Mord an der Adria. Wer war der Täter? Keine Sorge, für die Aufklärung des Verbrechens stehen so einige Ermittler bereit. Denn in der ganzen Region wimmelt es geradezu von ihnen. Neben dem berühmten Commissario Brunetti sind Commissario Laurenti, Commissaria Degrassi, Commissario Morello, Commissario Garibaldi und noch einige mehr am Werk. Aber auch an der kroatischen Küste machen Hobby- und Profidetektive den Verbrechern die Arbeit recht schwer – zumindest literarisch. Offensichtlich ist die Region der Oberen Adria ein guter Platz für Krimis. Fragt sich nur: Warum?
Ein Sehnsuchtsort für Verbrecher
Der Autor Veit Heinichen erklärt seinen Krimi-Tatort Triest, der seit vielen Jahren auch seine Heimatstadt ist, so: „Die Stadt ist eine Schnittstelle Europas, an der drei Kulturen aufeinandertreffen: die romanische, die slawische und die germanische. Diese multiethnische und vielsprachige Grenz- und Hafenstadt ist ein idealer Ausgangspunkt für Verbrechen.“
Andrea Nagele wiederum ist Erfinderin der Commissaria Maddalena Degrassi. Diese ermittelt in einer siebenteiligen Adria-Krimi-Reihe in Grado. Die Kärntner Bestsellerautorin fasst die Anziehungskraft der Region knapp zusammen: „Sonne, Stürme, Regen, Sand und Meer, Grado ist ein Sehnsuchtsort, der sich für Verbrechen eignet.“
Auf den Spuren Schnitzlers
Die Adria dient aber nicht nur als Kulisse für Krimis, sondern auch als Hintergrund historischer Romane. In Petra Hartliebs Buch „Sommer in Wien“ etwa verbringt der Dichter Arthur Schnitzler die Sommerfrische auf der mondänen Adria-Insel Brioni. Das Archipel Brioni (Brijuni) liegt heute an der kroatischen Adria. Dabei waren die Inseln eine Zeit lang in österreichischem Besitz. Im Jahr 1893 kaufte sie der österreichische Industrielle Paul Kupelwieser und verwandelte sie in einen modischen Kurort. „Brioni war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs der ,place to be‘“, erzählt die Autorin. „Ich bin darauf in den Tagebüchern von Arthur Schnitzler gestoßen, der den Urlaub dort beschreibt. Es gab etwa eine Inselzeitung, die jede Woche auf Deutsch erschienen ist. Darin konnte man wöchentlich nachlesen, welche Gäste eingetroffen sind.“ Darunter waren viele illustre Besucher, wie zum Beispiel Erzherzog Franz Ferdinand und Dichterfürst Thomas Mann.
Österreich am Meer
Dass Österreich einst über die Adriaküste herrschte, daran erinnert auch Christine Casapicola. Sie hat sich im Zuge der Reihe „Österreich lag einst am Meer“ auf Entdeckungsreise in das altösterreichische Küstenland begeben. Die Inspiration für Casapicolas Spurensuche? „Das war die Tatsache, dass die gemeinsame altösterreichische Vergangenheit im Friaul noch viel präsenter ist als bei uns in Österreich. Und wenn man am 18. August zu Kaisers Geburtstag aus einer Kirche in einem friulanischen Nest die Kaiserhymne ,Gott erhalte‘ schallen hört, dann wird man hellhörig und will mehr wissen.“ Ihre Recherchen führten sie von Friaul über Slowenien bis nach Istrien. „Dabei ist mir bewusst geworden, wie selbstverständlich sich die Leute innerhalb der Monarchie bewegt und sich über Sprach- und Kulturgrenzen hinweggesetzt haben. So war es zum Beispiel normal und üblich, dass ein Kurarzt im Sommer in Altaussee und im Winter in Lussin, dem heutigen Lošinj, tätig war.“
Spuk an den Lost Places
Auch viele vergessene, versteckte Plätze erzählen von der gemeinsamen Geschichte. Diesen sind der Autor Georg Lux und der Fotograf Helmuth Weichselbraun in der Reihe „Lost Places in der Alpen-Adria-Region“ nachgegangen. Sie haben zum Beispiel das verlassene Alcatraz an der Adria, das berüchtigte Inselgefängnis auf Goli otok, besucht, in dem Tito Regimekritiker inhaftieren ließ. Auch am einst mondänen „Park Hotel Obelisco“ in Opicina nagt der Zahn der Zeit.
