Man schließt einfach die Augen und denkt nur an eines: Provence! Sofort tauchen da in der Fantasie Lavendelfelder in lila auf. Und begleitet werden diese Bilder von einem intensiven Duft in der Nase, der betörend ist. Kaum eine Gegend erobert die Sinne so intensiv wie die Provence. Dafür verantwortlich sind Menschen wie Brune und Isaure Passini, Thierry und Marina Vaute, Théo Arnulf, Guillaume de Foucault, Nathalie Nestler oder Didier Gaglewski. Ihrer Kunstfertigkeit ist zu verdanken, dass sich die Verführung der Provence in Produkten wie Seifen, Wein, Gin, Bonbons oder Parfums niederschlägt und all jene verzaubert, die den Süden lieben.
Seifen zum Vernaschen
Meine „sinnliche Tour“ durch die Provence beginnt in Carpentras, einer 30.000-Seelen-Stadt in der Nähe von Avignon. Die Rue Duplessis ist eine unscheinbare, schmale Gasse, bei der Hausnummer 68 verrät ein schwarzes Eisentor nicht, was sich dahinter verbirgt. Wer den Innenhof betritt, wird gleich von Brune Passini mit einem breiten Lächeln empfangen. Gemeinsam mit ihrer Schwester Isaure betreibt sie hier die Manufacture du Siècle und stellt 40 verschiedene, duftende Seifenarten her. „Bei uns werden nur natürliche Ingredienzen aus der Umgebung verwendet, wie zum Beispiel Bio-Orangen, Blumen, Ziegenmilch, Lavendel oder Meeresalgen“, erzählt Brune. Und es ist kein bloßer Werbespruch, wenn sie sagt: „Alles, was in unseren Seifen ist, kann man auch essen.“
Produziert wird in der kleinen Küche eines Einfamilienhauses. Und was ist das Geheimnis der Seifen von Brune und Isaure? „Man darf nie zu heiß produzieren“, so Brune, „denn nur so bleibt die Qualität des Öls erhalten.“ Verwendet wird Oliven-, Raps- und Sonnenblumenöl als Basis für die Seifen. Aber auch verschiedenste Bodylotionen werden hergestellt. Damit ist die Experimentierfreude der Schwestern aber noch lange nicht zu Ende. Sie sind zum Beispiel die ersten Seifenherstellerinnen in Frankreich, die Öl aus Granatäpfeln verwenden, die in der Gegend wachsen. Als studierte Architektin hat Brune Passini eine künstlerische Ader, die sie zum Beispiel beim Verpackungsdesign einsetzt. Ihre Produkte hat sie bis vor Kurzem nur im Webshop angeboten. Bis nach Hongkong werden Seifen & Co „made in Provence“ verschickt. Seit November hat die Manufacture du Siècle nun auch in Nizza einen eigenen Laden. Wer Carpentras besucht, sollte einen anderen Genuss am Weg gleich mitnehmen, denn die Stadt ist ein Muss für Naschkatzen und Naschkater. Alleine in der Maison Jouvaud Patisserie fühlt man sich wie im Süßigkeitenhimmel. Die Mischung aus Konditorei und Interiorshop beglückt mit Pralinen, kandierten Früchten, Baisers, Calissons und Kuchen. Dieser süßen Verführung kann man einfach nicht entgehen – aber warum sollte man auch?
Heimat des Muskats
Frankreich ohne Wein, das wäre ja wie Rom ohne Vatikan! Also kein Wunder, dass meine nächste Station einem Winzerehepaar gilt. Thierry Vaute und seine Frau Marina betreiben ein paar Kilometer nördlich von Carpentras, unweit von Beaumes-de-Venise, die Domaine de la Pigeade. Ihre Vorfahren waren kleine Bauern und vom erfolgreichen Weinmachen war damals noch lange keine Rede. „In der ganzen Gegend war der Olivenanbau wichtig. Dann kam aber im Jahr 1956 ein schrecklicher Frost und alle Olivenbäume sind hier abgestorben“, erzählt Thierry. Diese Katastrophe war die Geburtsstunde eines Neustarts.
Mit frisch ausgesetzten Olivenhainen hätte man viel zu lange warten müssen, um die ersten Früchte zu ernten. Deshalb setzte man ab diesem Zeitpunkt auf Weinbau im großen Stil und holte sich Nachhilfe aus der ganzen Welt. Thierry Vaute studierte zum Beispiel zwei Jahre lang in Mendocino in Kalifornien, bevor er 1994 zurück in seine französische Heimat kam und das Familienweingut übernahm. Begonnen hat er mit zehn Hektar von seinen Eltern. Heute produziert er mit der 38 Hektar großen Domaine de la Pigeade acht verschiedene Weine und rund 200.000 Flaschen pro Jahr. Davon geht ein Drittel in den Export: „Wir beliefern alle fünf Kontinente, sogar Neuseeland“, freut sich der Winzer, der seine Bescheidenheit trotz des Erfolgs nicht verloren hat.
