Story

Ein kulinarischer Streifzug durch Zürich

Auf der Suche nach der vertändelten Zeit: Zürich oder ein paar Vorschläge für ein besseres Leben.
Die Halle der Brasserie Süd © Lukas Lienhard

Zum Beispiel die Bahnhofstraße. Hier ist die kulinarische Aufrüstung gleich in zwei Richtungen losgegangen, spezifisch Café-mäßig. Ziemlich weit unten, man kann schon den Zürichsee riechen, hat John Baker eine Filiale aufgesperrt, und ja, der etwas patscherte Name könnte in eine falsche Richtung weisen, dabei gehört John Baker zum Besten, was die Zürcher Backkunst derzeit hervorbringt. Ich würde sagen: zwischen Joseph-Brot und Öfferl, nur ist die Ästhetik noch ein bisschen radikaler. Der Shop an der Bahnhofstraße besteht aus Beton und Glas, Sitze und Bänke sind nicht für den längeren Aufenthalt gemacht, sondern für den schnellen Verzehr des Croissants oder Birchermüslis.

Ach, Birchermüsli. Ich bin ein stiller Bewunderer der Schweizer Handwerkskunst, wenn diese darauf zielt, das optimale Birchermüsli herzustellen. Der Ort, wo das in Perfektion geschah, ist Sprüngli am Paradeplatz, vielleicht 200 Meter von John Baker entfernt. Dort befindet sich die Confiserie, wo man Luxemburgerli und Brioche, gefüllt mit Truffes, einkaufen kann, und im Stock darüber war der Tearoom untergebracht, der so wundervoll aus der Zeit gefallen und spießig war, dass ich mir immer extra viel Zeit einplante, um Zürich in Gestalt seines Sprüngli-Regulars ein bisschen besser kennenzu­lernen. Ich könnte nicht sagen, dass ich Stammgast war, aber ich besuchte Sprüngli regelmäßig, meistens vormittags, um ein Müsli zu essen, einen Kaffee zu trinken, in dessen Milchschaum der Schriftzug des Absenders eingearbeitet war, und vielleicht die Zeitung zu lesen, wenn ich nicht von der Wirklichkeit abgelenkt wurde.

Ich liebte es, die Konversationen zwischen Bankern zu beobachten, die verschwörerisch die Köpfe zusammensteckten. Ich war mir nie sicher, ob sie so tuschelten, weil sie tatsächlich etwas Vertrauliches zu besprechen hatten, oder ob sie nur sicher sein wollten, dass sie eh gesehen werden. Manchmal überschlug ich im Kopf, wie viel die Kaschmir- und Schmuckausstattung älterer Pensionistenpaare wohl kosten mochte, die am Nebentisch ihre Freizeit genossen und ihre Loro-Piana-Sneaker artgerecht ausführten. Manchmal bewunderte ich auch die Begeisterung, mit der sich arabische Kronprinzen durch das Süßigkeitenangebot frästen, während sie verliebt dem Regen zusahen, der auf die Bahnhofstraße fiel.

Das alte und das neue Sprüngli-Café

Sie merken an meiner Verwendung des Imperfekts, dass ich zögere, meine Liebe zum Sprüngli-Tearoom in die Gegenwart zu transponieren. Natürlich hat das mit dessen Umbau zu tun, der Ende 2024 nach zweijähriger Planungs- und Arbeitszeit finalisiert wurde. Nein, ich bin nicht wirklich begeistert von dem Ergebnis. Das alte Sprüngli, erbaut im Jahr 1859, vor der aktuellen Renovierung zum letzten Mal 1961 umgebaut, war ein Denkmal der Zürcher Spießigkeit. Der Tearoom repräsentierte schlichtes, protestantisches Denken, zu keiner Zeit glamourös, eine Bühne für die kleinen Freuden des Lebens, für die verdiente Zwischenmahlzeit, für das kleine Süße, mit dem man sich für die Mühen des Tages belohnen konnte, natürlich in angemessener Gesellschaft. Wer bei Sprüngli über die Stränge schlagen wollte, bestellte sich vielleicht ein Glas Champagner, das hier „Cüpl“ heißt, aber sicher kein zweites. Das Lokal mit seinen Vertäfelungen und dunklen Möbeln repräsentierte die Einladung zur Bescheidenheit auf Topniveau. Ich kannte kein Zürcherisches Lokal wie dieses.

