of Antrim besonders gut vereint. Entlang typisch irischer Trockenmauern fahrend, wird die Landschaft immer grüner, dichte Wälder mit kleinen Seen und Wasserfällen bringen selbst Schwergestresste zur Ruhe. Wer diese Idylle nicht auf eigene Faust erwandern möchte, kann sich auch den geführten Touren zu den schönsten Punkten des 1.000 Hektar großen Naturschutzgebiets anschließen.
Zurück an der Küstenstraße führt die Route weiter nach Norden und oft so nah am Atlantik, dass das Meer fast zu schmecken ist. Eine gute Einstimmung für den wohl bekanntesten Teil des Causeways zwischen Ballycastle und Portrush. Irlands ganze Wildnis kommt auf Mutige beim Besuch der Insel Carrick-a-Rede mit ihrer spektakulären Brücke zu. Einst von Fischern vor 250 Jahren als Verbindung zu einer unbewohnten Insel gebaut, schwebt und schwingt die Hängebrücke – jetzt mit Haltegriffen – 30 Meter über dem tosenden Atlantik über einer 20 Meter langen Schlucht.
Wer die Höhenangst überwindet, wird nicht nur mit unvergesslichen Ausblicken auf das Meer, sondern auch mit herrlichen Rundwegen und unzähligen Vögeln auf der Fischerinsel belohnt. In diese raue Landschaft fügt sich auch Dunluce Castle perfekt ein. Die Ruine aus dem Jahr 1500 klebt förmlich am steilen Klippenrand über der See. Man sagt, dass irgendwann die Burgküche bei einem Sturm im Meer versunken sei.
Giant’s Causeway
Und dann ist sie da, die größte Attraktion Nordirlands. Der Giant’s Causeway muss mittlerweile einiges an Besuchern verkraften und ist dennoch atemberaubend geblieben. Der Legende nach von einem Riesen als Verbindung hinüber nach Schottland geschaffen, glaubt die Wissenschaft an einen Vulkanausbruch als Ursache. Wer auch immer recht hat, die 40.000 gleichmäßig gestaffelten Basaltsäulen schieben sich seit 60 Millionen Jahren weit ins wild anbrandende Wasser des Atlantiks und hinterlassen einen tiefen Eindruck von der Urkraft der Natur. Besucher können stundenlang auf den bis zu zwölf Meter hohen Quadern herumwandern und die einzigartige, kraftgebende Atmosphäre dieses Orts genießen.
Spätestens dann merkt man, dass die Zeit für diesen Urlaub zu kurz bemessen ist. Warten doch noch das nahe Derry-Londonderry mit seiner komplett erhaltenen Stadtmauer, die Mourne Mountains mit ihren Wandermöglichkeiten und das mystische Seenland von Fermanagh auf die Entdeckung. Aber dafür gibt es ja den nächsten Urlaub.