schauvorbei.at: Bei Kindern im Volksschulalter: Welche Gründe gibt es, dass sie sich gegen das Lernen sperren?
Dörte Kaminski: Die Gründe sind sehr vielfältig. Zum einen kann es sein, dass die Schule ein Kind überfordert. Jene, die im Juli oder August geboren wurden, sind meist auch noch gar noch nicht so reif wie die anderen in ihrer Klasse, die früher zur Welt gekommen sind. Besonders in diesem Alter kann ein halbes Jahr einen großen Unterschied in der Entwicklung bewirken. Die meisten Erstklässrigen freuen sich auf die Schule. Allerdings stellen sie es sich eher wie einen erweiterten Kindergarten vor. Das passiert vor allem, wenn sie keine größeren Geschwister haben. Oft stellt sich nach der Schule ein gewisser Trotz ein, der sich in Reaktionen äußert wie: „Ich will spielen. Der Vormittag in der Schule war schon sehr lange.“ Solche oder ähnliche Aussagen können Überforderung anzeigen.
Diese plötzlichen Vorschreibung mit Nachhausekommen, Hausübung machen und noch einmal das wichtigste Wiederholen ist für Kinder eine unglaublich lange Zeitspanne. Manche kommen damit gut zurecht, aber andere brauchen dazwischen eine Pause. Darauf sollte Rücksicht genommen werden. Für uns Erwachsene ist das alles super einfach. Weil wir uns gar nicht mehr vorstellen können, dass es mit klaren Strukturen, Schwierigkeiten geben könnte. Diese Umstellung und der Umgang mit falschen Erwartungen und der Realität braucht es, um später im Leben mit Veränderungen umgehen zu können.
Im Allgemeinen sollte man als Elternteil am eigenen Grundvertrauen arbeiten, dass die Kinder das Lernen lernen werden. Wenn man selbst Probleme in der Schule hatte, möchte man, dass der Nachwuchs es leichter hat. Deswegen versucht man oft vehement dagegenzusteuern. Daraus kann aber Druck entstehen und Kindern das Gefühl geben: „Mama und Papa trauen mir das nicht zu.“ Wenn sie dann glauben, es gibt ein großes Drama, wenn sie etwas falsch machen, werden sie sofort angespannter. Wichtig ist es: Geduld zu haben und die Kinder langsam an den neuen Alltag heranzuführen. Man sollte sie nicht zu sehr drängen, dass sie lernen müssen. Ansonsten kann ein innerer Widerstand entstehen. Meistens pendelt sich der neue Alltag bis Weihnachten ein.
Was für Methoden gibt es, um Blockaden zu lösen?
Das erste Jahr heißt es tatsächlich: Abwarten und Tee trinken. In der Schule werden Grundlagen gelebt und das Kind erlebt sich erstmals in einem solchen sozialen Gefüge mit strengeren Regeln als im Kindergarten. Wenn es allerdings anfängt körperlich zu reagieren, weint, Bauchschmerzen hat und auch die Pädagogen nicht unterstützen, würde ich einen Schulwechsel empfehlen. Wichtig sind in diesem Setting Fragestellungen wie: „Fühle ich mich als Familie gut aufgehoben?“ Und: „Wie verständnisvoll ist der Lehrer?“ Außerdem sollte darauf geachtet werden, ob es sich dabei nicht nur um Symptomen von anderen Themen handelt, beispielsweise Trennungsängste.
Genauer hinsehen sollte man, wenn der Sprössling öfter sagt: „Die Schule ist doof.“, „Die Lehrer sind blöd.“ und „Ich will da nicht hin.“ Dann kommt es oft zu einem Strudel. Dieser kann sich potenzieren. Man sollte sich überlegen, ob das Kind die Klasse oder die Schule wechselt. Allerdings ist eine gewisse Konstanz ebenso wichtig. Deswegen sollte ein Wechsel wohl bedacht sein. Denn auch wenn das Gegenteil der Fall ist und Kinder einen häufigen Lehrerwechsel erfahren, zum Beispiel durch Karenz, kann es für Schüler schwierig werden, sich den sich verändernden Bedingungen in der Schule anzupassen. In den ersten Jahren werden die Grundsteine für den weiteren Bildungsweg gelegt. Der Wohlfühlfaktor ist aber auch von der Persönlichkeit des Kindes abhängig. So wie manche einen strukturierteren Typ Klassenvorstand bevorzugen und andere einen spielerischen.
