Story

Streifzug durch Münchens Grätzel Haidhausen

„Uns gab es schon lange vor der Altstadt!“, sagen die Haidhauser voll Stolz. Und ohne ihren Stadtteil gäbe es kein München. Denn ihre fleißigen Vorfahren haben für Frauenkirche & Co die Ziegel gebrannt.
Weinhäausl am Wiener Platz in Haidhausen
Das Weinhäusl steht kulinarisch ganz im Zeichen Österreichs. © Dietmar Denger

Gabriele Hoffmann ist eine „Zugroaste“. Die Kinderbuchautorin und Stadtführerin wohnt aber schon seit vielen Jahren in Haidhausen. Das ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Wir stehen vor der Alten Pfarrkirche St. Johann Baptist, als sie stolz sagt: „Das hier ist 350 Jahre älter als München“ – und mit München meint sie die weltbekannte Altstadt jenseits der Isar, die quirlige City mit Marienplatz, Frauenkirche, Viktualienmarkt & Co. Heute ist Haidhausen jenseits der Isar einer von vielen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingemeindeten Stadtteilen, die früher eigene kleine Dörfer waren. 

350 Jahre Vorsprung

Im Jahr 808 war das erste Mal die Rede von einer Kirche in Haidhausen. München wurde erstmals im Jahr 1158 urkundlich erwähnt, wovon Gabriele Hoffmann detailgenau und mit viel Viertelliebe zu berichten weiß. Und auch der Schmäh ist ihr nicht fremd: „Da in der Kirche befindet sich als Reliquie die Kinnlade von Johannes dem Täufer – also eine von vielen …“

Schmunzelnd führt sie mich durch den malerischen Friedhof, der die Pfarrkirche umgibt. Unter den hohen, Schatten spendenden Bäumen hat es zwei, drei Grad weniger als in den Straßen ringsum – deshalb fühlen sich auch Füchse und Hasen im grünen Stadtparadies wohl. Aber nicht jeder Mensch ist auf Dauer willkommen: Um sich am Friedhof zur letzten Ruhe zu begeben, muss man seit mindestens 20 Jahren in Haidhausen leben. 

Vom Friedhof aus blicken wir auf die tiefer gelegene Einsteinstraße. Früher war alles auf demselben Niveau, bis man hier im 14. Jahrhundert Lehm entdeckte. Deshalb wurde die ganze Gegend ratzeputz abgegraben – bis auf das Gelände der Kirche und des Friedhofs, das heute wie eine Insel über den Straßenschluchten liegt. Der Lehm war ein überaus hochwertiges Baumaterial. Ziegeleien schossen in Haidhausen aus dem Boden, wo Ziegel in bester Qualität
gebrannt wurden. 

Baumaterial für die Stadt

Nicht nur die Frauenkirche wurde damit errichtet, sondern halb München. „Die Stadt konnte deshalb so schnell wachsen“, weiß Gabriele Hoffmann, „weil eben das Baumaterial direkt vor der Stadt gewonnen werden konnte.“ Aus einigen Bauern sind damals reiche Ziegelbarone geworden, doch die Masse waren arme Arbeiter, die unter heute unvorstellbaren Bedingungen ihr Dasein fristen mussten.

„Haidhausen war ein richtiges Armeleuteviertel, wo die Leute auf engstem Raum zusammenlebten“, erzählt meine Münchenexpertin. Haidhausen war ein Viertel sogenannter kleiner Herbergshäuschen – jedes mit mehreren Eingängen für verschiedene Hausparteien. „Unter einem Dach lebten damals oft bis zu vier Familien zusammen, und jede von ihnen hatte acht Kinder oder mehr.“

Die Herbergshäuschen sind eine richtige Münchner Besonderheit, „die DNA von Haidhausen“, so Gabriele Hoffmann. Vor Jahrzehnten sollten sie abgerissen werden, doch die Haidhausener haben erfolgreich dagegen protestiert.Heute sind etliche dieser romantisch anmutenden Herbergshäuschen ein Wahrzeichen des Viertels – engagiert renoviert, genutzt als mittlerweile begehrte Wohnhäuser oder von kleinen Handwerksbetrieben in einem absolut angesagten Viertel. 