Das neue Sprüngli-Café zeigt sich hell, luxuriös und modern. Die Fenster sind größer geworden. Es gibt weniger Sitzplätze, dafür bequemere. Alle Materialien, vom Fischgrätparkett aus Eiche bis zur Bar aus weißem Marmor, stammen aus dem obersten Regal der Raumausstattung. Sprüngli schafft damit elegant den Anschluss an die Bahnhofstraßennachbarschaft, man schaut ja nicht zufällig aufs Mandarin Oriental Savoy hinüber und dorthin, wo die reichen Pensionäre ihre Kaschmirsneaker holen.

Ich werde mich schon ans neue Design gewöhnen (wie ich mich auch an das Pistaziendekor gewöhnen werde, mit dem das Birchermüsli neuerdings verziert wird, „very instagramm­able“). Aber ich hätte mir gewünscht, diesen besonderen Platz nicht durch eine Architektur verwandelt zu sehen, die jede First Class Lounge rund um die Welt schmücken würde, Paris, New York, Shanghai. Nach dem Zürich des verschämten Cüplis sieht Sprüngli heute nicht mehr aus, sondern nach einem teuren Champagner. Im Zeitalter der Identitätspolitik nehme ich das als Zeichen. Aber abschütteln lasse ich mich davon nicht. Das beste Müsli der Welt hat noch immer seine magnetische Anziehungskraft.

Lange Liste

Ich hatte ein paar harte Tage vor mir. Ich musste in die Kronenhalle, hatte vor, die veganen Restaurants von Zizi Hattab und Nenad Mlinarevic zu besuchen, besaß eine Einladung in die Ziegelhütte in Schwamendingen, wo das vielleicht (laut lesen:) unzürcherischste Restaurant Zürichs zu Hause ist, außerdem hatte die Königin des Kreis 5 angekündigt, mir ein paar neue Spots im In-Bezirk nordwestlich des Hauptbahnhofs zu zeigen.

Apropos Hauptbahnhof: Der war so lange eine Baustelle, dass ich eigentlich nicht mehr daran glaubte, dass hier jemals ein sogenannter Normalbetrieb aufgenommen würde, aber inzwischen ist es so weit. Abgesehen davon, dass hier permanent ein unglaublicher Infrastrukturcontest abläuft, Hunderte Züge pro Stunde, hat sich der elegante Hauptbahnhof, die Halle wurde 1871 fertiggestellt, in ein kulinarisches Eldorado verwandelt. Kernstück davon ist das Bahnhofsrestaurant namens Brasserie Süd, ein sechs Meter hoher Raum, denkmalgeschützte Decke, wo man schon einmal seinen Zug verpassen kann, weil es ein tolles, urbanes Vergnügen ist, hier Weißwein zu trinken und darüber nachzudenken, ob man das Rindsfilet Rossini oder die Jakobsmuscheln mit brauner Butter bestellen soll. Besonders schön ist übrigens, hier den Nachmittag zu vertändeln, den andere dafür brauchen, ihr Vermögen zu vermehren oder den Warenfluss an der Bahnhofstraße am Laufen zu halten.

Kronenhalle: Nahezu vollkommene Schönheit

So fing also mein Aufenthalt in Zürich an: auf der Suche nach der vertändelten Zeit. Denn ich hatte mich für einen Bouzeron der Domaine de Villaine entschieden und als Snack die Jakobsmuscheln bestellt und hatte glücklich und zufrieden Löcher in die Luft gestarrt, bis mich mein Unterbewusstsein daran erinnerte, dass in der Kronenhalle jemand auf mich wartete. Ich machte mich also auf den Weg. Dieser führt über die Bahnhofstraße und die Kaibrücke, man ist, wenn man gut zu Fuß ist, in zwanzig Minuten da, außerdem ist man nach dem schnellen Spaziergang etwas ausgenüchtert.

