Story

Maya Unger und Nils Arztmann über „Bruno – der junge Kreisky“

Er war der „Sonnenkönig“, ein politisches Phänomen mit Haltung und Charisma. Doch wer war Bruno Kreisky, bevor er zur Ikone wurde? Der neue Film „Bruno – Der junge Kreisky“ findet Antworten – mit Nils Arztmann und Maya Unger in den Hauptrollen. Wir haben die beiden Schauspieler zum Gespräch getroffen.
Harmonisches Zusammenspiel: Maya Unger und Nils Arztmann haben sich wunderbar am Set ergänzt. © Tanja Hofer

Wirtschaftliche Instabilität, politische Polarisierung, Bürgerkrieg: In den 1920er- und 1930er-Jahren ist Österreich von Umbrüchen und gesellschaftlichen Spannungen geprägt. Mittendrin Bruno Kreisky, ein junger jüdischer Mann aus gutbürgerlichem Haus, der von den Ideen der Sozialistischen Arbeiter-Jugend fasziniert ist.

Das neue Biopic „Bruno – Der junge Kreisky“, das im Herbst fertiggestellt wird und ins Kino kommt, beleuchtet die bewegten Jugendjahre des späteren SPÖ-Langzeitkanzlers (1970–1983) bis zu seiner Flucht ins schwedische Exil im Jahr 1938. Der Film ist ein realitätsnahes Porträt ohne Glorifizierung, eine lebendige Erzählung über einen Heranwachsenden mit Idealen und Zweifeln, dessen Charakter durch die Krisen der damaligen Zeit geprägt wird. Dabei kommt auch die Liebe nicht zu kurz – denn auch sie hat einen entscheidenden Einfluss auf die Weltanschauung des späteren Staatsmannes.

In den Titelrollen – Bruno Kreisky und seine Jugendliebe Adele – sind Nils Arztmann und Maya Unger zu sehen. Im Bruno-Kreisky-Park in Wien-Margareten haben die beiden uns von den Dreharbeiten erzählt und verraten, warum sie das Projekt verändert hat.

schauvorbei.at: Wie seid ihr beide zu den Rollen gekommen? Gab es ein klassisches Casting oder wurdet ihr direkt für den Film angefragt?
Nils Arztmann:
Ich habe eine Einladung für ein E-Casting bekommen und mich mit einem Vorstellungsvideo für die Rolle beworben. Einen Monat später fand auch schon die Endrunde statt, ein Live-Casting, bei dem verschiedene Szenen gespielt wurden mit Bruno Kreisky als 16-, 20-, 23- und 27-Jährigem. Eine Woche später habe ich schließlich den Anruf erhalten, dass sie den Film unbedingt mit mir machen wollen, und dann hat es wegen Verzögerungen vier Jahre gedauert, bis wir gedreht haben.

schauvorbei.at: Eine ganz schön lange Wartezeit.
Nils Arztmann: Ja, das Warten ist mir nicht leichtgefallen. Das Drehbuch war unfassbar, ich war begeistert und hätte am liebsten gleich losgelegt. Andererseits haben mir diese vier Jahre ermöglicht, mich noch intensiver mit Bruno Kreisky und der Rolle auseinanderzusetzen. Jetzt freue ich mich umso mehr auf das Ergebnis.

schauvorbei.at: Und wie war es bei dir, Maya? 
Maya Unger: Ich habe vor drei Jahren bei einem sogenannten Chemistry-Casting für den Film teilgenommen. Bei dieser Art von Casting geht es darum, jemanden zu finden, der gut mit dem Hauptdarsteller harmoniert, aber natürlich auch der jeweiligen Rolle gerecht wird. Es war ein sehr schönes, freies Live-Casting, bei dem Nils und ich uns spielerisch begegnet sind. Wir kannten uns vorher schon vom Sehen auf der Uni – er war ein Jahr unter mir –, hatten aber bisher nie gemeinsame Projekte gehabt. Es war schön, Nils in diesem Rahmen besser kennenzulernen.

