Fake or Real? Wie Social Media die Realität verzerrt

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Wie leicht lässt man sich von schönen Urlaubsfotos und makellosen Körpern auf Social Media in eine perfekte Welt entführen? Es ist verführerisch, zu glauben, dass es sich dabei um die Realität handelt. Dabei fungiert Social Media als Zerrspiegel. Immer mehr wissenschaftliche Untersuchungen wie die heuer veröffentlichte Studie von Keel an der Florida State University zeigen, dass soziale Medien Essstörungen auslösen können. Andere legen sogar eine Verbindung zwischen Nutzung und Depressionen nahe. Dies belegt eine Untersuchung der Harvard Medical School von Perlis, Green und Simonson. Grund dafür ist eine verzerrte Wahrnehmung. Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, hat schauvorbei.at mit Expertin Natascha Ljubic, Coach, Trainerin und Lektorin, gesprochen.

schauvorbei.at: Sie beraten Ihre Klienten, damit diese Social Media positiv für sich nutzen können. Wenn wir uns der Kehrseite zuwenden: Woran liegt es, dass Social Media teilweise diesen bitteren Beigeschmack hat?
Natascha Ljubic: Ich bin seit 20 Jahren im Bereich Social Media als Expertin unterwegs. Dabei muss ich mich jeden Tag über Facebook, Instagram und LinkedIn weiterbilden. Ich merke, dass sich in der Welt etwas verändert. Das Online-Leben mit den schönen Bildern, das Bedürfnis nach den Likes und den Followern dazu würde ich als negative Aspekte ansehen. Besonders die psychische Gesundheit kann darunter leiden. Dazu gehören Angstzustände, Depressionen oder ein geringes Selbstwertgefühl, weil man ein Gefühl der Unzulänglichkeit und Unzufriedenheit entwickelt. Diese Schattenseiten gehen mit Suchtverhalten einher. Selbst wenn Unternehmen sagen: „Wir wollen unsere Produktivität steigern, begrenzt eure Social-Media-Aktivitäten!“, so ist die Antwort oftmals: „Das geht doch nicht, wir müssen up to date sein!“ Gerade junge Menschen orientieren sich an Influencern, die vorgeben, was man tun, tragen, kaufen und wie man auszusehen haben soll.

Fake News ist auch ein Thema, das vor allem durch KI immer wichtiger wird. Promis, Influencer, aber auch Politiker, Sportler oder VIPs im Allgemeinen können nun mit manipulierten Inhalten dargestellt werden. Die Desinformation kann sich verbreiten wie ein Lauffeuer. Quellen kritisch zu betrachten, ist daher unumgänglich.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist Cybermobbing. Das Verunstalten von Bildern, die Privatpersonen zeigen, oder Falschaussagen zu Privatpersonen im Internet zu machen, kann schwere emotionale oder psychologische Schäden für Betroffene nach sich ziehen – vor allem bei Jugendlichen. Dadurch dass man online anonym auftreten kann, werden solche Handlungen und Aktionen erleichtert. Diese haben Auswirkungen auf die Offline-Welt. Man sollte sich immer der realen Konsequenzen bewusst sein.

schauvorbei.at: Inwiefern hat denn Social Media eine Verschiebung zur Folge, die die eigene Realität verzerrt?
Natascha Ljubic:
Die Meinungen dazu sind kontrovers. Aber Social Media kann viele negative Auswirkungen haben, zum Beispiel, dass man die Zeit vergisst und sich nur noch online aufhält. Ich kenne zum Beispiel Heurigen und Gasthäuser, die Schilder aufgestellt haben, auf denen steht: „Legt die Handys auf die Seite und redet’s miteinander!“ Bewusst eine digitale Detox-Pause einzulegen kann auf jeden Fall helfen.

Aber vor allem bei jungen Menschen ist die Identifikation mit dem, was online passiert, groß. Ich halte auch Vorträge auf Fachhochschulen. Dort habe ich bemerkt, dass die Studenten nichts mehr aufschreiben. Sie knipsen einfach alles mit dem Smartphone ab oder nehmen es auf. Hausübungen werden nicht mehr gemacht. Auch Bücher zu lesen ist eine Seltenheit geworden. Bei Prüfungen schreibt man voneinander ab oder fragt die KI. Nach dem Studium ist man plötzlich im Berufsleben. Steht man dort vor Herausforderungen, befragt man wieder das Internet und driftet vielleicht zusätzlich in eine digitale Welt ab. Dann kann es passieren, dass der Chef sagt: „Sie haben zu wenig soziale Kompetenz.“ Da hinein spielt auch die Tatsache, dass in der virtuellen Welt und über Chatprogramme wie WhatsApp nur noch mit Kürzeln miteinander kommuniziert wird. Bildung ist daher ein großes Thema.

