Es gibt viele gute Gründe, nach Spanien zu reisen. Einer davon ist definitiv Valencia. Denn diese lebendige Hafenstadt vis-à-vis der Balearen-Inseln vereint so ziemlich alles, was man sich von einem perfekten Städteurlaub erwartet: viel Kultur, eine junge, rege Kunst- und Gastroszene, das Meer vor den Stadttoren – und alle Distanzen sind mit dem Fahrrad bewältigbar. Nicht vergessen: Nach Valencia geht es per Direktflug ab Wien. Fantástico! Man nennt die Stadt in der Mitte des spanischen Mittelmeers oft die kleine Schwester von Barcelona. Doch längst ist Valencia aus dem Schatten der katalanischen Hauptstadt herausgetreten. Stolz und eigenständig steht sie da und hat sogar ihre eigene Sprache, nebst Spanisch ist Valencianisch offizielle Amtssprache.
Valencia liegt direkt an der Mündung des Flusses Turia und ist die drittgrößte Stadt des Landes, fast 800.000 Menschen leben hier. Die Hafenstadt blickt nicht nur auf eine bewegte Seefahrer-Vergangenheit zurück, sondern erfreut sich auch einer sehr modernen, avantgardistischen Gegenwart. Die futuristischen Bauten von Santiago Calatrava sind kulturelles Aushängeschild der Stadt und versetzen die Besucher in Staunen. Im Vorjahr wurde die Stadt sogar zur Welthauptstadt des Designs gekürt.
Wir reisen im Frühling nach Valencia. „Die ideale Zeit!“, sagt die Dame an der Hotelrezeption bei unserer Ankunft. Im Juli und August hat es nämlich meistens über 40 Grad. Ganz schön schweißtreibend für einen Städtetrip. Gott sei Dank haben viele Hotels mittlerweile eine Dachterrasse mit Pool. Doch auch das nahe gelegene Meer bringt Abkühlung, der Stadtstrand ist etwa fünf Kilometer vom Altstadtzentrum entfernt. Surfer, Segler, Wellenreiter, Kiter, Sonnenanbeter, Beachvolleyballspieler und alle, die ihren Körper trimmen oder gleich präsentieren wollen, vertreiben sich hier den Tag. Eine Mischung aus Santa-Monica-, Copacabana- und Barcelona-Flair umgibt diesen Ort. Schicke Panoramacafés wechseln sich entlang der quirligen Strandpromenade mit Fischlokalen, kleinen Bistros und Imbissbuden ab. Egal zu welcher Jahreszeit, hier kann man promenieren, bis einem die Füße wehtun.
Um dies zu vermeiden, sollte man sich gerade als ortsunkundiger Tourist, der klarerweise viele Extrakilometer absolviert, ein Fahrrad organisieren. Denn Valencia ist DIE Fahrradstadt, zumindest im südlichen Europa. Es gibt zwar eine Metro, doch ganz ehrlich, wer braucht die hier? Das Radeln ist der reinste Genuss. Teils quetschen wir uns durch die engen Gassen der Altstadt und klingeln die Touristen aus dem Weg, teils inhalieren wir den Duft vorbeiziehender Orangenbäume, die neben den breiten Radwegen Spalier stehen und uns Velofahrern ein kaiserliches Gefühl geben.
Einer der schönsten Radwege führt mitten durch das knapp zehn Kilometer lange Turiatal. Es ist ein ausgetrocknetes Flussbett, das seit den 1980er-Jahren als Erholungsgebiet und Park fungiert (Jardín del Turia). Der grüne Streifen zieht sich wie eine Lebensader durch die Stadt, bis hinunter zum Meer. Die Szenerie im Turiatal ähnelt einem Wimmelbuch: Eine Familie sitzt im Gras und picknickt, Skater zeigen ihre neuesten Tricks unter der Brücke von Calatrava, im Schatten einer Palme liegt ein schmusendes Pärchen, eine Gruppe Latin-Tänzer übt neue Choreografien ein, Percussionspieler geben sich leidenschaftlich ihrer Musik hin, Kickboxer trainieren für den nächsten Wettkampf, Touristen am Rad suchen den Weg zur Stadt der Wissenschaften.
Die Bilder, die man hier sieht, sind vielfältig und gleichzeitig idyllisch. Es ist eine wunderschöne Kulisse zum Trainieren, Flanieren, Spielen oder Nichtstun. Es ist Freiheit und Friede, leben und leben lassen. Ein Ausprobieren und Nichts-Müssen, ganz laidback und laissez faire. Und dazwischen poppen immer wieder Bars auf oder es erklingt Konzertmusik. Auch für andere Events ist es die ideale Kulisse, wie zum Beispiel für die beliebte Weinmesse, das valencianische Pendant zum Münchner Oktoberfest, die hier Tausende Besucher anlockt. Kilometerlang stehen hier die jungen Spanier, offenbar alle Weinkenner, in der Schlange und warten auf den Einlass.
