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Wander Bertoni Museum: „Wir wollen Bildhauerei greifbar machen“

Vom Zwangsarbeiter zum Großmeister der Bildhauerei: Wander Bertoni hat mit Werkgruppen wie dem „Imaginären Alphabet“ und dem „Indischen Tagebuch“ Kunstgeschichte geschrieben. Heuer wäre der italienisch-österreichische Künstler 100 Jahre alt geworden. schauvorbei.at hat mit Dr. Waltraud Bertoni über das Freilichtmuseum in Winden am See gesprochen, in dem sein Erbe weiterlebt.
Im Freilichtmuseum in Winden sind mehr als 400 Werke des Bildhauers zu sehen. © Gerhard Ullram

Als Wander Bertoni 1925 im italienischen Codisotto zur Welt kam, war sein Weg zum Künstler alles andere als vorgezeichnet. 1943 verschleppte ihn das NS-Regime nach Wien, wo er als Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie schuften musste. Unterstützung erhielt er von der Bildhauerin Maria Biljan-Bilger und dem Maler Vilmo Gibello – Begegnungen, die in ihm den Entschluss reifen ließen, sich der Kunst zu verschreiben.

Nach dem Krieg begann Wander Bertoni an der Akademie der bildenden Künste Wien ein Studium der Bildhauerei bei Fritz Wotruba. Seine frühen Arbeiten blieben noch figürlich, in den 1950er-Jahren fand er aber zu jener abstrakten, symbolisch aufgeladenen Formensprache, die sein Werk für alle Zeit unverwechselbar machen sollte. Bekannt machten Wander Bertoni nicht nur Zyklen wie die „Metamorphosen der Säule“, das „Imaginäre Alphabet“ und das „Indische Tagebuch“, sondern auch zahlreiche Auftragsarbeiten, etwa der „Ikarus“ für den Flughafen Wien sowie der „Sonnenanbeter“, der für die Weltausstellung 1964 in New York entworfen wurde.

1965 erschuf sich Wander Bertoni sein eigenes Reich: 1965 erwarb er die alte Gritsch-Mühle im nordburgenländischen Winden am See und verwandelte das Areal in ein Freilichtmuseum mit Skulpturenpark, Galerie und Gipsothek. Zwischen Mühlbach, altem Baumbestand und Wasserbassin entstand ein einzigartiger Ort, an dem Kunst und Natur eine harmonische Symbiose eingehen.

Auf dem Gelände und in mehreren Innenräumen können Besucher heute mehr als 400 Skulpturen besichtigen. Die Großplastiken sind sogar aus der Weite, vom Kirschblütenradweg aus, sichtbar. Wir haben mit Dr. Waltraud Bertoni – Eigentümerin des gesamten künstlerischen und privaten Nachlasses des Bildhauers – über Wander Bertonis Lebenswerk gesprochen und mit ihr einen Blick in die Zukunft des Freilichtmuseums geworfen.

schauvorbei.at: Wander Bertoni wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Was zeichnet seine Kunst aus?
Dr. Waltraud Bertoni: Eine unglaubliche Vielfalt: eine Vielfalt an Formen, sehr gut zu sehen an den künstlerischen, stilistischen Kontrapunkten wie dem Zyklus „Das Imaginäre Alphabet“ und der großen Werkgruppe „Das Indische Tagebuch“. Aber auch eine Vielfalt an Materialien. Er hat viel experimentiert, sich mit allen Materialien beschäftigt. Von Holz und Stein über Kunstharz (Polyester) bis hin zu Stahl und natürlich Bronze, dem Bronzeguss.

Bertoni hat zuerst gezeichnet, skizziert, dann modelliert. Beim Modellieren lässt sich ja viel umsetzen, aber nicht jede Form kann in jedem Material gestaltet werden. Bei vielen Bronzeplastiken hat er zuerst ein Metallgerüst geschweißt, dann die Form in Ton abgeformt und ist dann in den Prozess des Bronzegusses gegangen. Bertoni hat seine Bronzen oft patiniert und dabei auch mit Farbtönen experimentiert – von einer dunklen, fast schwarzen bis hin zu einer grün-türkisen Patina.

schauvorbei.at: Das Museum zeigt die künstlerische Entwicklung von Wander Bertonis Schaffen. Können Sie anhand einiger Highlights einen exemplarischen Einblick für Besucher geben?
Dr. Waltraud Bertoni: Das Freilichtmuseum Wander Bertoni ist ein Gesamtkunstwerk, das Architektur und bildende Kunst sehr harmonisch miteinander verbindet. Es ist langsam über viele Jahrzehnte hinweg gewachsen. Die Museumsgebäude sind nach und nach in Zusammenarbeit mit dem Architekten und Freund Johannes Spalt entstanden. Die Gipsothek, unser Archiv der Gipsmodelle und Negativformen, hat gläserne Tore erhalten, damit Bertoni seine Arbeiten an großen Plastiken gestalten konnte.