Ein weiteres wichtiges Topic ist Selbstfürsorge. Beachtet man diese nicht, führt das zu mangelndem Schlaf, schlechter Ernährung, zu wenig Bewegung und zu viel Online-Zeit. Dieser Punkt betrifft nicht nur die jüngere Generation, sondern auch die ältere. Ebenso können psychische Diagnosen wie Essstörungen auftreten. Stress ist ein Dauerzustand geworden. Diesem zu entkommen, ist schwierig, da User oft nichts verpassen möchten. Da alles immer schnelllebiger wird, sinkt die Aufmerksamkeitsspanne. Das bedeutet, dass sich die Menschen nicht mehr fokussieren können.

schauvorbei.at: Früher hatte man Hochglanzmagazine mit retuschierten Fotos. Heute findet man Beiträge, Reels und Stories mit Filtern. Haben sich diese unerreichbaren Vorbilder nur verschoben oder ist es tatsächlich schlimmer geworden?
Natascha Ljubic:
Ich denke, dass viel mit Konsumzwang zusammenhängt. Aussagen wie: „Ich muss mir das jetzt kaufen und wenn ich es nicht bekomme, geht die Welt unter“ hat es früher, denke ich, in diesem Ausmaß nicht gegeben. Grund dafür ist, dass wir immer mehr im Außen statt im „Selbst“ leben. Der Sonntag, an dem man sich früher Zeit für sich genommen hat, ist nicht mehr existent. Die Zeit, in der man sich nur mit sich selbst beschäftigt und mit einem Buch hingesetzt hat oder in der Natur unterwegs war, wird auf Social Media verbraucht. Was verloren gegangen ist, ist das Sein-lassen und das Leben entspannt zu betrachten. Außer in der Urlaubszeit passiert das nicht mehr. Aber selbst da ist alles durchgeplant mit dem, was man machen möchte, sich ansehen und unternehmen will, anstatt den Kontakt zu sich selbst zu suchen.

Ein guter Gegenpol ist, in die Stille hineinzuspüren und sich dann dazu fragen: „Brauche ich das?“ und „Muss ich das kaufen?“ Dann kann man auch die Frage stellen: „Warum möchte ich dieses oder jenes?“ Die Antworten können vielschichtig sein, wie zum Beispiel: „Ich möchte nicht ausgegrenzt werden“, „Ich will dazugehören“ oder „Ich möchte so sein wie die anderen“. Damit kann man arbeiten.

schauvorbei.at: Sehen Sie die Generation Y im Vorteil oder im Nachteil, weil sie mit Social Media aufgewachsen ist?
Natascha Ljubic:
In den letzten Jahren hat sich viel gewandelt. Nicht nur bei der neuen Generation, sondern auch bei der älteren. Eltern, die sich bewusst Zeit nehmen für ihre Kinder und offline mit ihnen etwas unternehmen, werden immer weniger. Wenn Kinder sich selbst überlassen sind und im Freundeskreis das Umfeld stark durch Social Media und Konsum geprägt ist, beeinflusst sie das natürlich.

Gleichzeitig hat sich Autorität als Wert verändert. Früher hatten sowohl Eltern als auch Lehrer eine starke autoritäre Rolle inne. Jetzt ist es nicht mehr so. Kinder sagen nun: „Das, was Mama und Papa sagen, ist Blödsinn. Ich mache, was ich will.“ Diese Einstellung hängt wiederum von den Gruppen in den sozialen Netzwerken ab, in denen man sich aufhält. Ich merke das bei den Lehrern, die zu meinem Kundenstamm gehören. Sie sind oft total gestresst, da ihnen niemand mehr zuhört. Dadurch können sie keinen Stoff vermitteln. Selbstverständlich ist das auch noch von anderen Faktoren abhängig – wie Integration, negative Emotionen in der Klasse, Aggressionspotential. Es ist sehr komplex in der heutigen Zeit, als Jugendlicher gut und gesund aufzuwachsen, da es so viele verschiedene „Brennherde“ gibt.