Verschiedene Typen gibt es auch bei der Lerngeschwindigkeit. Wenn Kinder etwas nicht verstehen und das Gefühl haben, dass sie langsamer sind als die anderen, sollte darauf eingegangen werden. Häufig wird das in den ersten Klassen übergangen. Schwierigkeiten in Mathematik sind zum Beispiel sehr häufig. Das erlebe ich in 80 bis 90 Prozent der Fälle in meiner Praxis. Aussagen im Zuge dessen sind zum Beispiel: „Ich habe keine Lust dazu.“, und „Lernen ist zach.“. Wenn die Zahlen dann in der weiterführenden Schule größer werden, heißt es auf einmal: “Ups, da hätten wir früher etwas tun sollen.”
Nicht selten passiert es, dass es zu Problemen mit Klassenkollegen oder dezidiert zu Mobbing kommt.
Psychosoziale Beraterin Dörte Kaminski
Wenn die Kinder schon älter sind und die Unterstufe bzw. die NMS besuchen: Inwiefern können Veränderungen dazu führen, dass plötzlich Probleme beim Lernen auftreten?
Beginnen Schüler mit der Unterstufe oder der NMS, dann ist das eine große Veränderung für sie. Zum ersten Mal haben sie viele verschiedene Lehrer und mehr Fächer als in der Volksschule. Ein halbes Jahr Eingewöhnungsphase ist ganz normal. Volksschüler, die nicht gern gelernt haben, bekommen nun richtige Probleme. Sie müssen einen Überblick behalten. Jene, die unorganisiert sind, wissen nicht, welche Hausaufgaben sie machen müssen und vergessen ihre Bücher. Als Elternteil sollte man relativ zügig unterstützen und bei der Organisation helfen – allerdings ohne zu viel vorzugeben. Denn mit Kindern Dinge zu tun, die ihnen gegen den Strich gehen, führt selten zum Ziel. Zum Beispiel wenn sich die Sprösslinge wie beim Verhör fühlen, wenn es heißt: „Was habt ihr in der Schule gemacht?“ Nachfragen ist allerdings wichtig, da sie sonst den Anschluss verlieren. Hier macht der Ton die Musik.
Wenn man nicht lernt zu lernen, wird es immer schwieriger mitzukommen, da viele Fächer aufbauend sind, wie beispielsweise Deutsch und Englisch. Dann stellen sich typische Glaubenssätze ein, wie: „Ich habe so viele Lücken.“, „Nie werde ich das verstehen.“ und „Ich verpasse den Anschluss.“. Auch Kinder, die sehr intelligent sind, können in der Unterstufe Schwierigkeiten bekommen. Jene, die nicht gelernt haben, zu lernen, sondern einfach nur im Unterricht aufgepasst haben, können in der Volksschule gut mitschwimmen. In der Unterstufe kommt der Moment, wo das nicht mehr so läuft. Aber auch jene, die gut lernen, können einen Schock erleben, wenn sie auf eine Schularbeit das erste Mal eine Vier oder Fünf erhalten. Vor allem wenn sie in der Volksschule nur Einser und Zweier geschrieben haben. Das sind Erlebnisse, die zu Demotivation und Frust führen können.
Aber nicht nur Leistung, auch soziale Umstände können zu Lernfrust führen. Nicht selten passiert es, dass es zu Problemen mit Klassenkollegen oder dezidiert zu Mobbing kommt. Typische Machtspielchen wie: „Heute bist du meine Freundin, morgen nicht.“ oder „Haha, der weißt das nicht.“ sind typische Szenarien. Ausgrenzung ist ein Thema, dass vor allem aufkommt, da Schüler der Unterstufe noch nicht „die gewisse Reife“ besitzen. Vor allem bei sensiblen Kindern kann sich das aufs Lernen auswirken.
Was für Tools gibt es, um einen Motivationsschub zu erreichen?
Eine gute Technik, wenn man das Fach oder den Stoff nicht mag, ist es, ein inneres Bild davon zu visualisieren. Oft sieht man dann Formeln auf einen Blatt, die rot durchgestrichen sind und auf dem alle Rechenwege falsch sind. Auch könnte die Visualisierung einen Lehrer zeigen, der einen immer böse anblickt. Diese persönlichen Repräsentationen können dazu führen, dass man sich sträubt und selbst blockiert.
Im nächsten Schritt kann man dann versuchen, dieses Bild zu verändern und umzubauen. Zum Beispiel einen freundlichen Lehrer, einen Test mit null Fehlern und lauter Häkchen oder indem man sieht, wie man ganz einfach alle Aufgaben lösen kann. Auch ein Motivationsboard kann helfen. Diese sind ähnlich wie Vision Boards und helfen dadurch, dass sie zeigen, was man erreichen möchte, die intrinsische Motivation wiederzufinden.