Berühmt ist die Region für den süßen Muskat. „Mein Lieblingswein“, gesteht Thierry. Und wie beantwortet er die Frage nach der Besonderheit seiner guten Tröpferln? „Hier in der Ebene mit den Hügeln am Horizont haben wir eine ideale Lage, ein ideales Klima. Es geht hier immer Wind und es ist nie zu feucht.“ Das Vinifizieren ist für Thierry keine große Sache: „Wenn man zur rechten Zeit erntet, dann ist es schwierig, einen schlechten Wein zu machen.“ Beim gemeinsamen Verkosten seiner Weine schmeckt man sofort: Alles richtig gemacht!
Vom Wochenmarkt zum Gin
Am nächsten Morgen geht es von Beaumes-de-Venise über La Roque-Alric und Le Barroux nach Crillon-le-Brave. Beim Blick in diese arkadischen Landschaften geht einem das Herz auf. Hinter dem Mont Ventoux liegt Sault. Hierher kommt man am besten an einem Mittwoch, denn dann findet hier der Wochenmarkt statt. Und zwar seit dem Jahr 1515, also seit mehr als 500 Jahren! Die Gassen sind mit Ständen belebt, wo sich Einheimische mit Köstlichkeiten, Blumen und Kunsthandwerk eindecken. Eine spezielle traditionelle Spezialität von Sault ist Nougat. Natürlich findet sich in dieser Süßigkeit auch Lavendel, sonst wären wir ja nicht in der Provence. Da gibt es sogar Bier mit Nougat- oder Lavendelgeschmack.
Oder ist einem doch mehr nach Hochprozentigem? Dann auf zu Théo Arnulf und seiner Spiritmanufaktur Le Vadrouilleur. Nach Jahren in der Fremde und in zehn verschiedenen Ländern kam er zurück in seine Heimat. Seit dem Vorjahr macht Théo Gin, und welchen! Die ersten 3.000 Flaschen wurden ihm von französischen Restaurants und Genussshops aus der Hand gerissen. Und der nächste Streich folgt sogleich: Bald bietet Théo Arnulf auch Wodka und Whiskey an. In der Destillerie kann man auch in Workshops seinen eigenen Gin kreieren. „Da stehen tolle Ingredienzen zur Wahl, zum Beispiel Lavendel, Anis, Basilikum, Absinth, Salbei, Verneine oder Orange.“ Der Experimentierfreude sind also keine Grenzen gesetzt.
Lavendel-Hochburg
Sault gilt als eine der Lavendelhochburgen der Provence, und bei Aroma’plantes wird schon in der fünften Generation alles hergestellt und verkauft, was mit Lavendel zu tun hat, von Ölen und Duftsäckchen über biologische Reinigungsmittel bis zu Kosmetikprodukten und Parfums. Bereits vor 45 Jahren hat man komplett auf biologischen Anbau umgestellt. Wer in die Geschichte eines der größten Schätze der Provence eintauchen will, begeht den Lehrpfad oder besucht das kleine Lavendelmuseum von Aroma’plantes.
Noch viel mehr von provenzalischen Duftwelten erfährt man in der eine gute Stunde von Sault entfernten Stadt Manosque, wo L’Occitane Führungen durch seine Fabrik anbietet. Im Jahr 1976 vom 23-jährigen Olivier Baussan gegründet, handelt es sich heute um eine Weltmacht in Sachen Kosmetik und Düfte. Überzeugt von der Kraft der Pflanzen der Provence, hat er seine ersten Produkte noch selbst auf den Märkten der Umgebung verkauft. Heute ist L’Occitane mit 3.000 Boutiquen in 90 Ländern vertreten. In Manosque werden jeden Monat 3.000 Paletten ausschließlich biologischer Rohmaterialien von Produzenten aus der Umgebung verarbeitet und 100 Wissenschafter arbeiten in Labors an der Weiterentwicklung von L’Occitane, das sich als weltweiter Botschafter der Provence versteht.
Bonbons aus Karamell
Kurz vor Manosque liegt übrigens das Dorf Mane – ein wahrlich süßer Ort, wo man unbedingt eine Bonbonmanufaktur aufsuchen sollte. Wo früher in einem alten Steinhaus aus dem 18. Jahrhundert eine Seidenfabrik untergebracht war, produziert seit dem heurigen Frühling Guillaume de Foucault mit La Caramélerie de Mane spezielle Naschereien. Die muss man natürlich kosten, das ist Ehrensache. Sie sind mit Olivenöl hergestellt, schmecken köstlich und verkleben zum Glück auch nicht die Zähne. Guillaume de Foucault setzt auf traditionelles Handwerk und ist vor allem auf seine alte, rote Maschine aus dem Jahr 1952 stolz. „Die ist wie ein alter Ferrari“, sagt Guillaume stolz und schmunzelt.
