Von Liebe überlastet: Der Weg aus dem Eltern-Burnout

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Wie sagt man so schön? Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr. Dies gilt natürlich auch für Mütter. In Zeiten, in denen Care-Arbeit stetig weniger wertgeschätzt wird, ist Eltern-Burnout ein immer wichtigeres Thema. Eine Studie der Johannes Kepler Universität Linz zeigt, dass Menschen, die Kinder haben, eine höhere Chance haben, Depressionen zu bekommen, die dann mit Antidepressiva kuriert werden sollen. schauvorbei.at hat mit Benjamin Strigl, psychosozialem Berater von „Mein Coaching“ und Coach beim TV-Sender Puls 4, über Vorzeichen, Risiken und den richtigen Umgang gesprochen.

schauvorbei.at: Wie entsteht Eltern-Burnout?
Benjamin Strigl:
Es kommen mehrere Faktoren zusammen. Auf der einen Seite steht chronischer Stress. Dieser wird über einen lang anhaltenden Zeitraum erlebt. Dazu kommen Überforderung und Mangel an Unterstützung. Glaubenssätze wie „Ich bin auf mich allein gestellt“ und Gedanken wie „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht“ herrschen vor. Über einen langen Zeitraum hinweg kann dadurch Eltern-Burnout entstehen.

schauvorbei.at: Wann spricht man von Überlastung und wann ist es Eltern-Burnout?
Benjamin Strigl: Die Unterscheidung liegt zwischen temporär und chronisch. Temporäre, also kurzfristige Überlastung, kann durch Erholung und gewisse Techniken ausgeglichen werden. Zum Beispiel durch einen Urlaub. Wenn man dann im Alltag wieder ausgeglichen ist, hat man kein Problem. Wenn es aber über einen langen Zeitraum unverändert bleibt und man nicht weiß, wie man etwas an der Situation verändern kann, dann spricht man von Eltern-Burnout.

schauvorbei.at: Tritt Eltern-Burnout immer häufiger auf oder liegt es daran, dass man „dem Kind jetzt einen Namen gegeben“ hat?
Benjamin Strigl: Es ist so, dass sich die Anforderungen an Eltern in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert haben. Teilweise sind diese enorm gestiegen. Das muss man klar sagen. Oft müssen beide Elternteile arbeiten. Außerdem wird von der Schule und im Alltag generell viel gefordert. Gleichzeitig ist es so, dass sich die Forschung immer mehr für dieses Thema interessiert. Dabei wird natürlich immer mehr darüber herausgefunden. Deswegen würde ich sagen, beide Faktoren beeinflussen dieses Thema. Einerseits kann man sagen, dass es öfter zum Vorschein kommt. Andererseits ist es so, dass es viel mehr Bewusstsein zur Materie gibt. Deswegen können wir auch mehr dagegen tun. Es ist also so, dass es mehr Fälle gibt als früher, durch die Forschung sind die Fälle aber auch präsenter.

schauvorbei.at: Wie erlebst du es als Coach? Wirken Eltern überforderter oder ist es in den letzten Jahren gleich geblieben?
Benjamin
Strigl: Früher war alles sehr konservativ und autoritär. Es wurde „härter durchgegriffen“. Mittlerweile geht der Trend in eine andere Richtung. Stichwort: Gentle Parenting. Dabei versucht man, immer auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Wenn man dabei die eigenen Bedürfnisse vergisst und sich nicht um diese kümmert, kann das zu Überforderung führen. Ich habe das Gefühl, dass viele Eltern durch diesen Stress, den sie sich selbst machen, und den Druck, der von außen kommt, überfordert sind.