Zum Glück kommt die Kronenhalle nicht auf solche Ideen wie das Sprüngli. Dieses wundersame ­Etablissement ist nach wie vor ein Ort von nahezu vollkommener Schönheit. Es entstand vor exakt hundert Jahren durch den Umbau eines Pferdestalls. Die reichen Schweizer ließen es sich dort bald gut gehen, während Inhaberin Hulda Zumsteg mit dem, was die wohlhabende Kundschaft übrig ließ – „s’Voorig vo de Riiche“ –, eine ganze Generation von Emigranten durchfütterte, unter ihnen viele Maler und Schriftsteller. Es war jedoch ihr Sohn Gustav, der das bewundernswerte Gespür für Kunst mitbrachte, durch das die Kronenhalle von einem guten Restaurant in einen der schönsten Plätze der Welt verwandelt wurde. Gustav machte sein Geld im Seidenhandel und gab es für Bilder von Segantini, Giacometti, Miró und Picasso aus. Als die Wände seiner Wohnung, die direkt über dem Restaurant lag, zu klein für seine Sammlung wurden, hängte er die Bilder einfach ins Lokal – und begründete damit jene Aura, die die Kronenhalle bis heute umgibt: das Schöne, das Wertvolle und das Unerreichbare.

Während Zürich zwar reich, dabei aber geradezu zwänglerisch diskret und um die Unsichtbarkeit des eigenen Wohlstands bemüht ist, fungiert die Kronenhalle als Zollfreizone der Zurückhaltung. In den Logen der Brasserie tagen der Geist, der Geschmack und das Geld, Theaterdirektoren, Hollywoodstars und Günter Netzer. Von draußen dringt gedämpftes Licht schräg durch die großen, mit durchsichtigen Vorhängen verhängten Scheiben. Dunkle Holzverschalungen verleihen dem Raum Würde. Die Decke hat nach Jahrzehnten der Imprägnierung durch Zigarren- und Zigarettenrauch die Farbe eines blassen Tabakblatts angenommen. Und die Bilder hängen selbstbewusst und wertvoll an den Wänden wie sonst nur in den besten Museen.

Zwischen Mittag- und Abendessen

Das Zürcher Geschnetzelte ist so, wie es sein muss, die Rösti sind untadelig. Es empfiehlt sich also, als Vorspeise nicht viel mehr zu essen als Jakobsmuscheln mit brauner Butter in der Brasserie Süd. Nachspeise: Mousse au Chocolat. Mit einem Löffel Doppelrahm. Das ist Pflicht. Wenn in der Brasserie ziemlich viel los ist, was ungefähr genau jeden Tag so ist, dann kann ich nur den Expertentipp abgeben, dass sie auch zwischen Mittag- und Abendservice offen hat. Dann bekommt man auch ohne Reservierung einen Tisch, kann sich einen Balleronsalat – ich verrate nicht, dass das eine ziemlich euphemistische Bezeichnung für ein zusammengeschnittene Knackwurst ist – und ein Pilsner Urquell bestellen und in schönster Umgebung Zeit vertändeln. In einer protestantischen Stadt, wo alle immer um ihr Leben laufen, ist das ein geradezu spirituelles Erlebnis.

Ich hatte dienstlich in der Kronenhalle zu tun. Ist das nicht ein glänzender, ein geradezu beneidenswerter Satz? Ich hatte dienstlich in der Kronenhalle zu tun, weil ich mit einem ehemaligen Museumsdirektor über eine kleine Publikation reden durfte, und fühlte mich: endlich erwachsen. Sobald man dienstlich in der Kronenhalle zu tun hat, ist man irgendwo angekommen – jedenfalls in der Kronenhalle. Dass das bei anderen Gelegenheiten nicht so einfach ist, weiß ich aus der Zeit, als ich noch nicht erwachsen war. Damals hörte ich viel zu oft, dass das Etablissement leider ausreserviert sei, ich möge doch ein anderes Mal anrufen. Das wiederholte sich so oft, dass ich mich fast darüber gegrämt hätte, wäre ich nicht im Besitz der Balleronsalat-Wahrheit gewesen: dass es nämlich zwischen Mittag- und Abendessen in der Kronenhalle am schönsten ist.

Das Gespräch mit dem Museumsdirektor verlief zu meiner Zufriedenheit und ich war auf angenehmste Weise euphorisiert, als ich den kurzen Heimweg antrat. Wenn ich in Zürich bin, wohne ich sehr gern im Signau House, einer früheren Familienvilla, die später eine Anwaltskanzlei und noch später das Headquarter einer Filmfirma war, weshalb sich im Souterrain auch ein Kinosaal befindet. Dann wurde das Haus in ein Hotel mit ein paar wenigen Zimmern umgebaut, nur der Kinosaal ist immer noch da und wird bei Gelegenheit in Betrieb genommen. Das Haus wird von einem wundervollen kleinen Garten umgeben, in dessen Sommerwärme ich noch einen Schlummertrunk nahm, bevor ich mich für das, was kommen sollte, auszuschlafen begann.