Idyllische Welt verzauberter Hinterhöfe

Ein Muss jedes Spaziergangs durch Haidhausen ist die Preysingstraße, und das nicht nur im Frühling, wenn die Blüten vieler Kirschbäume die Gegend wahrlich verzaubern. Hier stehen das Übelacker Häusl mit einem kleinen Herbergsmuseum und der Kriechbaumhof. Dahinter taucht man ein in eine idyllische Welt verzauberter Hinterhöfe, Gärten wie am Land, kleine Wiesen und Kopfsteinpflasterwege. Und eine Ziegenskulptur erinnert an die Vergangenheit der Haidhauser Meckertiere, deren Milch einst in der Stadt bei der Schrannenhalle an Städter verkauft worden ist. Hier leben und arbeiten auch Künstler, und Gabriele Hoffmann empfiehlt: „Alle zwei Jahre öffnen die Künstler ihre Ateliers, dann ist ganz München hier zu Gast.“

Vom Bauernhof bis zum Prachtbau

Der weitere Spaziergang durch das Viertel zeigt, wie vielseitig Haidhausen ist. Mal fühlt man sich wie in einem Dorf am Land, dann wiederum geht man über das Kopfsteinpflaster herrlicher großstädtischer Straßen. Aber Haidhausen kann auch protzen, und wie! Zum Beispiel mit dem Maximilianeum an der Isar. In diesem Prachtbau von König Maximilian II. aus der Mitte des 19. Jahrhunderts tagt nicht nur der Bayerische Landtag, sondern in einer Kaderschmiede studierte schon das Who’s who aus Politik, Wissenschaft und Kultur, von Franz Josef Strauss über Werner Heisenberg bis zu Carl Amery. 

Und es zog viele weitere Künstler nach Haidhausen. So trat zum Beispiel Karl Valentin auf der Kleinkunstbühne „Der bunte Würfel“ an der Preysingstraße auf, und vis-à-vis dem heutigen Haidhauser Stadtteilmuseums in der Kirchenstraße befand sich einmal einer der ersten Jazzclubs Münchens. Gleich um die Ecke kommt man zu beliebten Treffpunkten des Stadtteils wie dem runden Pariser und dem Weißenburger Platz sowie dem halbrunden Orleansplatz. Die Namen verraten es schon: Wir befinden uns im sogenannten Franzosenviertel Haidhausens, wo viele Straßen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gebaut und nach Orten siegreicher Schlachten des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 benannt wurden. 

Ausgehmeile des Viertels 

Für einen unterhaltsamen und genussreichen Tagesausklang legt mir Gabriele Hoffmann einen Besuch der Wörthstraße ans Herz. Diese erstreckt sich links und rechts des Bordeauxplatzes, einer Stadtoase mit Wiese, bunten Blumenbeeten und Baumallee. Die Ausgehmeile bietet für jeden Geschmack das Richtige, von der Bierhalle über das indische oder vietnamesische Restaurant bis zum Italiener. Oder wie wäre es mit einem Champagnereis in der Gelateria Adamello, der ältesten Eisdiele des Viertels?

Gabriele kommt bei den vielen Möglichkeiten, Haidhausen in Gesellschaft von Haidhausenern zu erkunden, wieder richtig ins Schwärmen. Zum Beispiel beim Johannis Café, einem charmanten, rustikalen Münchner Original. „Die Kneipe is a Boazn“, und dabei strahlen ihre Augen. Später habe ich nachgegoogelt, um sie zu verstehen: „Boazn“ kommt aus dem Hebräischen und meinte früher einfach Haus. Heute bezeichnet der Bayer damit eine Kneipe, wo Bier und Schnaps getrunken und in manchen Boazn auch kleine Speisen
gegessen werden. Alles klar, für den Wiener Besucher.

Wiener Platz mit historischem Markt

Apropos Wien: Nach dieser Stadt ist in Haidhausen auch ein Platz benannt.
Bekannt ist er für seinen historischen Markt, einen der vier ständigen in München. Hier kauft man Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch, Brot und Wein, Schokolade und Blumen ein. Wahrzeichen des Wiener Platzes ist der riesige Maibaum in der Mitte, und rundherum gibt es wieder viel zu entdecken. Zuerst ­stärken wir uns noch im Biergarten des angrenzenden Hofbräukellers. Wer richtige Münchner Lebensart und Einheimische kennenlernen will, geht lieber hierher als ins Hofbräuhaus. 

Nach dieser Einkehr streifen wir durch Gässchen mit kleinen Läden und Boutiquen. Während in dem einen Haus die Kneipenszenen für die beliebte Fernsehserie „Meister Eder und sein Pumuckl“ gedreht wurden, befindet sich in einem wunderschönen Häuschen in einem Durchgang vom Max-Weber- zum Wiener Platz die „Goldschmiede an der Kreppe“. Gleich gegenüber wiederum hat sich Occhio niedergelassen, eine innovative Münchner Luxuslampenfirma. Vielfalt ist Trumpf in Haidhausen.

Sponsored
Sponsored
Sponsored
Das könnte dir gefallen:

Traumhafte Destinationen: zauberhafte Ziele am Strand

Kulinarische Einkehrschwünge am Arlberg

Gemeinsam stark: Tipps für mehr Familienzusammenhalt

ENGEL: Der Naturtextilhersteller zwischen Ursprung und Aufbruch

Werde jetzt schauvorbei-Newsletter Abonnent und bleibe immer auf dem Laufenden!
Leider konnten wir deine Anmeldung nicht abschließen. Versuche es bitte später erneut.
Die Anmeldung zum Newsletter war erfolgreich!