schauvorbei.at: Was war eure Reaktion, als ihr erfahren habt, dass ihr die Hauptdarsteller sein werdet? Gab es neben Freude auch ein Gefühl des Drucks? Immerhin ist es ein großer Unterschied, ob man einen fiktiven Charakter oder eine „echte“ Person darstellt.
Nils Arztmann: Im ersten Moment habe ich absolute Euphorie, Freude und Ekstase verspürt. Aber natürlich: Irgendwo im Hinterkopf gibt es den Gedanken: „Oh Gott, hoffentlich werde ich dem gerecht.“ Dabei ist es für einen Schauspieler eigentlich ein Riesengeschenk, eine echte Person darzustellen, von der es so viel Material gibt, Videos, Schriften, Memoiren … Man kann verschiedenste Aspekte der Person erarbeiten und typische Körperbewegungen studieren. Bruno Kreisky hat zum Beispiel immer die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

Man darf sich aber auch nicht zu sehr auf diese Dinge versteifen, der Film soll ja kein Nachspiel-Wettbewerb sein. Es geht nicht darum, Kreisky genau zu kopieren. Im besten Fall sieht sich der Zuschauer den Film an, geht mit der Figur mit und vergisst dabei sogar zeitweise, dass es um Bruno Kreisky geht.

Ein Vorteil für mich ist außerdem, dass es keine Tonaufnahmen vom jungen Kreisky gibt. Diese sonore Stimme, dieser Duktus, der hat sich tatsächlich erst in späteren Jahren entwickelt. Dadurch hatte ich mehr Freiheit in der Darstellung.

Maya Unger: Meine Figur ist fiktiv. Adele ist eine Zusammensetzung verschiedener Frauenfiguren der damaligen Zeit. Man weiß, dass Bruno Kreisky eine Vorliebe für Schauspielerinnen hatte, deshalb hat meine Figur eine gewisse Nähe zur Bühne.

Adele ist aber nicht nur das süße Date von Bruno Kreisky. Sie repräsentiert die damalige feministische Bewegung. In der Sozialistischen Arbeiter-Jugend gab es viele Vorbilder, die ich zur Inspiration für die Rolle studieren konnte.

Nils Arztmann: So wie die Rolle angelegt ist und wie Maya sie spielt, ist Adele ein wahnsinnig emanzipierter Mensch und eben nicht nur irgendeine Geliebte. Es ist unglaublich, wie fortschrittlich die Frauenbewegung damals schon war. Ja, die Figur ist fiktiv, aber ihr widerfahren Dinge, die wirklich geschehen sind und über die Kreisky in seinen Memoiren berichtet hat. Da gab es zum Beispiel eine Freundin, die seinen Reisepass verloren hat, und er ist deswegen ins Gefängnis gekommen.

Maya Unger: Und dennoch ist es auch eine echt schöne Liebesgesichte über eine Beziehung in jungen Jahren, die fast zehn Jahre gehalten hat. In einer Zeit, in der viele Herausforderungen und politische Veränderungen den Alltag geprägt haben.

schauvorbei.at: Welche Dynamik hatte diese Beziehung für euch als Schauspieler?
Nils Arztmann: Bevor wir angefangen haben zu drehen, haben wir uns bei einem Kaffee getroffen, um über diese Liebesbeziehung zu sprechen. Die meisten anderen Filme zeigen ja keine so lange Zeitspanne, sondern Ausschnitte von maximal einem halben Jahr, in dem sich ein Paar kennenlernt und in ein gemeinsames Leben startet. Eine fast zehnjährige Beziehung ist etwas anderes, da braucht es Vertrauen und eine besondere Intimität, und das auszuarbeiten und darzustellen, war wahnsinnig spannend.

Maya Unger: Total. Es war für uns wichtig, dass wir uns vor dem Dreh gemeinsam überlegen: Was geben sich Adele und Bruno gegenseitig in der Beziehung? Warum bleibt man in jungen Jahren so lange bei einem Partner? Es geht nicht nur um Leidenschaft, sondern auch um einen Mann, der sich mit einer emanzipierten Frau auf einer intellektuellen Ebene austauscht und durch sie Einblicke in eine andere Welt erhält, die ihn prägen.