schauvorbei.at: Inwiefern hat der neue Erziehungstrend Gentle Parenting etwas mit Eltern-Burnout zu tun?
Benjamin Strigl: Bei Gentle Parenting versucht man immer, auf die Bedürfnisses des Kindes einzugehen. Dabei bleibt man auf Augenhöhe und versucht, respektvoll mit ihm zu sprechen. So kann passieren, dass man die eigenen Bedürfnisse vergisst oder zu sehr auf die Bedürfnisse anderer fokussiert ist. Das kostet viel Kraft und Energie. Denn ein Kind ist natürlich manchmal laut oder anstrengend. Zum Beispiel: Wenn ein Kind einen Wutausbruch hat oder einfach nicht mitmachen will, man aber möchte, dass es etwas tut oder sein lässt, versucht man selbstverständlich, ruhig zu bleiben. Wenn das jeden Tag über einen langen Zeitraum passiert, Unterstützung fehlt und es in der Partnerschaft nicht gut läuft, kann es schwierig werden, diesen Stil umzusetzen. Prinzipiell ist es aber ein toller Erziehungsstil.

schauvorbei.at: Welche anderen Risikofaktoren gibt es für Burnout?
Benjamin Strigl: Risikofaktoren gibt es viele für den Eltern-Burnout. Absolute Nummer eins ist Kommunikation und die Partnerschaft. Wenn die Kommunikation fehlt oder nicht funktioniert, ist das ein wichtiger Faktor. Auch Alleinerziehende oder Elternteile, die keine anderen Ressourcen für die Kinderbetreuung haben, gehören dazu. Selbst die Schule kann mit hineinspielen. Zum Beispiel: Wenn man die Hausaufgaben immer mit dem Kind machen muss. Dann sollte man auch andere Fragen: „Was denkst du darüber?“ oder „Wirkt es, als wäre ich überfordert?“. So bekommt man eine bessere Perspektive.

schauvorbei.at: Gibt es Warnzeichen, die man als Elternteil bei sich selbst erkennen kann?
Benjamin Strigl: Warnzeichen und Risikofaktoren spielen eng zusammen und gehen ineinander über. Einerseits sind es zu hohe Erwartungen an einen selbst oder von außen. Oft sind sie an Perfektionismus gekoppelt. Kinder mit besonderen Bedürfnissen können den Alltag erschweren und zu ständiger Erschöpfung führen. Agiere ich emotional distanzierter von meinen Kindern, weil ich gereizt bin und keine Unterstützung habe, dann sollte ich aufpassen. Kommen alle diese Punkte zusammen, wird es schwierig, den Alltag zu meistern.

schauvorbei.at: Wie sorgt man für schnelle Entlastung des eigenen Nervensystems?
Benjamin Strigl: Ich denke, der erste und wichtigste Punkt ist, dass man es nicht so weit kommen lässt. Wenn man erste Anzeichen spürt, sollte man versuchen, in Zukunft Pausen einzuplanen. Wenn es Kleinigkeiten sind, die zur Überflutung des Nervensystems führen, kann auch ein kurzer Spaziergang im Wald Abhilfe schaffen. Diesen kann man auch spontan machen. Wenn man spürt, dass es einem nicht gut geht, das Kind einfach schnappen und mit ihm in den Wald fahren. Man kann ihn aber auch ein Mal fix in der Woche einplanen.

Achtsamkeitsmeditationen, Entspannungsübungen und Atemübungen können akut helfen. Hilfe von der Nachbarin, der eigenen Mutter oder vom Vater sind soziale Ressourcen, die unterstützend wirken können. Sich selbst zu erden, ist ein weiteres Tool. Das heißt salopp gesagt: Einfach mal auf den Boden legen, die Augen schließen, positive Gedanken formen und kurz abschalten.

schauvorbei.at: Wenn man sich den Betreuungsschlüssel ansieht, kommen auf ein Kleinkind ein bis zwei enge Bezugspersonen. Während die Forschung sagt, dass es eigentlich drei bis vier Personen sein müssten. Wie siehst du das, braucht es ein ganzes Dorf, um ein Kind aufzuziehen?
Benjamin Strigl: Ja genau, das hätte ich auch gesagt. Der Betreuungsschlüssel von Kindern ist von vielen Faktoren abhängig. Heutzutage kommt ein finanzieller Aspekt hinzu. Man kann sich nicht mehr einfach so drei, vier oder fünf Kinder leisten. Es braucht Wohnraum, einen Kita- oder Kindergartenplatz bzw. eine Tagesmutter und natürlich eine gute Schule. Dafür muss man viel arbeiten. Wenn beide Partner Jobs haben, wer ist dann für die Kinder da? Der Schlüssel hat sich radikal verändert, sollte aber noch der gleiche sein. Diesen zu bekommen, wird immer schwieriger. Darum ist es so wichtig, ein Helfernetzwerk aufzubauen.