Bei extrinsischer Motivation sollte man mit Belohnungen generell vorsichtig sein. Zum Beispiel sollte man ein Kind nie mit Essen belohnen. Auch Medienzeit kann als Motivationsstopper wirken. Glaubenssätze wie: „In der Schule läuft es nicht gut, aber Hauptsache ich kann spielen.“ können dazu führen, dass ein Kind in die digitale Welt abdriftet. Die verbrachte Zeit auf digitalen Medien sollte vor allem altersgerecht sein. Wichtig ist auch, dass eine halbe Stunde nach dem Lernen eine medienfreie Zeit eingeplant wird, da sich sonst – ganz lapidar gesagt – der Stoff nicht so gut im Kopf verankert. In dieser Zeit sollte generell nichts emotional Anstrengendes passieren, da es sonst zu viel neuen Input gibt, der das Erlernte schnell verdrängen kann.
Wenn das gemeinsame Lernen die Eltern-Kind-Beziehung stresst und Hausaufgaben machen ein Graus ist, sollte auf Nachhilfe zurückgegriffen werden.
Psychosoziale Beraterin Dörte Kaminski
Im Teenageralter: Wie soll man sich als Elternteil verhalten, wenn das Kind plötzlich einfach „keinen Bock“ mehr hat?
Vor allem mit Verständnis. Mit 12 oder 13 Jahren verändert sich das Lebens eines Kindes. Es ist ein klassischer Vorgang in der Pubertät. Teenies beginnen Autoritäten wie Eltern und Lehrer in Frage zu stellen. Sie begreifen und fordern, dass ihr Lebensinhalt aus mehr besteht als nur aus Schule. Dabei fühlen sie sich in ihrer Freizeit eingeschränkt und wollen vor allem Spaß erleben. Es ist völlig normal, dass sie sich nicht mehr so wie früher mit dem Lernen beschäftigen. Mit 16 bzw. 17 Jahren kommen sie da wieder raus.
Allerdings, sollte man ein Auge darauf haben, dass sie vor allem in aufbauenden Fächern mitkommen und nicht komplett aus der Schule fallen. Eine etwaige daraus entstehende Lernschwäche kann zu großer Nervosität vor der Schularbeit führen und die „Kein-Bock-Mentalität“ verstärken. Als Elternteil sollte man dem Teenager also klarmachen: „Es ist dein Job, zur Schule zu gehen.“
Wann sollte man mit den Lehrern des Kindes sprechen?
Wenn ein Kind eigenmotiviert lernt und die Aufgaben erledigt, die für die Schule notwendig sind, muss man normalerweise nicht viel Unterstützung geben. Einige Themen kann man immer beim Elternsprechtag klären. Sollte es ein akutes Problem geben, kann man direkt nach einem Termin beim Lehrer fragen. Vor allem auch dann, wenn man das Gefühl hat, dass der Nachwuchs nicht darüber spricht, wo es in der Schule steht. Die Perspektive des Lehrers kann helfen, ein klares Bild zu bekommen. Manche Pädagogen schicken auch E-Mails, wenn es ein Problem gibt. Aber das ist ganz individuell zu sehen. Andere machen das nicht und verteilen einfach Fünfen. Wie sagt man so schön: „Communication is key.“ Wichtig ist es, mit dem Kind in Ruhe zu reden.
Wann ist es Zeit, sich Nachhilfe zu suchen?
Wenn das Kind sich über einen längeren Zeitraum schwertut. Vor allem dann, wenn Schüler sagen: „Der Lehrer kann es nicht erklären.“ Zum Beispiel in Fächern wie Mathematik werden mögliche Rechenwege nur auf eine Art und Weise erklärt. Da kann ein anderer Blickwinkel helfen. Wenn das gemeinsame Lernen die Eltern-Kind-Beziehung stresst und Hausaufgaben machen ein Graus ist, sollte auf Nachhilfe zurückgegriffen werden. Zum Beispiel beim typischen Szenario, wo man als Elternteil nicht geduldig genug ist und nicht verstehen kann, warum das Kind es nicht kapiert. Es kann also der Harmonie dienen.
Dabei ist wichtig, dass man sich das Setting der Nachhilfe gut aussucht. Hausaufgabenbetreuung kann sinnvoll sein. Allerdings sind nicht alle Kinder für Gruppenbetreuung geeignet. Man sollte sich genau überlegen, ob man sich an ein Institut oder eine Einzelperson wendet. Außerdem sollte man darüber nachdenken, ob es zweckdienlich ist, nur Hausaufgabenbetreuung in Anspruch zu nehmen, wenn es tatsächlich die Grundlangen eines Fachs sind, die Probleme machen.
Danke für das Gespräch!