Nils Arztmann: Wenn man an Bruno Kreisky denkt, dann denkt man an die politische Persönlichkeit, den Staatsmann. Der Film erzählt, wie jemand zu so etwas wird. Am Anfang, mit 16 Jahren, ist er noch relativ unsicher, kindlich. Gegen Ende des Films hält er eine Rede, bei der er rhetorisch glänzt und mit der er international für Furore sorgt.

schauvorbei.at: Ihr wurdet beide nach Kreiskys Tod (1990) geboren. War er euch ein Begriff?
Nils Arztmann:
Durchaus, aber besonders intensiv habe ich mich angesichts des Films mit der Person Kreisky beschäftigt. Im Bücherregal bei mir zu Hause gibt es jetzt eine kleine Bruno-Kreisky-Abteilung.

Maya Unger: Die habe ich tatsächlich auch. Für mich war außerdem die Frauenbewegung besonders interessant. Da gibt es zum Beispiel einen tollen Film über Käthe Leichter, eine Doku von Historikerin Helene Maimann, die auch jetzt beim Drehbuch von „Bruno“ mitgearbeitet hat. Es gab für uns also wirklich viel Material.

Nils Arztmann: Genau. Ich habe in der Vorbereitung wahnsinnig viel gelesen, etwa seine Memoiren und „Über Kreisky – Gespräche aus Distanz und Nähe“. In letztgenanntem Buch erzählen Persönlichkeiten von ihren Erinnerungen an Kreisky und wie sie ihn wahrgenommen haben. Schauspielerisch ist das eine spannende Sache: Wie hat er auf die Menschen gewirkt? Was ist der Kern dieses Menschen, seine Essenz? Was hat ihn angetrieben? Und da war recht schnell klar, dass Kreisky empathisch war, die Menschen gern gehabt hat und etwas für sie tun wollte.

Zusätzlich habe ich versucht, mich mit möglichst vielen Menschen zu unterhalten, die ihn noch kannten, zum Beispiel mit Wolfgang Petritsch oder eben auch Helene Maimann, die ganz eng mitgearbeitet und viel geholfen hat.

Maya Unger: Ich habe sogar im Gespräch mit meiner Familie Neues erfahren. Meine Oma wurde 1940 geboren und kommt aus Wien. In ihrer Familie gab es einen Cousin, der bei der Sozialistischen Arbeiter-Jugend und ein „Lobau-Indianer“ war. Das war nicht in der Zwischenkriegszeit, um die es im Film geht, sondern etwas später. Jedenfalls musste man das vertuschen, was der Cousin machte. Sowas konnte man nicht sagen, das war gefährlich.

schauvorbei.at: Unterscheidet sich das, was ihr über Kreisky erfahren habt, von heutigen Politikern?
Maya Unger:
Auf jeden Fall. Wir haben uns unter anderem altes Videomaterial von Elefantenrunden aus den 70ern angesehen. Die Art, wie miteinander kommuniziert wurde. Das Ausredenlassen, das Zuhören. Es war eine ganz andere Gesprächskultur. 

Nils Arztmann: Man muss auch ganz klar sagen: In den 1920er- und 1930er-Jahren sind die Leute nicht in die Politik gegangen, um Karriere zu machen und viel Geld zu verdienen. Man ist in die Politik gegangen, weil man an etwas geglaubt hat, für etwas eingestanden ist.

© Tanja Hofer

„Kreisky hat es immer geschafft, mit allen ins Gespräch zu kommen, egal aus welcher Schicht, egal aus welcher politischen Richtung, und die Menschen als Menschen zu sehen, ihnen wirklich zuzuhören. Ich glaube, wenn man so jemandem gegenübersitzt, ist es sehr schwierig, ihn nicht zu mögen. Kreisky hatte Charme, gepaart mit Offenheit und Nächstenliebe.“
Nils Arztmann, Schauspieler

schauvorbei.at: Was hat euch an Bruno Kreisky als Mensch und Politiker am meisten fasziniert?
Nils Arztmann: Seine Empathie. Bruno Kreisky ist auf die Menschen zugegangen und konnte eigentlich mit allen reden. Dazu gibt es eine schöne Geschichte, die auch im Drehbuch vorkommt: Kreisky war im Gefängnis mit einem Kommunisten und einem Nationalsozialisten eingesperrt. Kreisky half dem Nationalsozialisten, obwohl dieser ihn zuvor total drangsaliert hatte, und kam mit ihm ins Gespräch. Später sorgte dieser Nationalsozialist dafür, dass Bruno Kreisky, nachdem er in Gestapo-Haft genommen worden war, nach Schweden fliehen konnte.