Ein ganz großes Herzensanliegen ist dem Bonbonmacher der Schutz der Natur und der Artenvielfalt, weshalb er mit den Gärten von Salagon zusammenarbeitet. Diese liegen nur einen Steinwurf von seiner Caramélerie entfernt, auf dem historischen Besitz eines mittelalterlichen Klosterordens. Auf dem sechs Hektar großen, grünen Paradies wachsen rund 1.700 verschiedene Pflanzen. Isabel und Esmée erzählen bei einer Gartentour, dass „von Frühling bis Herbst hier immer etwas blüht, so kann man die Region mit den Augen und mit der Nase entdecken.“
Salagon besteht unter anderem aus einem mittelalterlichen Hausgarten und einem Weltgarten mit Pflanzen aus allen Kontinenten. Im Zentrum thront die Ordenskirche aus dem 12. Jahrhundert, die ihrerseits wieder auf den Resten einer großen römischen Villa errichtet worden ist. Hier spürt man die Mystik der Vergangenheit ebenso wie die Schönheit der Natur. Besucher durchstreifen die Gärten, riechen und kosten – nur über bestimmte Naschgäste aus der Tierwelt ist man in Mane nicht erfreut, nämlich über neugierige Wildschweine.
In der Schlucht der Geier
Nichts als staunendes Bewundern löst der Anblick anderer Tiere aus, wenn man am Weg Richtung Côte d’Azur die Verdonschlucht entlangfährt. Der „Grand Canyon Frankreichs“ ist nämlich die Heimat einer großen Gänsegeierkolonie. Mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern segeln diese edlen Geschöpfe majestätisch durch die Luft: ein erhabener Anblick. Und mit solchen ist der Nationalpark reich gesegnet, der gleichermaßen als Paradies für Naturfreunde wie für Kletterer, Wanderer und Raftingfreunde gilt.
Der wilde, türkisfarbene Fluss Verdon wurde im Westen durch Staudämme gezähmt. Die dadurch geschaffenen Seen sind ein ruhiger Kontrapunkt zur Welt der schroffen, bis zu 700 Meter steil abfallenden Felsen. Diese bieten ein imposantes Naturschauspiel an der 24 Kilometer langen Route des Crêtes entlang der Verdonschlucht. Hier regiert die Natur pur. Und nun geht es auf einer zweistündigen Fahrt zur letzten Station meiner Tour.
Weltstadt der Parfums
Was wäre denn die Provence ohne Parfum? Eben! In die Welt der besonderen Düfte taucht man am besten in Grasse ein. Diese Stadt im Hinterland von Cannes gilt als absolute Parfum-Weltstadt. Alle großen Konzerne sind hier zu Hause, von Fragonard über Galimard bis Molinard. Kein Wunder, denn dank des angenehmen Klimas erfreut sich die Region einer großen Pflanzenvielfalt. Rosen-, Jasmin-, Veilchen- und andere Blumenfelder bieten hervorragende Ingredienzen für die Produktion weltbekannter Parfums. Einen ersten Einblick gewinnt man im Musée International de la Parfumerie, das einzige Museum Frankreichs, das sich ausschließlich mit der unendlichen Welt der Düfte beschäftigt. Der Bogen spannt sich vom alten Ägypten über die Griechen und Römer bis zum Mittelalter und der Gegenwart. Hier kann man sogar erschnuppern, wie ein von künstlicher Intelligenz kreierter Duft riecht.
Über zutiefst menschliches Gespür und natürliche Kreativität verfügt dagegen Didier Gaglewski, ein Beispiel für die eigenständige Kreativszene von Grasse. In einem schmalen Gässchen in der Altstadt betreibt er seinen kleinen, stylishen Parfumladen. „Jedes Jahr kreiere ich ein neues Parfum“, erzählt er. Bisher sind es 15 an der Zahl, an denen er immer lange tüftelt. Und bei jedem ist auch ein Schuss Humor mit dabei. „Mein erstes eigenes Parfum hat ,Schmieröl‘ geheißen, weil es nach Werkstatt riechen sollte.“ Jeder Mechaniker hätte seine Freude mit einer so wunderbar duftenden Werkstatt.
Eine solche ist auch das Studio des Fragrances von Galimard. Täglich werden hier drei zweistündige Parfum-Workshops für jeweils bis zu 30 Personen veranstaltet. „Alle Kurse sind ausgebucht“, erzählt Studioleiterin Nathalie Nestler, „man muss vorher rechtzeitig einen Platz reservieren.“ Ihre Kurse sind deshalb so beliebt, weil man unter der Anleitung von Profis sein eigenes Parfum kreiert. Dieses stellt man nach den Wünschen und Vorlieben aus einer Auswahl von 123 Düften zusammen. Das „Parfumrezept“ wird schließlich bei Galimard gespeichert, sodass man seinen Duft auch später nachbestellen kann. Mein Parfum trage ich seit dieser Reise Tag für Tag. Und wahre Kenner mit sensibler Nase sagen, ich dufte seither ganz nach der Provence.