„Königin des Kreis 5“

Es ist ein Ereignis, die „Königin des Kreis 5“ zu treffen. Sie ist in einer Stadt namens Kreis 5 zu Hause, die zwar umgeben von der Stadt Zürich, aber mit dieser nicht organisch verbunden ist, so wie zum Beispiel Neubau ein Hipsterherzogtum in der Stadt Wien ist, allerdings mit einer höheren Zahl an Grenzübergängen. Im Kreis 5 kann man leben, ohne den Rest von Zürich auch nur wahrzunehmen, geschweige denn zu benützen. Es gibt eine lebendige Szene von Lokalen, die allesamt gemeinsam haben, ein bisschen szenig, aber trotzdem langlebig zu sein in der Erhaltung des eigenen Nischencharakters. Zwischen großen Genossenschaftsbauten, deren Wohnungen für Zürcher Verhältnisse einigermaßen günstig zu mieten sind, befindet sich ein buntes Ökosystem an Geschäften und Lokalen, man kann hier sehr elegante Secondhandmöbel aus Skandinavien kaufen und aus­gesuchte Küchenwaren, tamilische Brautwirkwaren und italienisches Gebäck, „molto internazionale“.

Ich traf die Königin in ihrem Sprechzimmer, der Vineria Centrale. Dort trinkt sie Bier. Wir unterhielten uns ein bisschen über die merkwürdigen Gestalten, die gerade gegenüber das chinesische LÈ Cuisine betraten. „Heiraten die? Oder singen sie nur Karaoke?“ Sie ist die Königin des Kreis 5, weil sie solche Details im Auge behält. Ich bekam einen italienischen Naturwein mit noch konfuserem Etikett als die üblichen Naturweine, der mir aus ­unerklärlichen Gründen so gut schmeckte, dass ich nach einer halben Stunde schon drei oder vier Gläser getrunken hatte und mich ein bisschen „tipsy“ fühlte, lange bevor wir ein paar Häuser weiterzogen ins Josef (Königin: Bier; ich: noch irgendein Naturwein) und weiter in eine neue Ramen-Bar namens Sappo, wo es zum Glück keinen Naturwein gab, nur Bier (die Königin weiß, wo sie hingeht).

Da wir uns darauf verständigt hatten, dass sie mir nur Plätze zeigen würde, die man kennen muss, wanderten wir vom Sappo – sehr, sehr gute Chashu Miso Ramen – zum Heisswein, ­einer ziemlich hell ausgeleuchteten Hipsterhütte, wo es ausgezeichnetes Sauerteigbrot und einen Kühlschrank voller – erraten – Naturweine gibt. Weinkarte gibt es nicht, Sitzplätze auch nicht, außer man ist im Schlepptau der Königin unterwegs, die übrigens schlank und athletisch ist und keine Anstalten macht, nach fünf, sechs Bier auch nur ein Alzerl Wirkung zu zeigen. Wir landeten später noch einmal im Josef, es kristallisierte sich also ein Muster heraus, und dort musste ich versprechen, unbedingt auch zum Essen zu kommen – ein Versprechen, das ich beim nächsten Mal halten werde oder beim übernächsten Mal, ganz bestimmt. Jedenfalls lernte ich an diesem Tag, dass man ohne Grenzüberschreitung im Kreis 5 erstklassig betrunken werden kann, falls das irgendjemand bezweifelt hat.