Kreisky hat es immer geschafft, mit allen ins Gespräch zu kommen, egal aus welcher Schicht, egal aus welcher politischen Richtung, und die Menschen als Menschen zu sehen, ihnen wirklich zuzuhören. Ich glaube, wenn man so jemandem gegenübersitzt, ist es sehr schwierig, ihn nicht zu mögen. Kreisky hatte Charme, gepaart mit Offenheit und Nächstenliebe.

Maya Unger: Stimmt. Und ich habe auch das Gefühl, dass ihn dieses In-sich-Ruhen sehr ausgemacht hat.

Nils Arztmann: Er war aber wahnsinnig jähzornig!

Maya Unger: Ich meine ja nicht im Sinne des Zen-Buddhismus. Ich meine damit, dass er auf andere zugehen, aber dennoch seine Meinung vertreten und dazu stehen konnte. Das vermisse ich heutzutage sehr. „Core interests“ statt Floskeln und Wahlversprechen, die nicht eingehalten werden.

Nils Arztmann: Ja, heutzutage hat man oft das Gefühl, dass sich die Leute nur noch für das rechtfertigen, was politisch getan wurde oder was geschehen ist. Damals gab es eine klare Idee, für die man sich eingesetzt hat, eine Vision, eine Utopie. Kreisky hat für eine gerechte Welt gekämpft und hatte genau vor Augen, was er erreichen will. Und wenn die Veränderung zum Guten nicht möglich war, konnte Jähzorn daraus resultieren. Kreisky war laut Erfahrungsberichten bis ins hohe Alter sehr jähzornig. Und diese Ausbrüche kommen auch im Film zum Ausdruck.

schauvorbei.at: Wie war die Zusammenarbeit zwischen euch am Set, habt ihr schnell zueinander gefunden?
Maya Unger: Im Film gibt es einige intime Szenen, und der Dreh hat tatsächlich mit diesen Szenen begonnen.

Nils Arztmann: Genau, eigentlich wurde die ganze Geschichte gegen die Chronologie gedreht: Wir haben mit dem Ende begonnen, und die letzte Szene, die wir gedreht haben, war unsere erste Begegnung.

Maya Unger: Vor der ersten Intimszene hatten wir eigentlich nur eine gemeinsame Leseprobe. Aber jedes Mal, wenn eine Intimszene bevorstand, sind wir gemeinsam frühstücken gegangen und dann zum Set gefahren. Das war ein Ritual, das uns dabei geholfen hat, uns zu finden.

schauvorbei.at: Klingt nach einem ziemlich abrupten Einstieg.
Maya Unger: Ja, aber zur Unterstützung hatten wir einen Intimacy Coach.

Nils Arztmann: Das ist ein relativ neues, aber tolles Berufsfeld. Intimacy Coaches sind am Set dafür zuständig, dass alles mit Konsens abläuft und sich alle wohlfühlen. Dabei erarbeiten sie mit den Darstellern eine Art Choreografie.

Maya Unger: Ich hatte schon einige Drehs mit intimen Szenen, lange, bevor es Intimacy Coaches gab. Und ich finde es super, dass es diese Unterstützung inzwischen gibt. Auch, wenn ich immer das Glück hatte, dass bei Drehs nichts Unangenehmes passiert ist. Das liegt aber auch daran, dass ich schon immer eine Choreografie eingefordert habe. Mit einem klaren, vorgegebenen Ablauf merkt man sofort, wenn etwas sozusagen ausschweift. Alle wissen darüber Bescheid, was zu tun und was zu lassen ist.

Nils Arztmann: Unsere Intimitäts-Koordinatorin hatte tolle Übungen für uns. Eine sieht zum Beispiel so aus: Man stellt sich gegenüber voneinander hin, führt die eigenen Hände über den Körper, sagt, wie man sich fühlt und zeigt, an welchen Stellen Berührungen o. k. sind und wo nicht. Dann nimmt man die Hand der Partnerin oder des Partners und führt sie über die Stellen, die in Ordnung sind. Durch Übungen wie diese ist man sich nicht so fremd und man hat sich schon einmal berührt, bevor man am Set nackt im Bett liegt.