Ob das Event so exzeptionell oder der Wein so fantastisch ist, werden wir wohl niemals herausfinden, denn trotz Urlaubsmodus fehlt uns die nötige Geduld zum Anstellen, es zieht uns weiter in Richtung südliches Ende des Flussbetts, zur Ciutat de les Arts i les Ciències (Stadt der Künste und Wissenschaften).
Der erste Eindruck ist zugleich ein Ausruf des Erstaunens: „Ahh und ohh!“ Hier wird pausiert und fotografiert, das ist klar. Die futuristischen, spektakulären Bauten von Stararchitekt Santiago Calatrava, der unter anderem auch für New York, Berlin, Dublin, Barcelona, Zürich und Dubai geplant hat, bauen sich in immenser Größe vor uns auf. Monströs. Gigantisch. Größenwahnsinnig? Ja, vielleicht auch das. Und viel kritisiert von der Bevölkerung. Geldverschwendung war sicher ein Thema. Aber in jedem Fall ist diese Art von Architektur auch ein ganz starkes Symbol für den Stellenwert von Kunst und Kultur in dieser Stadt und macht Valencia so reizvoll für Architekturfans.
Doch auch die Kulinarik spielt in Valencia eine gewichtige Rolle. Neben den Klassikern wie Paella Valenciana und Agua de Valencia (ein Mix aus Sekt, Wodka, einem Schuss Gin und viel frischem Orangensaft) begeistern die Jungköche mit kreativen Fusionsgerichten und peppen die traditionellen Tapasrezepte auf ihre individuelle Art auf.
Vor allem im jungen Ausgehviertel Ruzafa, das durchaus an manch Berliner Stadtteil erinnert, stolpert man von einem netten Café und Lokal ins nächste und kann sich den Bauch mit Tapas vollschlagen. Wir landen per Zufall in der Pescadería Pepe. Aufgrund der Tradition des späten Abendessens – vor 22 Uhr gibt es keinen Tisch – suchen wir gierig nach einem Starter. In einem kleinen Laden werden wir fündig. Er ist einerseits ein Shop, der Sardinenbüchsen verkauft, und gleichzeitig ein Lokal, wo man gemütlich die eingelegten Fische aus der Dose verkosten kann. Das Ganze wird mit einem Salatblatt garniert und dazu werden frisches Baguette mit gesalzener Butter und ein Glas selbst angesetzter Wermut serviert. Wohl bekomm’s! Das Puristische macht hier den Reiz aus. An den Wänden hängen Fischernetze und die bunten Sardinendosen in den Regalen tun ihr Übriges, um dem Raum seinen speziellen Meerescharme zu verleihen.
Ein Stück weiter liegt der wahre und jahrtausendealte Kern Valencias. Das Altstadtviertel, Barrio del Carmen, ist authentisch und gleichzeitig angesagt. Kein Wunder, dass sich hier die Touristen aus aller Herren Länder ein Stelldichein geben. Das historische Zentrum ist von einer Stadtmauer mit vier mittelalterlichen Türmen umschlossen, von denen jeder einzelne einen Aufstieg wert ist. Von oben genießt man nämlich einen herrlichen Blick auf die zu unseren Füßen liegende Stadt.
Das illustre Treiben in der Altstadt verliert sich in einem Labyrinth aus gepflasterten Gassen, die unzählige Geheimnisse bergen: Bars, Cafés, Handwerksgeschäfte, Straßenkunst, Graffitigemälde; dazwischen Gotik, Rokoko und Jugendstil. Das Barrio del Carmen gilt auch als Viertel der Bohemiens, in dem einige der beliebtesten Museen (IVAM – Institut für moderne Kunst, Kunstmuseum Centro del Carmen und das Centro Cultural de la Beneficència) zu besuchen sind.
Diesen Titel nutzt Valencia, um noch mehr Geld und Ideen in die Kreativwirtschaft zu pumpen. Handwerkskunst, allen voran Keramik und Seide, hat eine lange Tradition in dieser Stadt und dank des Designs weltweite Bekanntheit erlangt. Generationen von Künstlern haben ihre kreativen Spuren in dieser Stadt hinterlassen. So ist Valencia von einem eigensinnigen, verspielten Charakter geprägt – kein schlechter Wesenszug für eine Stadt, im Gegenteil!