Besonders in Erinnerung geblieben ist den beiden die sogenannte Geisterinsel Poveglia bei Venedig. „Dort befand sich zuletzt ein Altersheim, heute ist die Insel menschenleer“, so Georg Lux. „Wir haben mehrere Anläufe gebraucht, bis wir jemanden gefunden haben, der uns per Boot hinbringt. Die Eindrücke waren ein Wahnsinn. Die Tierwelt hat diese Insel zurückerobert. Ständig hört man ein Rascheln im Gebüsch und über den Ruinen kreisen die seltsamsten lauten Vögel. Kein Wunder, dass Menschen, die sich länger auf der Insel aufhalten, glauben, dass es dort spukt.“
Von den 1980ern bis heute
Beim Wort Adria denken wir aber meist weder an Spukinseln noch an die K.-u.-k.-Monarchie und schon gar nicht an Mordfälle. Vielmehr haben wir warmes Meer, heißen Sand, tropfendes Eis, Sonnencremegeruch und Sonnenschirmreihen im Kopf. Und so manch einer erinnert sich an die abenteuerlichen Fahrten an diese Sehnsuchtsorte, als es noch keine Autobahn gab.
An diese Zeit knüpfen die deutschen Autoren Volker Klüpfel und Michael Kobr in ihrem Buch „In der ersten Reihe sieht man Meer“ an. Darin geht es im völlig überladenen Ford Sierra noch einmal auf Zeitreise zu „Cocco bello“ und Gelato. Die beiden Autoren sind überzeugt, dass dieser Charme der 80er-Jahre der Region noch immer innewohnt. „Viele der Anlagen von damals haben sich ja über die Jahre kaum verändert“, meint Kobr. „Und die Sonne, das Meer, das Tiroler Nussöl und die Pizza Wurstel gibt’s auch noch.“ Klüpfel ergänzt: „Ich war ja noch mal in exakt der Anlage, die wir damals mit unseren Eltern besucht haben. Da war alles noch genauso. Nur viel kleiner. Oder war ich einfach größer …?“
Im Gegensatz dazu beschäftigt sich die Südtirolerin Tanja Raich literarisch mit der Gegenwart der Adria. Im Buch „Jesolo“ bewegt sie sich inhaltlich fernab von Kitsch und Nostalgie. Die Autorin erklärt, weshalb sie den Urlaubsort als Kulisse gewählt hat: „In Jesolo gibt es diese Sonnenschirmreihen, gleichförmig reiht sich Liegestuhl an Liegestuhl, niemand schert aus. Im Roman geht es darum, dass die Protagonistin Kompromiss für Kompromiss eingeht und schlussendlich ein Leben führt, das sie so nicht führen wollte, ein Leben, wie es alle führen.“
Abseits der Hochsaison
Das Meer, die Küsten, das Land: Alles erscheint an der Adria wie gemalt. Kein Wunder, dass sich auch viele Fotografen mit der Region beschäftigen. Den wahren Künstlern geht es aber nicht um Postkartenkitsch, sondern um die Gabe, das Besondere, das Typische, aber auch das Einzigartige mit ihren Bildern zu finden. Einen ganz eigenen Blick auf die Region wirft zum Beispiel der Fotograf Clemens Fabry in seinem Buch „Adria. Wenn der Sommer schläft“. Er präsentiert in Schwarz-Weiß-Szenen die bekannten Urlaubsorte im Winterschlaf. Die Idee verdankt er seinem damals vierjährigen Sohn. „Wir waren in Lignano Pineta auf Urlaub und mein Sohn ist ein begnadeter Frühaufsteher. Als liebender Vater ging ich um sechs Uhr früh mit ihm spazieren und da war diese Stille, diese Leere, keine Menschenseele – das hat mich voll und ganz ergriffen.“
Fünf Mal besuchte er im Winter die „Big Five“ der Oberen Adria: Lignano, Bibione, Grado, Caorle und Jesolo. Offene Hotels, einkaufen, essen gehen? Nein. Und gerade deshalb haben diese Regionen einen „speziellen Zauber, auf den man sich einlassen muss“, wie Fabry meint. Was lernen wir daraus? Es gibt keine Jahreszeit, in der die Adria nicht inspirierend wirkt – auf Künstler genauso wie auf uns Normalsterbliche.
Über die Autorin
Silvia Pistotnig ist selbst Schriftstellerin. Ihr aktueller Roman „Die Wirtinnen“ ist ihr vierter, nach dem Erstling „Nachricht von Niemand“, „Tschulie“ und „Teresa hört auf“.