schauvorbei.at: Hat Eltern-Burnout mehr etwas mit dem eigenen Charakter und der Rolle als Elternteil oder dem Verhalten der Kinder zu tun?
Benjamin Strigl: Ich würde sagen, es ist eine Kombination aus beidem. Einerseits ist es so, dass der Charakter des Kindes eine große Rolle spielt. Wenn mein Kind generell fordernder ist, braucht es mehr Energie und Ressourcen, um das Kind adäquat zu unterstützen. Zum Beispiel, wenn es viel auf Entdeckungsreise gehen möchte und Grenzen austestet. Andererseits hängt es auch davon ab, wie ich bin und was mein Anspruch an mich selbst ist. Lebe ich als Elternteil Perfektion, führt das zu mehr Stress, als wenn ich Raum für Fehler gebe. Beispielsweise wenn ein Kind etwas anmalt und dann ein Fleck entstanden ist.

schauvorbei.at: Ist Eltern-Burnout ein Phänomen der Neuzeit?
Benjamin Strigl: Es war in der Vergangenheit so, dass – falls Eltern-Burnout aufgekommen ist – es ein Tabuthema war. Früher war es meistens so, dass Papa arbeiten ging und Mama war zu Hause. Aber Mama war allein und leistete Unmengen. Sie erzog ein, zwei oder drei Kinder, „schupfte“ locker den Haushalt, wusch die Wäsche, kochte, ging einkaufen und kümmerte sich um die Bildung vom Nachwuchs. Mütter sind allzeit bereit. Sie sind 24 Stunden am Tag im Einsatz. Daher denke ich, dass damals die ein oder andere Mama im Eltern-Burnout war.

Jetzt ist es so, dass wir viel mehr Forschung zu diesem Thema leisten. Langsam, aber sicher wird kein Tabuthema mehr daraus gemacht – glücklicherweise. Es ist aber immer noch eines, das muss man klar sagen. Viele Mütter – und auch Väter – schämen sich und wollen nicht zugeben, dass sie erschöpft sind oder es zu viel für sie ist. Das ist traurig. An diesem Punkt wollen wir unterstützen. Zumindest in der Nachbarschaft und im Freundeskreis sollte es kein Tabuthema sein. Jeder ist irgendwann überfordert und braucht Hilfe. Daher ist so wichtig, dass wir uns gegenseitig helfen.

schauvorbei.at: Warum ist es immer noch ein Tabuthema?
Benjamin Strigl: Einerseits ist es eine Frage der Anforderungen, denen man gerecht werden möchte. Ich sehe auf Social Media, wie großartig alle anderen ihr Leben meistern, und ich schaffe es nicht. Dabei entstehen eine gewisse Angst und ein Schamgefühl. Auch der generelle Anspruch der Gesellschaft kommt hinzu. Es ist oft die offene Kommunikation in der Partnerschaft, die fehlt. Das macht es natürlich schwieriger. Wenn ich mich zu Hause unwohl fühle und mich nicht traue, zu sagen, dass es mir nicht gut geht, dann wird es nach außen hin noch schwieriger. Aber es gibt bereits viele tolle Social-Media-Kanäle, die daraus kein Tabuthema mehr machen. Darauf sollten wir uns konzentrieren und optimistisch in die Zukunft sehen.

schauvorbei.at: Denkst du, dass unsere heutige Generation „verweichlicht“ ist, oder warum ist es so, dass dieses Thema so stark aufpoppt?
Benjamin Strigl: Verweichlicht würde ich es nicht nennen. Allerdings ist eine Überforderung im Alltag da. Tatsächlich habe ich viele Eltern, die ich coache und berate, die nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Es sind hohe Anforderungen, die auf Eltern zukommen. Dazu gehören Schule und Kindergarten, Job und Finanzen, die Inflationswelle, die Ausläufer der Pandemie und Krieg. Das alles schafft Sorgen und Ängste. Überdies möchte man ein guter Elternteil sein, das Kind gut betreuen und seine Bedürfnisse erkennen und erfüllen. Es ist ein Wahnsinn, was tagtäglich auf Elternteile einprasselt. Da poppt Eltern-Burnout auf. Wenn man sich keine Unterstützung holt, wird es schwierig.