© Tanja Hofer

Wichtig ist vor allem, dass man eine gute Chemie hat, dass man sich mag und einander vertraut. Ich habe bisher zum Glück nur ein Mal die Erfahrung gemacht, wie es ist, mit jemandem zu drehen, mit dem die Chemie nicht stimmt. Das war zwar ein netter Mensch und es war alles o. k., aber trotzdem hat es sich richtig unangenehm angefühlt, weil sich alles in meinem Körper dagegen gesträubt hat. Deshalb bin ich froh, dass bei Castings meistens auch auf die Harmonie und Chemie zwischen den Darstellern geachtet wird.
Maya Unger, Schauspielerin

schauvorbei.at: Ist es einfacher, solche Szenen zu drehen, wenn man den Partner kennt?
Maya Unger: Wichtig ist vor allem, dass man eine gute Chemie hat, dass man sich mag und einander vertraut. Ich habe bisher zum Glück nur ein Mal die Erfahrung gemacht, wie es ist, mit jemandem zu drehen, mit dem die Chemie nicht stimmt. Das war zwar ein netter Mensch und es war alles o. k., aber trotzdem hat es sich richtig unangenehm angefühlt, weil sich alles in meinem Körper dagegen gesträubt hat. Deshalb bin ich froh, dass bei Castings meistens auch auf die Harmonie und Chemie zwischen den Darstellern geachtet wird.

Nils Arztmann: Und bei uns hat es wirklich besonders gut gepasst. Wir haben uns sicher miteinander gefühlt, auch wenn wir nackt waren. Und so konnten wir uns zu 100 % aufs Spielen konzentrieren.

Maya Unger: Und von diesen Nacktszenen gibt es einige, denn im Film kommen ja auch die Treffen der „Lobau-Indianer“, wie man sie damals genannt hat, vor. Das war schon witzig, mit rund zwanzig anderen Leuten, einige davon Kolleginnen und Kollegen vom Max Reinhardt Seminar sowie aus der Josefstadt, nackt beziehungsweise nur mit einem Lendenschurz bekleidet ums Lagerfeuer zu hüpfen. In diesem Setting gab’s dann die größten politischen Diskussionen.

Nils Arztmann: Bruno Kreisky, nackt und mit einem Stock in der Hand, wie er über die Zukunft der Sozialdemokratie spricht …

Maya Unger: Das zeigt, welche Freigeister diese Menschen damals waren, die Antibewegung zu dem, was danach mit Hitler gekommen ist.

Nils Arztmann: Damals war die Demokratie ja noch ganz jung, man hatte sie noch nie scheitern gesehen. Es war eine Zeit der Freude und Utopie.

schauvorbei.at: Wurdet ihr davon ein bisschen angesteckt?
Maya Unger: Es war ein Erlebnis für uns, an ein politisches Verständnis und eine politische Bewegung anzuknüpfen, die noch nicht mit so viel Enttäuschung konfrontiert war. Es ist oft so, dass man gewisse Dinge spürt, wenn man eine Szene spielt. Klar, man kennt das Drehbuch, die Texte, die Rolle, aber erst am Set stellt sich ein besonderes Gefühl ein. Beim Film „Bruno“ haben sicherlich auch die Kostüme im Stil der 1920er- und 1930er-Jahre dazu beigetragen. Diese junge politische Bewegung, die wir da gespielt haben, die hatte definitiv etwas Ansteckendes.

Nils Arztmann: Auch dieses Gruppengefühl war etwas Schönes – Menschen, die sich treffen und gemeinsam über die politische Zukunft diskutieren. Ich glaube, heutzutage ziehen sich die Leute immer mehr in den engsten Kreis zurück, eine Rückkehr zum Biedermeier. Netflix-Abende auf der Couch haben Treffen, bei denen sich unterschiedliche Menschen austauschen und gemeinsam über etwas nachdenken oder diskutieren, abgelöst.