Von veganer Kochkunst bis Spanferkel

Über Zizi Hattabs Kle habe ich schon in meinem Bericht aus St. Moritz ein paar Worte verloren. Natürlich schaute ich mir den veganen Einsterner auch am Originalschauplatz an und kam zum Ergebnis, dass ich selten so gut vegan gegessen habe. Wenn ich jetzt sage, dem Essen fehlt nichts, aber auch gar nichts, entlarve ich mich natürlich als skeptischer Karnivore in zweifelhaftem Kontext. Dabei möchte ich die enorme Kochkunst von Zizi und ihrem Küchenteam loben, die es schaffen, aus den saisonalen Zutaten kleine Kunstwerke zu schaffen, die allesamt wunderschön und „yummie“ sind. Zizi betreibt auch zwei weitere vegane Lokale, das südspanisch-­marokkanische Dar und die Weinbar Cor: Dort verlor ich mich an einem Samstagnachmittag mit einer Flasche Gevrey-Chambertin und zwei zugelaufenen Freunden im Harald-Juhnke-Nirwana: leicht einen sitzen und keine Termine.

Interessant, dass auch Nenad Mlinarevic ein veganes Restaurant – er sagt: „Reschti“ – in Zürich betreibt. Nenad ist nicht nur ein hochtalentierter Koch, der im Parkhotel Vitznau am dritten Michelin-Stern kratzte, sondern ein mutiger Gastrounternehmer. Er betreibt in Zürich mit seinem Geschäftspartner Valentin Diem die Brasserie Süd – wenn Sie aufgepasst haben, wissen Sie, wo sich diese befindet –, das Neumarkt, wo er gerade ein Joint Venture mit Mochi, die Cucina Itameshi, am Laufen hat, The Counter, so wie eben die Brasserie Süd im Hauptbahnhof, wahrscheinlich der derzeit abgefahrenste Fine-Dining-Laden der Stadt, und, Achtung, die Neue Taverne, ein herrliches, dunkel getäfeltes Lokal an prominentem Platz in der Innenstadt. Dort aß ich mich durch ein bisschen lässiger konzipierte Gerichte als bei Zizi: Brot mit „Tunke“, Shokupan-Brioche mit Sommertrüffel und Parmesan, einen Zucchetti-Saitling-Spieß mit Karfiol, Ajo Blanco und Pesto und einen anbetungswürdigen Zitronenkuchen. Wieder der Deppenbefund: Wenn vegane Küche so umgesetzt wird, brauche ich definitiv kein Stück Fleisch mehr. Die Hütte läuft ernsthaft Gefahr, dass ich Stammgast werde.

Ich blieb noch ein paar Tage. Schlemmte im Gül – so ein türkisches Restaurant würde ich mir in Wien wünschen. Lachte im Rosi – so ein bayerisches Restaurant würde ich mir in Wien wünschen. Aß im Gamper – so eine Farm-to-Table-Hütte würde ich mir in Wien wünschen: eine fantastische Tarte Tatin von der Tropea-Zwiebel, grüner Spargel mit einer Vinaigrette aus brauner Butter, Verjus und Haselnüssen, eine kleine Pasta, die keine Pasta war, sondern mit dem Spiralschneider in Spaghettiform überführter Kohlrabi. Ich aß – mit ein paar Freunden, die mir schon wieder zugelaufen waren – ein überragendes Spanferkel, dessen Teile in eine Art knusprige Mini-Porchetta überführt worden waren, samt dem Kopf des Ferkels, über den wir uns am Schluss hermachten.

Genau, hinaus in die Ziegelhütte musste ich noch. Sie liegt im Arbeiterbezirk Schwamendingen und firmiert als Ausflugslokal. Mit Stefan Tamo, der die Ziegelhütte betreibt, hatte ich einmal zusammengewohnt, er war nicht viel zum Schlafen gekommen. Nachdem er sich durch ein paar Szenehütten zum kulinarischen Lokalmatador hinaufgearbeitet hatte, zog er sich in den Bezirk zurück, in dem er aufgewachsen war, und wandelte die Ziegelhütte in eine funktionierende Quartierkneipe an ­bevorzugter Stelle um. Ich ziehe den Hut: Ich kenne kein anderes Wirtshaus in der Stadt, wo man so gut und selbstverständlich die einfachen Dinge in bester Qualität ausspeist. Schon als mich Tamo begrüßte, wusste ich, dass es heute spät werden würde. Schnell aß ich eine Chässchnitte – ein Stück Schwarzbrot, das dick mit Käse überbacken und von einem Spiegelei gekrönt wird –, denn man braucht dringend eine Unterlage, zuerst für ein bisschen Féchy und dann für die besseren Pinot noirs, die uns helfen, gemeinsam das Lied von der Freundschaft zu singen.

Artikel aus A la Carte 03/2025.

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