Wichtig an dieser Stelle wäre, in sich selbst hineinzuhorchen und auf die eigene Intuition zu vertrauen. Abzuschalten und zur Ruhe zu kommen ist ein Safe Space, den man sich selbst geben kann, auch wenn man zu Communitys und Gruppen mit Gleichgesinnten dazugehören möchte. Trotz dieses Bedürfnisses sollte man sich selbst treu bleiben.

schauvorbei.at: Wie kann man diese Negativspirale durchbrechen?
Natascha Ljubic:
Ich denke, wir sind alle dazu aufgefordert, irgendwann Stopp zu sagen. Inwieweit das jeder schafft, ist natürlich individuell. Als Jugendlicher in der heutigen Zeit kann es schwieriger sein. Denn diese Generation weiß nicht, wie es ist, ohne Social Media oder Handy aufzuwachsen. Kommunikation mit Freunden und Familie passiert zu einem sehr hohen Prozentsatz online. Zum Beispiel, wenn die Eltern in Florida sind, wird man über den Urlaub und was dort passiert über Social Media informiert. Vielleicht sieht man sich einmal im Jahr zu Weihnachten – übertrieben gesagt. Dieses Gefühl der Zusammenhörigkeit, also face-to-face miteinander sprechen, das Aushandeln von Diskussionen und die Bewältigung von Krisen: Das alles sind Bindeglieder, die heute fehlen.

Eine wirksame Gegenmaßnahme für den übertriebenen Impact von Social Media auf das Day-to-Day-Life ist, die Nutzung zu limitieren, beispielsweise eine Stunde am Tag als Grenze zu setzen. Eine emotionale Resilienz zu entwickeln ist ebenso wichtig. Ich persönliche praktiziere Meditation. Dabei kann ich abschalten und versuche ganz still zu sein und diese Stille auch auszuhalten. So komme ich mir persönlich näher und dem, was mir wichtig ist. Es fällt mir dadurch leichter, Grenzen im Außen zu setzen und bewusst Pausen von Social Media einzulegen. Ein Grund für mich dafür ist, die ganzen negativen Informationen mit ihren Emotionen wie Wut und Hass zu begrenzen. Das funktioniert am besten, indem man sich selbst abgrenzt. Dadurch dass man den Fokus auf andere Dinge lenkt, kann man Ressourcen an anderer Stelle aufbauen. So hat man wieder mehr Kraft im Alltag.

Eine gute Affirmation ist: „Ich habe alles, was ich brauche.“ Parallel dazu sollte man das Bewusstsein aufbauen: „Okay, die Welt ist so, wie sie ist. Aber ich mache da nicht mehr mit, weil ich Symptome wie Depression, Angst oder emotionale Unausgeglichenheit nicht aktiv herbeiführen möchte.“

schauvorbei.at: Stichwort KI – wie wird diese Social Media in den nächsten Jahren verändern?
Natascha Ljubic: Im Ausland – vor allem in Amerika – kann man bereits erste Veränderungen erkennen. Auch Deutschland gehört dazu. Es wird auch bald nach Österreich schwappen. Immerhin kann uns KI eine Menge Zeit ersparen. Das ist bei Social Media wichtig, weil man in kurzer Zeit sehr viel Content produzieren kann. Dazu gehören Texte, Fotos und Videos. Man kann die KI als Mitarbeiter ansehen, der rund um die Uhr zur Verfügung steht, keinen Urlaub braucht und durch die Prompts immer das macht, was man ihm sagt.

In Amerika werden schon Filme damit gedreht. Dadurch wird die Produktion natürlich günstiger. Das Thema sorgt aber auch für jede Menge Diskussion.

Allgemein gesprochen: Alle Unternehmen jeder Größe müssen sich damit abfinden, dass künstliche Intelligenz immer mehr auf uns zukommt und im Businessfeld eingesetzt werden wird. Ich selbst habe auch schon im kleineren Unternehmensbereich einige Kunden, die KI für Texte nutzen. Egal ob man angibt: „Schreibe mir einen Text für eine Website, einen Social-Media-Beitrag oder kreiere ein Reel.“ Prompts sind sehr einfach. Wenn man dann noch angibt, welche Position oder Rolle man innehat, bzw. welchen Zweck der Text haben soll, dann ist die Arbeit schnell erledigt. Vor allem, wenn man selbst nicht die Gabe hat, schön zu formulieren. Sogar einen Plan für Social-Media-Posts kann eine KI erstellen. Mit mehreren Tools, die zusammenarbeiten, kann man in kurzer Zeit nicht nur wunderbare Texte, sondern auch ganze Videos produzieren. Davon profitieren Unternehmenswerte wie Markenbekanntheit und Kundengewinnung.