Früher gab es auch eine schwierige Zeit. „Heute geht es uns so gut wie nie zuvor“, sagt man. Die Forschung zeigt, dass seit dem Jahr 2000 bzw. 2010 die psychische Gesundheit der Jugendlichen immer weiter sinkt. Bei Eltern ist es dasselbe. Durch soziale Medien und die Informationen, die wir Tag für Tag bekommen, die Eindrücke, die wir während des Scrollens sammeln, kommt es oft zu Überforderung, da wir nie Abschalten können.

schauvorbei.at: Wenn man mittendrin ist, welche Tipps, Routinen oder Praktiken können helfen?
Benjamin Strigl: Ganz wichtig – meiner Meinung nach die Nummer eins – ist innere Ruhe. Diese sollte man in irgendeiner Form trainieren. Das können Atemübungen, Achtsamkeitsmeditationen oder Spaziergänge, die man in den Alltag integriert, sein. Vielleicht nimmt man auch alle zwei oder drei Tage ein schönes Schaumbad. Me-Time in Form von Fußball, Tennis, Volleyball oder einer anderen sportlichen Betätigung kann auch helfen. Dabei muss man berücksichtigen, dass drei Mal die Woche zum Fußball zu gehen schwieriger zu planen ist als ein Mal am Tag eine Achtsamkeitsübung für fünf Minuten. Grundsätzlich sollte man einfach versuchen, etwas in den Alltag einzubauen, was einem Abhilfe schafft. Nachbarn, Freunden, andere Eltern und Großeltern können auch eine große Stütze sein und ein Helfernetzwerk schaffen.

Ein weiterer großer Pfeiler ist die Kommunikation – vor allem in Partnerschaften. Fragestellungen, die helfen, sind: „Wie ist unsere Kommunikation?“ und „Wie können wir sie verbessern?“. Dann sollte man einen Plan erstellen, wo die Bedürfnisse aller miteinfließen und gedeckt sind. Das ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung. So kann es nicht nur mir, sondern auch meinem Partner und meinen Kindern besser gehen. Das ist das große Ziel. Wie im Flugzeug: Wenn die Maske herunterfällt, sollte ich sie zuerst mir selbst aufsetzen, denn wenn ich bewusstlos bin, kann ich niemand anderem helfen. Wenn es jemandem gut geht, kann er in Situationen bessere Entscheidungen fällen und die Bedürfnisse von Partnern und Kindern dabei berücksichtigen.

schauvorbei.at: Wann sollte man sich professionelle Hilfe suchen?
Benjamin Strigl: Ganz einfach: Wenn man nicht mehr weiter weiß. Wenn ich an dem Punkt bin, dass ich nicht mehr weiß, was ich tun soll, damit es besser wird. Oder wenn ich niemanden habe, mit dem ich darüber sprechen kann. Fühlt man sich dann noch gefangen im Alltag oder der Routine und es geht einem schlecht, ist es Zeit, sich Hilfe zu holen. Coaching, psychosoziale Beratung, Psychotherapie – man kann selbst entscheiden, welcher Ansatz der richtige ist.

Im besten Fall suche ich mir schon vorher Hilfe. Präventiv ist natürlich der Idealfall. Ich habe teilweise tatsächlich auch Eltern – oftmals sind es Mütter, das muss man ehrlicherweise sagen –, die merken, da bahnt sich etwas an. Vor allem in den Sommerferien. Sie wollen planen, damit es ihnen und den Kindern im September und Oktober nicht zu viel wird. Das bedeutet, rechtzeitig die Frage zu stellen: „Was können wir tun?“

schauvorbei.at: Vielen Dank für das Gespräch und die wundervollen Tipps!

Foto: © Getty Images

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