Am alten Mühlhaus wurde eine Galerie angebaut, die heute den Zyklus „Das Indische Tagebuch“ und die klerikalen Werke Bertonis beinhaltet. Erst 2000 wurde der Spalt’sche Ausstellungspavillon errichtet, in dem sich alles um die ersten 30 Schaffensjahre, von 1945 bis ca. 1975/80, dreht. Dort zeigen wir all seine Zyklen und Werkgruppen, die in dieser Zeit entstanden sind. Bertoni hat ja immer in Zyklen gearbeitet, ein Thema für sich bearbeitet und durchgearbeitet. Dann kam etwas Neues, anderes.

schauvorbei.at: Haben Sie ein persönliches Lieblingsstück?
Dr. Waltraud Bertoni: „Die Kämmende“ ist meine Lieblingsskulptur – eine Bronzeplastik aus dem Jahr 1945. Ich besitze das letzte Exponat, die Auflage ist komplett ausgegossen und verkauft. Es ist eine sehr frühe Plastik meines Mannes. Er hat sie auch in Sandstein gestaltet. Sie steht im Ausstellungspavillon und kann von unseren Besuchern bewundert werden.

schauvorbei.at: Welche Rolle spielte das Burgenland in Wander Bertonis Schaffen – als Lebensraum, Rückzugsort und Inspirationsquelle?
Dr. Waltraud Bertoni: Bertoni war auf der Suche nach einem Ort, an dem er sich ausbreiten und an seinen Großplastiken arbeiten konnte. Das Burgenland hat damals viele Künstler mit offenen Armen aufgenommen. Sie kamen gerne ins Burgenland, suchten sich Arbeits- und Rückzugsorte. Es war Bertonis Freund, der Architekt Johannes Spalt, der sich für ihn umgehört und letztlich etwas Passendes gefunden hat – die Gritsch Mühle, eine alte Wassermühle aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die etwas abseits von Winden am See am Fuße des Leithagebirges liegt. Hier konnte er seine großen Plastiken gestalten – in der bereits genannten Gipsothek, einer Scheune.

schauvorbei.at: Wie geht man mit der Herausforderung um, Skulptur als Ausdrucksform in einer zunehmend digitalen Zeit zu vermitteln, insbesondere jungen Menschen?
Dr. Waltraud Bertoni: Wir arbeiten daran, die Handwerkskunst der Bildhauerei greifbar zu machen, indem wir aufzeigen, wie eine Bronzeplastik überhaupt entsteht. Wir wollen anhand von Materialien, Anschauungsobjekten, Schautafeln und Informationsmaterial Einblick in den Prozess geben. Das Ganze soll dann durch Veranstaltungen begleitet sein, vielleicht irgendwann dann auch mit Workshops, um den Menschen, auch Kindern und der Jugend, zu zeigen: So komme ich von einer ersten Skizze oder Zeichnung zu einer fertigen, polierten oder gar patinierten Bronzeplastik. Eine andere Idee ist, die Skulpturen in den Museumsräumen in einer Rundumansicht zu filmen und unseren Besuchern dieses 3D-Material über eine Handy-App zur Verfügung zu stellen.

schauvorbei.at: Was erwartet die Besucher aktuell im Jubiläumsjahr? 
Dr. Waltraud Bertoni: Zum 100. Geburtstag wird es ein großes Fest für Wander Bertoni geben. Der ORF dreht derzeit einen Dokumentarfilm über ihn und sein Werk, der dann im Rahmen des Festes erstmals gezeigt werden soll. Darauf freuen wir uns schon sehr. Ab Mitte Oktober präsentieren wir erstmals alle mehrfarbigen Plastiken Bertonis, etwa den Zyklus „Die Augen“ aus Polyester im Zusammenspiel mit den bronzenen Plastiken aus dem „Imaginären Alphabet“, seinem wichtigsten Zyklus, der ihn international bekannt gemacht hat. Dank Mitteln des Bundes konnten wir die Original-Holzplastiken restaurieren lassen, die ein wunderbares Zusammenspiel mit den Bronzeplastiken ergeben. Zudem sind wir gerade dabei, den „Ikarus“, eine Stahlplastik mit rund 2,5 Metern Höhe, bei uns im Freilichtmuseum aufzustellen. Er war eine Auftragsarbeit für die Flughafen Wien AG anlässlich ihrer Eröffnung 1960 und soll nun als Dauerleihgabe nach Hause kommen, hier zu uns ins Museum.

schauvorbei.at: Was wünschen Sie sich für das nächste Jahrhundert Wander Bertoni – für das Werk und das Museum?
Dr. Waltraud Bertoni: Ich wünsche mir für Wander, dass er und sein Werk weiterhin so bewundert werden wie bisher, sodass er ungebrochen wahrgenommen wird. Die Menschen, die zu uns nach Winden ins Museum kommen, sollen weiterhin so viel Freude mit seinen Werken haben. Diese Freude soll bleiben und weiter wachsen.

schauvorbei.at: Danke für das Gespräch!

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