Maya Unger: Das Problem ist auch, dass politische Ideale im Laufe der Geschichte immer gescheitert sind. Wenn man heute eine Idee hat, denkt man automatisch: Ach, das funktioniert sowieso alles nicht, hat man ja gesehen. So kommt es dann zu einer Art Stillstand. Aber ich glaube, es gibt einen Weg, gerade die Ideen aus der Zwischenkriegszeit noch umzusetzen. Und der Film hat mir auch persönlich Hoffnung gemacht.

schauvorbei.at: Wie empfindet ihr die heutige Politik in Bezug auf Kultur- beziehungsweise Filmförderungen?
Maya Unger: In den vergangenen Jahren gab es dank „ÖFI+“ einen regelrechten Aufschwung in der österreichischen Filmbranche, und jetzt muss man schauen, wie es weitergeht. Die „ÖFI+“-Förderung wurde nämlich bis auf Weiteres ausgesetzt. Auch in Deutschland ist die Lage wegen Einsparungen im Kulturbereich katastrophal. Projekte müssen verschoben werden, vieles steht still.

schauvorbei.at: Wie wichtig ist heutzutage noch, dass ein Film ins Kino kommt?
Nils Arztmann: Das Kino ist unfassbar wichtig! Man geht bewusst an einen Ort, um einen Film mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu sehen, und liegt nicht zu Hause auf der Couch, spielt nebenbei mit dem Handy oder kocht etwas. Ohne das Kino rutscht Filmschauen ganz schnell in eine Gleichgültigkeit ab. Und das finde ich schade.

Maya Unger: So sehe ich das auch. Das Kino ist eine kollektive Erfahrung und ein Erlebnis. Und im besten Fall bewegt der Film das Publikum, regt zum Nachdenken an, macht etwas mit einem. Wenn ich einen Film nebenbei streame, ist das etwas ganz anderes.

Nils Arztmann: Genau. Ein guter Kinofilm erwischt dich emotional, irgendwie unterschwellig, feinstofflich. Du wirst nachhaltig beeinflusst und nimmst etwas mit.

Maya Unger: Film ohne Kino ist so, als würde man sich ein berühmtes Gemälde auf Social Media statt im Museum ansehen. Es macht einfach einen Riesenunterschied, weil es eine andere Art der Wahrnehmung ist.

schauvorbei.at: Was habt ihr von diesem Filmprojekt mitgenommen?
Nils Arztmann: Sehr viel Liebe und sehr viele tolle Menschen. Das ganze Team vom Ton bis zur Maske war von Anfang an hochkonzentriert, aber nie unangenehm verkrampft. Alle Menschen, die mitgearbeitet haben, wussten genau, warum wir diesen Film machen. Und wenn viele Leute dasselbe wollen, entsteht etwas Tolles.

Maya Unger: Was mir auch durch den Film klar geworden ist: Über die Zwischenkriegszeit, um die es geht, habe ich tatsächlich nicht so viel gewusst. Es war eine Zeit, die in der Schule ein bisschen übergangen wird, weil sich die Lehrbücher vor allem um die Weltkriege drehen.

Nils Arztmann: Das ist eigentlich das Gefährliche. Denn man muss ja verstehen, wie es eigentlich zum Nationalsozialismus gekommen ist. Der war ja nicht plötzlich da. Ganz langsam haben Prozesse dazu geführt, dass die Demokratie zurückgebaut wurde.

Maya Unger: Wir hatten beim Dreh so viele Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass das, was wir bei der letzten Wahl erlebt haben, dem Geschehen vor hundert Jahren entspricht.

Nils Arztmann: Genau. Im Film gibt es Dialoge, die könnten 1:1 heute stattfinden.

Maya Unger: Und deswegen finde ich auch, dass dieser Film so wichtig ist. Er ist nicht nur ein Biopic über Bruno Kreisky oder eine Liebesgeschichte, sondern auch ein Film über ein Stück Zeit, die vielen in diesem Land nicht so bewusst ist.

schauvorbei.at: Welche Projekte stehen bei euch als Nächstes an?
Maya Unger:
Derzeit wird die zweite Staffel der Netflix-Serie „Crooks“ gedreht, da bin ich wieder dabei. Und ab August schlüpfe ich in eine große Kommissarinnen-Rolle, mehr möchte ich dazu aber noch nicht verraten. Außerdem warten noch Projekte, bei denen ich mitgewirkt habe, auf die Ausstrahlung, zwei Serien und der neue Kinofilm von Josef Hader.

Nils Arztmann: Ich bin Teil des Ensembles am Theater in der Josefstadt, dort spielen wir derzeit ein supertolles Stück, es heißt „Das Vermächtnis“. Als Nächstes kommt „Die schmutzigen Hände“ von Sartre.

Vielen Dank für das Gespräch!

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