schauvorbei.at: Welche neuen Chancen und Risiken ergeben sich dadurch auf Konsumentenseite?
Natascha Ljubic:
Die Konsumenten werden derzeit überrollt mit Videos. Die Bevölkerung liest tendenziell auch weniger. Das heißt, Texte treten in den Hintergrund, Fotos und Videos müssen innerhalb von drei Sekunden eine Botschaft vermitteln. Dabei sehe ich viele Falschinformationen und Fake-Darstellungen. Wenn man kein Profi ist, erkennt man das nicht sofort. Vor allem, da auch Meta gerade kräftig mitmischt und versucht, neue virtuelle Welten zu erschaffen, bei denen User denken, dass sie real sind. Dadurch verliert man den Bezug zu „echten“ Personen, die offline Rückhalt geben.

Es sind zwei verschiedene Welten, die auf uns zukommen. Jeder von uns kann selbst entscheiden, wie sehr er daran teilhaben möchte. Die junge Generation kennt das reine „Offline-Leben“ nicht mehr, sie wurde in diese „Online-Welt“ quasi schon hineingeboren. Daher fällt es ihr, denke ich, schwerer auszusteigen. Eltern sollten den Konsum entsprechend regulieren. Generell wird es aber wohl für jeden eine Herausforderung werden.

schauvorbei.at: Raten Sie Ihren Klienten dazu, KI zu verwenden?
Natascha Ljubic:
Ich berate auch sehr kleine Betriebe wie Ein-Personen-Unternehmen, da ich auch Vorträge bei der Wirtschaftskammer halte. Dort informiere ich darüber, was alles möglich ist. Ein kleines Unternehmen kann sich durch die Verwendung von KI viele Mitarbeiter und somit Personalkosten sparen. Vor allem, da in One-Man-Shows Unternehmer alles von der Buchhaltung über Marketing bis hin zum Videodreh selbst machen. Mit KI kann vieles davon zeitsparend in höherer Qualität passieren.

schauvorbei.at: Wohin geht die Tendenz: zu mehr natürlicheren oder stärker bearbeiteten Beiträgen?
Natascha Ljubic: 
Ich denke, es wird zwei Strömungen geben. Zum einen eine, bei der man mehr in die virtuelle Welt mit VR-Brillen eintaucht und diese verstärkt digital erlebt. Auf der anderen Seite steht für mich der Weg zurück zur Natur. Diese Richtung beschränkt sich nicht nur auf den Konsum von Social Media, sondern betrifft auch die Ernährung. Derzeit sieht man sehr gut, dass Menschen versuchen, hochwertige Lebensmittel, die in Österreich produziert werden, zu konsumieren. Dennoch denke ich, dass die junge Generation eher die Tendenz hat, in die digitale Welt abzudriften. Wenn Eltern es rechtzeitig erkennen, können sie möglicherweise noch gegensteuern. Denn langfristig gesehen ist die digitale Welt der Gesundheit nicht zuträglich.

Besser wäre es, sich die Vorteile des Digitalen zunutze zu machen und dennoch in der realen Welt verankert zu bleiben. Zu den Vorteilen der digitalen Welt zählen auf jeden Fall Spaß und Unterhaltung. Die Verführung des Virtuellen liegt meines Erachtens auch darin, dass Kinder und Jugendliche das Gefühl haben, zu wenig Liebe zu bekommen und sie sich diese dann auf andere Weise suchen. Anerkennung und Wertschätzung steht einem auf Social Media schnell zur Verfügung. Darin liegt auch das Suchtpotential.

Um das zu verhindern, ist jeder angehalten, seine eigene Geschichte zu erzählen, wie etwa, inwieweit eine Abkehr gut war und warum. Zum Beispiel, wenn man schon körperliche Beschwerden oder sogar schon gesundheitliche Risiken wahrgenommen hat. Sich selbst und anderen bewusst zu machen, wann es hieß: „Bis hierher und nicht weiter!“ Auch, was man dann anders gemacht hat. Man sollte sich retrospektiv die Frage stellen: „Was war dieses andere, das es gebraucht hat?“

schauvorbei.at: Ein schöner Schlusssatz. Danke für das Gespräch!

Foto: © Getty Images

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